Wir haben Donnerstagabend also das große Vergnügen, unsere KandidatInnen im Staatsfernsehen in Kurzdiskussion aufeinandertreffen zu sehen. Es gab wenig Überraschungen, wenn man von der doch sehr emotionalen Diskussion zwischen den Vertretern der Regierungsparteien absieht. Zurück bleibt man als Wähler mit einer großen Leere und der angesichts des nahenden Wahltermins drängender werden Frage: Wen soll ich wählen?

Auch wenn Andreas Khol gestern wieder etwas an Form gewonnen hat, so wurden sowohl er als auch Hundstorfer in den Diskussionen klar als Relikte einer vergangenen Zeit erkennbar. Die Mischung aus Eigenüberschätzung und Präpotenz der Mächtigen, die hier bei ansonsten kaum vorhandenen Inhalten vorgetragen wurde, lässt den Zuseher doch sprachlos zurück (besonders auffällig: Hundstorfers Aufforderung an Griss, ihre Plakatständer genehmigen zu lassen, aber auch seine Frage an Hofer, ob dieser seine Waffe mit ins Parlament nehme).

Auch der grüne "unabhängige" Kandidat Alexander van der Bellen kann nach wie vor nur in Teilen überzeugen. Zu konstruiert wirkt seine Darstellung seiner "Unabhängigkeit", zu realitätsfremd sind auch zum Teil seine Inputs zum Thema Flüchtlingskrise (wir haben all jenen, die nicht nach Österreich kommen konnten ihre zukünftige Heimat genommen?).

Norbert Hofer wiederum hat zwar den Vorteil, dass er Kraft seines Alters eine dynamische Erscheinung abgibt. Hinter seinen auf staatstragend getrimmten Aussagen (die allerdings bei genauerem Hinsehen aus regelmäßig wiederholten 5-7 Stehsätzen wie etwa "Gummigeschosse gegen Demonstranten in der Türkei", "Erdogans Frau preist die Vorzüge des Harems" bestehen), blitzt dann aber dann doch das eine oder andere Mal eine gar nicht so staatstragende Nähe zur FPÖ-Ideologie auf. Auch die Frage, ob Hofer wirklich ein parteiübergreifender neutraler Bundespräsident wäre, kann aufgrund seines permanenten Liebäugelns mit dem Thema "Regierungsabberufung" nicht wirklich bejaht werden.

Griss war die positive Erscheinung des gestrigen Abends - sowohl äußerlich als auch von ihren Wortmeldungen her (ihre Forderung an Hundstorfer auch seine Finanzierungen offen zu legen: großes Kino) – war sie gestern ein Idealbild einer unabhängigen Kandidatin. Ob sie allerdings auf Grund ihrer fehlenden Erfahrung im tagespolitischen Alltagsgeschäft wirklich als Bundespräsidentin die notwendige Durchsetzungskraft hätte, bleibt offen.

Richard Lugner wiederum wurde vom ORF einfach nicht eingeladen, und hat statt an den Diskussionen teilzunehmen vor dem Sendegebäude Freibier ausgeschenkt.

Klar muss jedem Beobachter nach diesem Abend sein:

- Die aktuelle Situation hinsichtlich der antretenden Kandidaten ist wohl eine klare Repräsentanz, wo sich unser politisches System aktuell qualitätsmässig befindet: Nahe dem Nullpunkt

- Die Offenbarung seitens Hundstorfers, dass er für seinen Wahlkampf ca € 3 Mio verbraucht, ist absoluter Wahnsinn: Denn das heißt dann unter Hochrechnung vergleichbarer Zahlen für die anderen Kandidaten, dass der Wahlkampf zum Bundespräsidenten wohl in etwa € 9-10 Mio verschlingt, die in Form von Parteienfinanzierungen wohl zu einem Großteil von den Steuerzahlern zu berappen sind.

- Die beiden ModeratorInnen des ORF wirkten über weite Strecken unmotiviert, überfordert und uninspiriert - vielleicht könnte man beim nächsten Mal einfach nur mehr Bildschirme mit den Fragen verwenden, oder vielleicht einen Roboter? Unsere Zwangsgebühren sollten dafür reichen

- Das demokratiepolitische Verständnis der ORF-Führung ist katastrophal. Die Nichteinladung eines von der Wahlkommission akzeptierten Kandidaten zu einer solchen Diskussionsrunde ist in einer westlichen Demokratie, wie Österreich immer vorgibt zu sein einfach ein "no-go". Wie auch immer man zu Richard Lugner stehen mag - wer sagt, dass es nicht das nächste Mal einen van der Bellen trifft, oder einen Repräsentanten einer anderen Partei, der aus dem einen oder anderen Grund Seitens der Regierungsparteien keine Sendungszeit bekommen soll? Wer sagt uns, dass nicht auch in der alltäglichen Berichterstattung über innenpolitsche Themen Seitens des ORF Entscheidungen über zu transportierende Inhalte getroffen werden? Da wir alle zur Erhaltung dieses Senders beitragen, sollten wir auch vermehrt und lauter die Einhaltung journalistischer Qualitätskriterien einfordern.

- Wie dünn sich die Personaldecke der österreichischen Medienlandschaft und deren Qualität im Allgemeinen präsentiert, konnte man anhand der in den Pausen eingespielten Kommentatoren sehen. Hier hat man seitens ORF wohl wirklich nur dafür gesorgt, dass alle "einzuladenden" Medien vor Ort waren.

Wie auch immer, die Wahl rückt näher, und man bleibt als Wähler fassungslos zurück - im Hinterkopf eine Textzeile aus einem Franz Morak Song: "Ich hab sie gesehen, und weiß genau - Sieger sehen anders aus"

Screenshot/ORF TV Thek

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