Bist du Charlie? Dann sei bitte auch Raif. (Es geht um Meinungsfreiheit - und sein Leben.)

Der saudische Blogger Raif Badawi wurde wegen Beleidigung des Islam zu 1000 Peitschenhieben verurteilt. Die Vollstreckung begann am Freitag. Druck auf Saudiarabien könnte Raif noch retten. Doch ausgerechnet in Paris geschah - unglaublicherweise - das Gegenteil.

Am vergangenen Sonntag demonstrierten in Paris die Spitzen der Weltpolitik in Solidarität mit den Opfern des islamistischen Anschlags auf Charlie Hebdo. Beim Nachlesen der Liste der angereisten Würdenträger (auf BBC) sprang ein Name ins Auge: Offenbar hatte der saudische Vize-Außenminister  Nizar Madani beschlossen, für die Pressefreiheit aufzutreten – und gegen den islamistischen Angriff auf Karikaturisten, die auch den Islam auf die Schaufel genommen hatten.

Das ist an Verlogenheit nicht zu überbieten.

Zwei Tage vor der Demonstration in Paris, zwei Tage nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, wurde in Saudi-Arabien ein entsetzliches Urteil vollstreckt. Der Blogger Raif Badawi wurde vergangenen Freitag nach dem Gebet öffentlich ausgepeitscht. 50 Peitschenhiebe trafen seinen Rücken und seine Beine. Insgesamt wurde er zu 1000 Peitschenhieben verurteilt, verabreicht zu maximal 50 auf einmal, mit jeweils einer Woche Abstand. Die Auspeitschungen Badawis könnten also von nun an jeden Freitag stattfinden – 20 Wochen lang.

Es ist, wenn es im Wochenrhythmus vollstreckt wird, ein Todesurteil auf Raten.

Badawis Verbrechen: Er hatte auf seiner Website „Freie saudische Liberale“ über die Religionspolizei geschrieben und Saudiarabiens offizielle Auslegung des Islam kritisiert. Im Mai verurteilte ihn ein Gericht zu zehn Jahren Haft wegen „Beleidigung des Islam über elektronische Kanäle“, außerdem zu einer einer hohen Geldstrafe und den 1000 Peitschenhieben. Die Website wurde gesperrt. Sollte er die Strafe überleben und nach 10 Jahren aus der Haft entlassen werden, darf er weitere 10 Jahre nicht reisen und keinerlei Medien benützen. Sein Anwalt wurde im Juni zu 15 Jahren Haft und anschließenden 15 Jahren Reiseverbot verurteilt.

Die Politiker, die in Paris für die Meinungsfreiheit auf die Straße gingen, taten das also Seite an Seite mit einem Politiker eines Regimes, das Meinung über religiöse Themen mit Folter und einem langsamen Tod bestraft. Die österreichische Bundesregierung, die zeitgleich in Wien für Meinungsfreiheit und gegen Terror dagegen auftrat, hat mit Claudia Bandion-Ortner dem nach dem König desselben Regimes benannten „König Abdullah Zentrums“ in Wien eine ehemalige Justizministerin zur Verfügung gestellt (und lange bezahlt), die zu Hinrichtungen in einem profil-Interview kürzlich sagte: „Na das ist ein Blödsinn, die finden nicht JEDEN Freitag statt.“

Raif Badawi wird heute, Dienstag, 31 Jahre alt. Seine Frau sagte gestern: Er werde weitere Auspeitschungen wahrscheinlich nicht überleben.

Bist du Charlie? Dann sei bitte auch Raif.

Gegen Terroristen demonstrieren ist für europäische Politiker einfach. (Wer ist nicht gegen Terror?) Sich im Dienst derselben Meinungsfreiheit gegen das reiche Saudi-Arabien stellen ist offenbar sehr viel schwieriger.

pS: Was man in Österreich tun kann: Am Freitag um 10.00 findet vor der saudischen Botschaft in Wien eine Mahnwache statt. amnesty international hat eine Urgent Action ins Leben gerufen: https://www.amnesty.at/de/raif, mitzumachen macht einen Unterschied.

ppS Wer wissen will, für welche Meinungen Raif Badawi verurteilt wurde, kann einige Auszüge hier im Gaurdian nachlesen: http://www.theguardian.com/world/2015/jan/14/-sp-saudi-blogger-extracts-raif-badawi

UPDATE Freitag: Die Auspeitschung, die heute stattfinden hätte solle, wurde offenbar verschoben. Das melden amnesty international und Reuters. Der Grund seien medizinische Probleme. Es gehört zum Prozedere, dass ein Arzt die Auspeitschung freigibt - und da Raif die erste Auspeitschung schlecht vertragen habe, habe der Arzt sie heute untersagt. Vielleicht haben die internationalen Proteste auch bereits Wirkung gezeigt: medizinische Gründe wären eine Möglichkeit, Raif Badawi ohne Gesichtsverlust nicht weiter auszupeitschen oder sogar zu begnadigen. Spiegel online dazu:  Rafi Badawi: Auspeitschung verschoben.Außenminister Sebastian Kurz setzt sich übrigens heute auch für die Begnadigung von Rafi Badawi ein - hier der Tweet.

UPDATE FREITAG ABEND: PROTEST WIRKT. Wie die BBC meldet, hat der saudische König hat beschlossen, das Urteil gegen Raif Badawi noch einmal zu überprüfen. Sein Büro habe den (eigentlich abgeschlossenen) Fall dem Höchstgericht zugewiesen. Es gibt also eine Chance auf Begnadigung.

BBC dazu: http://www.bbc.com/news/world-middle-east-30856403

14
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Susannah Winter

Susannah Winter bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Monika Donner

Monika Donner bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Globetrotter

Globetrotter bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Sugu

Sugu bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Miki

Miki bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Coach

Coach bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

denkerdesnutzlosen

denkerdesnutzlosen bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Christoph Cecerle

Christoph Cecerle bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Regina Spießberger

Regina Spießberger bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Alexander Davidek

Alexander Davidek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Da Fraunz

Da Fraunz bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

18 Kommentare

Mehr von Corinna Milborn