Ich bin in den 1980er Jahren am Land aufgewachsen. Damals waren noch recht Wenige aufgeschlossen gegenüber Menschen die von der Norm abwichen - besonders in einem kleinen Alpendorf. Das schlimmste Verbrechen, das eine Frau begehen konnte, war sich Scheiden zu lassen.
Da konnte mit ihr etwas nicht stimmen. Sie muss ihre ehelichen Pflichten vernachlässigt haben - entweder in der Küche oder in einem anderen Raum. Es wurde nie hinterfragt, ob nicht vielleicht mit dem Mann etwas nicht stimmte oder es vielleicht seine Schuld gewesen sein könnte. Eine Scheidung wurde auch immer als ein Versagen angesehen.
Warum bemitleidet ein Großteil der Gesellschaft Menschen die geschieden sind (hauptsächlich geschiedene Frauen)? Warum sehen wir eine Scheidung als etwas Negatives? Vor vielen Jahren saß ich einmal neben zwei Schwestern die beide jenseits der 50 waren. Eine war mit demselben Mann seit über dreißig Jahren verheiratet. Die andere war zum zweiten Mal verheiratet.Letztere sagte zur Ersten, im Zusammenhang mit deren anstehenden Hochzeitsjubiläum: "Ich bewundere dich dafür, dass du mit demselben Mann so lange verheiratet bist." Sie klang traurig, als sie dies sagte - und Ehemann #2 saß direkt neben ihr. Damals dachte ich mir 'Hat sie damit nicht indirekt ausgedrückt, dass sie sich wünschte sie wäre noch mit #1 verheiratet nur um sagen zu können, sie ist nicht geschieden?' #2 ignorierte ihren Kommentar.
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Warum ist es so wichtige mit demselben Mann bis ans Lebensende zusammen bzw. verheiratet zu sein? Es scheint keine Rolle zu spielen, ob die Ehe glücklich ist oder nicht. Es scheint eher darum zu gehen, den Schein vor den 'Anderen' zu wahren. Ältere Generationen sagen oft zu jüngeren Generationen, dass Leute in der Vergangenheit nicht so schnell aufgegeben haben, wenn es um Beziehungen ging und hart an ihrer Ehe gearbeitet haben.
Ich persönlich denke, das war eher aus Zweckmäßigkeit und nicht weil sich früher zwei Menschen mehr liebten oder der Ehe mehr Wert zuschrieben. Frauen durften früher nicht arbeiten oder nur in schlechtbezahlten Jobs. Generell waren Leute religiöser und wer geschieden war, wurde oft von der Gemeinde ausgegrenzt. Das hat nichts mit familiären Werten zu tun. Hier ging es ums pure Überleben.
Als ich Ende Zwanzig war, ließ ich mich scheiden. Zum Glück lebte ich dann schon in einer Großstadt und genoss den Deckmantel der Anonymität und die Abwesenheit der kritischen Dorfmentalität. In der Stadt kamen Scheidungen öfter vor und wurden auch von der Allgemeinheit akzeptiert. War ich der Meinung, ich hätte in meiner Ehe versagt? Keine einzige Sekunde!
Meine Scheidung war eine Befreiung. Ich löste mich aus einer lieblosen Beziehung. Ich war so erleichtert, als es vorbei war! Ich hatte sogar eine Scheidungsparty. Ich war zu Gast auf Scheidungsparties von Freunden. Ich liebte mein Leben nach der Trennung. Ich war endlich wieder glücklich. Ich musste niemandem mehr Rede und Antwort stehen und es war fantastisch!
Manchmal hörte ich ein 'Tut mir leid, dass deine Ehe nicht geklappt hat'. Ich antwortete immer 'Muss dir nicht leid tun. Die Scheidung war die beste Entscheidung die ich je getroffen habe.' Jetzt, zehn Jahre später, bin ich zum zweiten Mal verheiratet. Meine zweite Ehe ist nicht nur glücklicher und gleichberechtigter, sondern auch voller Liebe. Ich schäme mich nicht geschieden zu sein. Ich fühle mich auch nicht wie ein Versager.
Letztendlich, wem tut es etwas Gutes, wenn man zu allen sagen kann, dass man immer noch mit demselben, ersten Ehemann verheiratet ist und wenn man dann nach Hause geht sich einsamer fühlt neben einem Menschen den man nicht liebt als wie wenn man Single wäre. Und was bringen schon diese ständigen Versuche eine Ehe zu retten die nicht gerettet werden kann? Wenn man jemanden überzeugen muss in einer Beziehung zu bleiben, ist die Beziehung eigentlich schon vorbei.
Die positive Hauptveränderung die sich mit einer Scheidung einstellt - zumindest war das bei mir der Fall - ist, dass mit dem Ende der unglücklichen Ehe, die Hoffnung für eine bessere Beziehung in der Zukunft einkehrt. Wäre ich bei meinem ersten Mann geblieben, hätte ich akzeptieren müssen, dass sich nie etwas ändern würde. In meinem Fall wurde die Hoffnung auf eine bessere Beziehung erfüllt.
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