Wie böse kann das Publikum sein? Seeehr seeehr böse, wie Wiens Vizebürgermeisterin diese Woche zur Kenntnis nehmen musste. In meinem heutigen „Krone“-Interview hat sie mir den Unterschied zwischen einem willensstarken Mann und einer willensstarken Frau erklärt. Dem Kerl wird Beharrlichkeit attestiert, während die Frau sich gefallen lassen muss, eine „lästige Wanzn“ zu sein.
Wanzen sind eklige Blutsauger, die sich – igitt! – in Betten einnisten und die man nicht mehr so leicht los wird. Ein schädliches Ärgernis sozusagen. Womit wir beim Plakat wären, das für so viel Aufregung gesorgt hat. Da ist Maria Vassilakou neben dem Wiener Naschmarkt auf 10,9 mal 19,4 Metern mit Klebeband festgepickt. Darüber steht: Ich soll den Häupl Michi nicht immer so ärgern! Ich soll die Pappn halten, wenn der Michi spricht!
Das Querulanten-Medium Internet drehte daraufhin völlig durch. Da war von Sexismus die Rede, von Blödheit, von Geldverschwendung, von einer Katastrophe für das moderne Frauenbild.
Also ich musste sofort schmunzeln, als ich das Plakat sah. Ein Kriterium, das mir auch beim Lesen von Texten wichtig ist. Wenn ich Harold, unsere Seele vom Dienst, mein Interview gegenlesen lasse, dann beobachte ich genau, an welcher Stelle er zum ersten Mal seine Mundwinkel verzieht. Nach oben oder unten ist egal: Wenn ich es schaffe, ihn – also den Leser – zu berühren, dann habe ich gewonnen.
Wenn die mächtigste Frau Wiens das „Schlimme Mädchen“-Image parodiert, dann ist das Werbung vom Feinsten. Für mich liegt die Botschaft auf der Hand: Da polarisiert eine Politikerin, indem sie dem mächtigen Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien Paroli bietet – oder es zumindest versucht. So, wie sie auf dem Plakat dargestellt ist, hätten sie wohl viele gerne. Sie soll endlich die Pappn halten! Sie soll uns nicht auf den Geist gehen! Und als Beruhigungspille gegen Erregung: Der sind doch sowieso die Hände gebunden.
In den frühen Neunziger Jahren habe ich Maria Vassilakou das erste Mal getroffen. Unserem verstorbenen Herausgeber und Chefredakteur Hans Dichand war sie aufgefallen. „Da gibt es eine talentierte junge Griechin, die jetzt bei den Grünen ist. Wollen Sie nicht ein Porträt über sie schreiben?“ Aufträge erteilte er immer mittels höflicher Fragen. Wir trafen uns auf der Wiener Höhenstraße, Maria Vassilakou war auf dem Motorrad gekommen. Ich dachte damals: Wahnsinn, diese Frau ist noch nicht einmal zehn Jahre in Österreich und macht Karriere in der Politik.
Ihre Herkunft hat sie in einem Gespräch mit mir einmal als ihre Privatsache bezeichnet. Das sehen viele Wiener ganz anders. Maria Vassilakou hat wohl aufgehört zu zählen, wie oft man sie schon nach Griechenland zurückgewünscht hat.
Überhaupt kann es diese Frau keinem Recht machen: Wenn sie mit dem Rad fährt, ist sie eine Heuchlerin. Wenn sie mit dem Auto fährt, ist sie eine Verräterin. Wenn sie die Mahü durchsetzt, ist sie ein Kamikaze-Weib, wenn sie gescheitert wäre, eine Versagerin.
Sie habe, sagte sie mir im Interview off the records, schon ein wenig auf weibliche Solidariät gehofft. Auf ein bisschen mehr Humor. Aber da hoffte sie wohl vergebens: Die Maria sei das weibliche Gegenstück zum gallischen Troubadix, der nicht von ungefähr in einer Baumhütte lebe, ein „Übel, von dem uns Gott erlösen möge“, eine „Urschl, pfui grauslich“. Die Foren-Manager, die diesen Mist lesen und wegschmeißen müssen, beneide ich wirklich nicht.
Ein Interview zu führen ist ungefähr das Gegenteil von dem, was sich anonyme Schreiberlinge im Netz herausnehmen. Als Interviewerin höre ich denen, die Emotionen auslösen – vielleicht auch bei mir, aber das spielt keine Rolle – zu. Ich frage sie, was sie sich dabei gedacht haben. Ich gebe ihnen eine Bühne.
Maria Vassilakou zum Beispiel. Ganz ehrlich: Würdet ihr euch trauen, eine Frau „grausliche Urschl“ zu nennen, wenn sie vor euch sitzt? Oder„lästige Wanzn“, wenn sie euch ihr Weltbild erklärt?
Vassilakous Fesselplakat hat Unglaubliches entfesselt. Was dabei über die Wiener Grünen-Chefin geschrieben und gesagt wird, sagt so viel mehr über die Betrachter aus als über Maria Vassilakou...
Fotocredit: Kronenzeitung / Fotorechte: Kristian Bissuti