Der Chef der Wiener ÖVP(ja genau - die Partei, die einmal für das bürgerliche Lager stand) möchte jetzt also einen morgendlichen Treueschwur auf die Republik Österreich und ihre Werte verpflichtend an den Schulen des Landes einführen. Da wir nach seinen Worten "mit anderen Kulturen konfrontiert sind", sei es unabdingbar, "das unsere Werte und Leitkultur von allen akzeptiert werden". Nun, die Idee hat sich Hr. Blümel ja nun offensichtlich vom österreichisch-nordkoreanischen Freundschaftskomitee übermitteln lassen - doch ich glaube, dass sogar Kim Jong-un(seines Zeichens aktueller Diktator) bereits eingesehen hat, dass solche Rituale zumeist nur Lippenbekenntnisse hervorbringen. Aber der erste Schritt ist gesetzt, und vielleicht erfreut uns Hr. Blümel demnächst auch noch mit Vorschlägen zur Einführung einer Jugendweihe, eines verpflichtenden Dienstes in der Landwirtschaft, oder ähnlich realitätsnaher Ideen(vielleicht mal in der Zeit der Heimwehr recherchieren?).

Vielleicht sollten die Damen und Herren der ÖVP aber bevor sie so einen hanebüchernen Unsinn in die Welt hinausposaunen einmal darüber nachdenken, ob auch österreichische Kinder/Jugendliche überhaupt diese eingeforderte Loyalität zu schwören bereit wären. Welchen Grund hätten sie dafür? Denn prinzipiell, und das muss einmal schonungslos ausgesprochen werden, ist unsere Republik ein Paradies der Rentner und Beamten.

Bildungssystem? Seit gefühlten 1000 Jahren eine Baustelle - die Sanierung dieser Baustelle scheitert unter anderem(oder vor allem wegen) den ÖVP-nahen Beamtengewerkschaftern. Ist ja auch egal, ob unsere Kinder/Jugendliche eine zukunftsgerichtete qualitative Ausbildung erhalten - wichtig ist doch viel mehr, ob Herr/Frau Professor nicht zu viel an der Schule anwesend sein muss. Angesichts der aktuell veröffentlichten Zahlen zum Thema Lese- und Rechenschwäche von Schülern ist es außerdem fraglich, ob ein Text zum Treueschwur überhaupt sinnerfassend gelesen werden könnte.

An den Universitäten das selbe Bild. Studieneingangsprüfungen, Aufnahmeprüfungen(jetzt bald auch gegen Gebühr), Massenveranstaltungen, zum Teil grottenschleche Infrastruktur - und für viele Studenten das aha-Erlebnis, das ihr Reifeprüfungszeugnis an den heimischen Unis und FH´s nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es gedruckt wurde.

Arbeitsmarkt? Aktuell 500.000 arbeitslose Österreicher. 25% der Pflichtschulabsolventen finden keinen Job. Perspektive? Besser nicht darüber nachdenken, wenn man die Wortmeldungen der AMS-Geschäftsführung und des neuen Sozialministers genauer liest/hört.

Pensionssystem? Es ist bezeichnend, dass erst nach Urgenz durch die aktuelle Vorsitzende der ÖVP-Pensionistenorganisation ein Vertreter der Jugend zum Pensionsgipfel geladen wurde. Das ist aber nur ein weiterer Fettnapf in einem System, dass nur darauf abzielt aktuell 2,5 Mio Pensionisten als Parteigänger zu halten. Was mit den heute 15-25jährigen und folgenden Generationen passiert, wie diese den Ruhestand angesichts des immer stärker werdenden Zugriffs des Staats auf Privatvermögen(Immobilienwertzuwachsbesteuerung, Steuern auf Wertpapiere,...) bei gleichzeitiger Tendenz zur Marginalisierung der zu erwartenden Pensionszahlungen(es darf sich schon heute vor den Ergebnissen der Verhandlungen der zuständigen Minister gefürchtet werden) bestreiten sollen - keine Ahnung, aber auch kein Lösungsansatz. Auch hier war die ÖVP massgeblich an der (oft sehr frühen) Pensionierung von Tausenden Beamten Mitte der 2000er Jahre beteiligt.

Präsenzdienst? Mit tätiger Hilfe der wählenden Pensionisten wurde ein krankes System der Wehrpflicht am Leben gehalten. Gleichzeitig wurde das System Bundesheer krankgeschrumpft. Aus eigenen Einblicken in den Präsenzdienst meiner Söhne kann ich nur sagen - aktuell die unsinnigsten sechs Monate im Leben eines jungen Mannes.

Führerschein auf Probe? Zum wiederholten Male nimmt das Kuratorium für Verkehrssicherheit den Anlauf die Frist für die Befristung des Probeführerscheins zu verlängern. Dies obwohl es seit 1997 keine aktuellen Daten hinsichtlich Korrelation Probeführerschein/Unfallhäufigkeit mehr gibt. Auf die Idee, zu hinterfragen, wie es denn mit der Verkehrssicherheit der heute 70+jährigen Verkehrsteilnehmer steht kommt dabei interessanterweise niemand.

Politisches System? Korruption, Mauschelei und Freunderlwirtschaft wohin man blickt. Das so "gerechte" Justizsystem hat definitiv Sehschwächen, wenn es darum geht Mächtige in die Schranken zu weisen.

Aus dieser Perspektive ist es schon sehr zu hinterfragen, worauf denn da so gepocht wird, bei diesem "Treueschwur". Welcher Leitkultur soll denn da gehuldigt werden? Der, des "ich hole mir aus meinem Job das meiste raus"?

In ihrem krampfhaften Bemühen, möglichst jede populistische Strömung unserer Zeit abzudecken bewegt sich die ÖVP mittlerweile auf sehr sehr dünnem Eis. Für ihre Stammwähler kaum mehr ertragbar, für die anderen nicht rechts genug - so sieht es aus, wenn man alle Werte und Ideale, die eine Organisation einmal ausmachten über Bord wirft.

Da kann es schon einmal passieren, dass ÖVP für "Österreichs vernachlässigbare Partei" stehen wird.

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

hpummer

hpummer bewertete diesen Eintrag 15.02.2016 04:48:12

WasMichBewegt

WasMichBewegt bewertete diesen Eintrag 14.02.2016 17:12:09

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.02.2016 15:59:47

5 Kommentare

Mehr von Cossberger