An manchen Abenden, wenn man zermürbt vom ORF-Programm durch die Weiten des Internets surft, da passiert es, dass man über sehenswerte Filme/Dokumentationen stolpert.
Gestern war für mich so ein Abend. "Töte zuerst" - die etwas reißerisch ins Deutsche übertragene Version der preisgekrönten Dokumentation "The gatekeepers" des israelischen Filmemachers Dror Moreh läuft bis 27.4.2016 in der Mediathek des ARD/Das Erste.
Moreh ist im Rahmen dieser Dokumentation etwas gelungen, dass bis dahin für unmöglich gehalten wurde: Sechs ehemalige Direktoren des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet haben sich seinen Interview-Fragen gestellt. Unaufgeregt gefilmt bieten sie dem Zuseher Einblicke in den israelisch-palästinensischen Konflikt der Jahre 1981 - 2011 aus Sicht von hauptsächlich am Geschehen Beteiligten.
Es besteht beim Zuschauer von Anfang an kein Zweifel, dass diese Männer(die alle aus den Reihen von Elite- oder Spezialeinheiten der Armee für den Dienst bei Shin Bet rekrutiert wurden)ihren Dienst und den damit verbundenen Auftrag Israel vor Bedrohungen zu schützen mit professionellem Ernst an- und wahrgenommen haben. Im Ton verbindlich und aufgeklärt blitzen nur an manchen Stellen die Härten und Emotionen eines Kampfes auf, der immer davon geprägt ist, dass auf beiden Seiten vor allem Zivilisten die Opfer des Konflikts sind. Hart zu ertragen ist die Interview-Sequenz mit Avraham Shalom, der leidenschaftslos über das Schicksal zweier nach einer Busentführung in israelischer Gefangenschaft getöteter Terroristen berichtet. Auf die Nachfrage des Interviewers, wo da die Moral, die Ethik bleibe entgegnet Shalom unwirsch "was interessiert Sie das so? Im Kampf gegen den Terror gibt es keine Moral". Auch die Antworten der Interviewten zum Thema Verhöre von gefangenen Palästinensern ist für unbeteiligte Zivilisten hart: "Man muß ihnen klarmachen, dass je länger es dauert, es umso schlimmer für Sie wird". Und wenn Karmi Gilon(in dessen Amtszeit das Attentat auf Jitzchak Rabin fiel) über das Schütteln von Gefangenen zum Zweck des Ablegens von Geständnissen/Gewinnen von Informationen berichtet, dann läuft es einem kalt über den Rücken. Der Regisseur versteht es, seinen Film bewusst rational und ohne Wertung der beteiligten Konfliktseiten zu präsentieren. Ein großer Teil widmet sich auch den innenpolitischen Verwerfungen die eben in der Ermordung von Rabin nach dem Friedensschluss Israels mit der PLO mündeten.
Die große Überraschung für den Zuseher ist allerdings die im Laufe des Films zur Schau getragene Wandlung der Personen. Alle Beteiligten halten die Art und Weise wie Israel mit den Palästinensern im Laufe der Jahre umgegangen ist für falsch. Die These des israelischen Philosophen Leibowitz, wonach die langjährige Besetzung der palästinensischen Gebiete zur Herausbildung eines Polizei- und Spionagestaats geführt hätte mit entsprechender Verrohung auch des israelischen Volkes wird von einem der Interviewten vollinhaltlich bestätigt.
Ihnen allen ist bewußt, dass das bewusste Töten von palästinensischen Terroristen immer neue Kämpfer produziert. Das Zitat "Der Sieg lässt Dich leiden" wurde von einem palästinensischen Delegationsmitglied geäußert. Er meinte im Rahmen von Gesprächen während der zweiten Intifada, dass die palästinensische Sache sich vor einem Sieg sehe. Auf die indignierte Frage seines israelischen Gegenübers wie das angesichts der israelischen militärische Erfolge sein könne, meinte er, "dass die Palästinenser mit der Intifada und den parallelen Busattentaten ein Gleichgewicht des Schreckens gegenüber ihren israelischen Gegnern hergestellt hätten" - Israels Militär würde zwar vielleicht Schlachten gewinnen - der Krieg aber würde niemals gewonnen.
So ist das Resumee der Interviewten geprägt von der Aussage, dass alle Ex-Direktoren das aktive Gespräch mit ihren palästenischen Gegnern suchen würden. "Gewalt bringt keinen Frieden. Nur im Gespräch findet man Lösungen" ist eines der nachhaltig im Gedächtnis des Zusehers verbleibenden Zitate.
Und vor allem "wenn Du aus dem Dienst ausscheidest, stehst Du politisch ein wenig links" über die Wandlung die der permanente Kampf, die permanente Wachsamkeit in einem Menschen hervorruft.
Zurück bleibt der aussenstehende Zuseher, der am Ende dieser großartigen Dokumentation etwas mehr über einen Konflikt weiss, der seit Jahrzehnten über unsere Fernseher flimmert.
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