Ich habe eine Frage an jene Politiker, vor allem in der EU-Kommission, die sich für die Freihandelsabkommen EU-USA namens TTIP und CETA engagieren – und für die darin enthaltenen Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten klagen können. Meine Frage lautet: Geht's noch???
Die Frage stellt man sich bei dem Thema ja schon länger. Jetzt legt die EU-Kommission noch ein Argument drauf: Dieselbe Kommission, die sich für TTIP und CETA mitsamt Schiedsgerichten einsetzt, verbietet dem EU-Mitglied Rumänien gerade, einen solchen Schiedsspruch umzusetzen.
Die Vorgeschichte: Die rumänischen Zwillingsbrüder Ioan und Viorel Micula gründeten in den 90ern in Schweden ein Unternehmen, mit dem sie in Rumänien aktiv wurden – und dabei sehr, sehr viele Millionen an Subventionen vom rumänischen Staat kassierten. Der Geldregen wurde gestoppt, als Rumänien der EU beitrat: Denn die Subventionen sind EU-rechtswidrig. Das passte den Micula-Brüdern gar nicht. Sie zogen mit dem Fall vor das Weltbank-Schiedsgericht ICSID in Washington und verlangten Entschädigung. Die Argumentation: Sie hätten als schwedischer Investor in Rumänien weitere Subventionen erwartet – und das für mindestens zehn Jahre.
Rumänien hielt dagegen, dass niemand je versprochen hatte, dass die Subventionen ewig fließen würden. Das Schiedsgericht gab allerdings den beiden Milliardären recht – und verurteilte Rumänien im Dezember 2013 dazu, den Milliardären 250 Millionen Dollar Entschädigung für entgangene Profite auszuzahlen. Mit Zinsen.
Nun trat die EU-Kommission auf den Plan, mit einer überraschenden Wendung: Sie verbietet Rumänien ausdrücklich, auch nur einen Euro Entschädigung zu zahlen. Und das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: Es ist schließlich nicht einzusehen, warum ein Schiedsgericht in den USA, das hinter verschlossenen Türen verhandelt, europäische Gesetze aushebeln soll. Das würde nämlich bedeuten, dass Staaten entweder keine neuen Regeln einführen dürfen, die Konzerne betreffen – und seien sie noch so sinnvoll – oder die Steuerzahler jedes Mal Milliarden aufbringen müssen, wenn sie die Regeln doch haben wollen. (Beispiele dafür gibt es ja bereits genug: Der Atomkonzern Vattenfall klagt Deutschland wegen des Atomausstiegs; der Tabak-Konzern Philipp Morris klagt Uruguay, weil es Nichtraucher besser schützen will; ein kanadisches Unternehmen übersiedelte in die USA, um gegen ein Fracking-Verbot in Kanada klagen zu können.)
Der Fall steht jetzt an einem interessanten Punkt: Dank des gültigen Spruches des Schiedsgerichtes dürfen die Milliardäre Micula nun in allen Staaten, die Mitglied des ICSID-Abkommens sind, rumänisches Vermögen beschlagnahmen lassen. Auch in Österreich. Prüfungen durch nationale Gerichte oder Rechtsmittel sind nicht vorgesehen.
Das bedeutet, dass europäische Staaten, die Investitionsschutzabkommen unterzeichnet haben, unter einem Damoklesschwert leben. Es gibt praktisch keine größeren rein nationalen Unternehmen mehr. Das bedeutet: Jede Subventionskürzung, jede neue Umweltauflage, jede Änderung von Arbeitsgesetzen, die den erwarteten Gewinn eines Konzerns schmälert, könnte eine Klage nach sich ziehen. Das Entschädigungsgeld für die Konzerne müssen die Steuerzahler aufbringen. (Diese allerdings haben umgekehrt keine Möglichkeit, ihre Staaten zu klagen, wenn ihnen mal erwartete Familienbeihilfe oder das Stipendium gekürzt wird. )
Die EU-Kommission hat also – politisch - Recht mit ihrem Befehl an Rumänien, den Schiedsspruch zu ignorieren und die Entschädigung nicht auszuzahlen. Juristisch allerdings ist sie klar im Unrecht. Nur: Warum kämpft sie dann munter weiter für Freihandelsabkommen mit Schiedsgerichten – anstatt dafür, sie einzugrenzen? Darauf habe ich noch keine Antwort bekommen, und die einzige Frage, die mir dazu bleibt, ist: Geht's noch?
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