Ich habe den Neujahrstag genutzt, um mir Gedanken zu machen - worüber? Nun, 373 Facebook-Nutzer haben meinen Blogpost über die Sinnhaftigkeit der jährlichen Silvesterknallerei kommentiert. Gefühlte 350 davon haben in zumeist verbal drastischer Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie meine Forderung für die Flüchtlinge auf Knallerei und Feuerwerk zu verzichten zutiefst missbilligen.

Das Problem dabei: Ich habe in meinem Blogpost Flüchtlinge mit keinem Wort erwähnt, und auch die inkriminierte Forderung nie gestellt.

Vorab, ich halte mich für kein Weichei - mir kommen nicht die Tränen, wenn jemand lauter mit mir spricht oder anderer Meinung ist. Ich poste mit meinem Klarnamen, weil ich der Meinung bin, dass man zu seinen Worten und Taten stehen sollte. Das ist etwas, was ich auch von anderen im Bezug auf Blogging und Kommentare erwarte: Der Autor eines Kommentars sollte seine Meinung in der von ihm gewählten Form nur dann ausdrücken, wenn er sie dem Empfänger auch von Angesicht zu Angesicht so ins Gesicht sagen würde - und hier habe ich bei den meisten Kommentatoren (Gott sei Dank) noch meine Zweifel.

Blogging und virtuelle Diskussion über Internetplattformen/foren ist in Österreich noch immer eine eher junge Kultur/Bewegung. Wie mit allen neuen Entwicklungen gibt es auch in diesem Bereich eine Phase des Sturm und Drangs. Begeisterte Teilnehmer werfen sich mit Verve in die Sache und versuchen ihr "Baby" voranzubringen. Doch wie auch mit kleinen Kindern muß man bei social media Plattformen und Kommunikationsformen Erziehungsmassnahmen einsetzen, um das geliebte Kind in weiterer Folge vor unliebsamen Entwicklungen zu schützen. Und die Tendenz ist klar: Der Internet-Poster ist ein Wesen, dass augenscheinlich annimmt, dass die Dinge oder Meinungen die er im world-wide-web absondert nicht so genau zu nehmen sind.

Da werden die Basics der gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensregeln schnell über Bord geworfen und man gefällt sich in der Rolle des Steinzeit-Menschen: Bist du anderer Meinung als ich, dann bekommst du meine Keule zu spüren. Die Keule das ist verbale Herabsetzung, das Absprechen der Lebens/Meinungsberechtigung, die Drohung (wenn wir dann einmal etwas zu sagen haben,...)....

Dieses Verhalten auf eine bestimmte politische Ausrichtung zu fixieren, halte ich für falsch: Ist es am rechten äußeren Spektrum sehr oft der Holzhammer als Wahl der "Waffe", so gefällt man sich auf der linken Seite des Pendelschlags in der Rolle des Überintellektuellen der sein Gegenüber einfach für ein wenig simpel gestrickt erklärt, und daher nicht fähig die richtige Meinung zu erkennen. Die von so vielen Usern in Anspruch genommene Meinungsfreiheit gilt dann halt für den anderen User nicht - ist uns aber auch egal! Dieses Prinzip gilt sicher nicht nur im politischen Bereich, auch andere "hoch emotionale" Diskussionsthemen (Tierschutz,....) zeigen starke Tendenzen die eigene Meinungsfreiheit zu fordern und dem Rest der Menschheit ebendiese(aus vorgeblich pädagogischen Gründen) wegnehmen/reduzieren zu wollen. Auf die Gefahr eines mittleren Erdbebens hin: Ich empfehle jedem, der diese These überprüfen möchte einen Blogpost zum Thema "Wie ich in China Hundefleisch lieben lernte" zu verfassen - viel Spass dann auch mit den Feedbacks!

Erschütternd wirkt in diesem Zusammenhang auch das immer stärker in den Vordergrund kommende "Egal worüber AutorIn schreibt - Ich poste einfach was ich anderen Menschen raufdrücken will". Lese ich die Kommentare zu meinen Blogposts, so habe ich zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Entweder nehme ich an, dass die betreffenden Personen in der Schule nicht sinnerfassendes Lesen gelernt haben, oder ich muss davon ausgehen das es darum geht Druck aufzubauen um eine bestimmte Meinung zu pushen. Das Problem beim Medium Internet ist dabei aber, dass es hier nicht um absolute Zahlen, sondern um Mobilisierungsgrad geht. Es zählt nicht die Meinung der Vielen, sondern nur die Meinung der am lautesten Schreienden. Was sich hier aufbaut(und das Thema Flüchtlingskrise war ein gutes Studienobjekt) ist ein Szenario, in dem ungewünschte Meinungen einfach durch die Menge der pöbelnden Kommentatoren verdrängt werden(es ist in diesem Zusammenhang schon auch bezeichnend, dass in österreichischen/europäischen Medien die Diskussionsforen zu bestimmten Artikeln gesperrt werden). Das diese Vision durchaus Realität werden kann, haben schon einige global agierende Unternehmen aber auch Politiker schmerzhaft zu spüren bekommen: Das schöne Wort "shitstorm" zeichnet ein gutes Bild, worum es dabei geht: Jemand findet etwas nicht gut, mobilisiert Menschen der gleichen Meinung/Gesinnung und man beginnt(ähnlich dem Mittelalter) den "Bösen" mit (virtuellen) Exkrementen zu bewerfen. Das ganze gewinnt an Eigendynamik und ist (selbst für den Auslöser) ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu steuern - das waren Methoden öffentlicher Ächtung/Bestrafung in früheren Zeiten aber auch nicht.

Wenn wir nicht wollen, dass unser Recht auf Meinungsfreiheit durch die Pöbler und Meinungsterroristen zunehmend eingeschränkt wird, dann sollten wir uns 2016 vor allem auch selbst einmal an der Nase nehmen. Reflektieren wir einmal über die Art und Weise wie wir diskutieren - Internet ist leider Gottes auch ein schnelles Medium, das vor allem durch kurze Äußerungen funktioniert. Üben wir uns in der alten Kunst des Diskurses - das setzt voraus, dass man einen Text liest, darüber nachdenkt und dann in gewählten Worten eine eigene(durchaus auch anderslautende) Meinung kommuniziert. Aber auch Plattformen und Forenbetreiber sind gefordert: Es geht nicht primär darum, Inhalte von Blogposts von Anwälten auf ihre juristische Problematik(Stichwort Verhetzung) überprüfen zu lassen. Es geht darum, den Usern klar zu machen, dass es Regeln und Verhaltensweisen gibt die schlicht nicht erwünscht sind. Auch wenn es um Geschäftsmodelle geht, kann man diesen Zugang verfolgen - besser 50 registrierte pöbelnde und Terror verbreitende User weniger als den möglichen Verlust von Werbepartnern und vernünftigen Schreibern zu riskieren. Auch die Frage, ob wir nur mehr eine Gesellschaft der "popularity contests" und Quotenzombies sein wollen muss in diesem Zusammenhang gestellt werden. Wenn wir uns alle ein wenig bemühen, dann schaffen wir im neuen Jahr sicher einen Quantensprung im Bereich Umgang mit dem Anderen.

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang noch bei den Fisch&Fleisch-Usern morpheus und bernd.tack für ihre Inspiration bedanken - :) Sarkasmus

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