Manchmal brauche ich Abstand vom Alltag, Ausgleich, dann fordere ich neue Erfahrungen bewusst heraus. Mein (studentischer) Alltag besteht darin, juristische Lehrbücher oder Entscheidungen zu lesen, dazu eigene Ideen niederzuschreiben, etwa in Form einer Seminararbeit. Wenn ich also Ausgleich vom Schreiben suche – dann schreibe ich Buntflüge. Vor kurzem habe ich meinen zweiten Buntflug fertiggestellt, deswegen möchte ich diese Plattform als Chance nutzen, euch mein aktuelles Werk vorzustellen. Weiter unten findet ihr eine Leseprobe, das Gesamtwerk (erster und zweiter Buntflug) stelle ich bei Interesse gerne zur Verfügung!

Was ist das nun, ein Buntflug? Es ist ein literarisches Experiment, mit 12 Kapiteln - für jeden Monat eines. Ich bilde in diesem Zyklus verschiedene Situationen ab, wie Jugendliche zueinander finden, sich über alle Konventionen hinwegsetzen, allein durch ihre Handlungen und Dialoge einzigartig werden und so für frischen Schwung in meinen Kurztexten sorgen. Ich habe bewusst wieder zwölf Kapitel geschrieben (auch wenn mir anfangs diese Zahl unerreichbar schien, so viele unterschiedliche Szenen kann ich doch gar nicht abbilden, dachte ich mir), um die Vielfalt und Buntheit der Jahreszeiten miteinfließen lassen zu können. Die Buntflug-Werkreihe ist eine Kurzgeschichtensammlung, eine Methode, die wesentlichen Inhalte einer Story kompakter zu vermitteln.

Inhalt Buntflug 1: Die ersten beiden Erzählungen haben Snowboarden, Wintersport, Urlaub, Schneewanderungen und gewagte Rodelpartien zum Thema. Anschließend folgt eine Geschichte an der frischen Luft, abends, im Freibad - ein literarischer Genuss. In der wärmer werdenden Jahreszeit steht eine Motorradrundfahrt an, ein unmöglicher Traum und egoistische Jugendliche prägen die Seiten. Gegen Herbst hin philosophiere ich über interkulturelle Differenzen, eingeschränkte Sehkraft und die damit verbundenen geschärfteren Tast- und Hörsinne. Dieses Büchlein wird von einem Spaziergang über den Salzburger Weihnachtsmarkt abgeschlossen, und der Frage, wie man die Frage aller Fragen fragen soll.

Inhalt Buntflug 2: Ich bin der Auffassung, dass sich die moderne Gesellschaft zunehmend in eine immense Gruppe von Leuten entwickelt, die immer weniger direkt & offen miteinander reden möchten. So zum Beispiel im Jänner, wo eine Blume die Beziehungen sprichwörtlich killt, oder im Mai (auch am Cover abgebildet), wo zwei Jungs mit den Mädls hauptsächlich darüber sprechen, wie sie gut auf andere wirken, was sie an- oder ausziehen sollen und wie sie effizienter zu höheren Einnahmen kommen. Als weiteres Beispiel sei hier der September angeführt, wo der Vater nicht mit seiner Tochter klarkommt und ihre Kommunikationsformen radikal verändert/einschränkt. Grenzerfahrungen, Maskierung, Stalking, Eifersucht, Fremdgehen und unverschämte Forderungen – alles mit dabei.

Buntflüge können vielleicht noch keine Konflikte lösen, aber sie können inspirierend wirken, Veränderungen zuzulassen und sich mit neuen, spannenden Konstellationen auseinanderzusetzen. Hier folgt eine Leseprobe, das Gesamtwerk (erster und zweiter Buntflug) stelle ich bei Interesse gerne zur Verfügung!

Leseprobe (Buntflug 2, August):

Lykke er fravær af ulykke

Hi, ich bin Casper Rasmussen.

Du fragst dich vielleicht, was ich in diesem Büchlein verloren habe.

Meine eigene Lebensgeschichte kommt mir wie ein Flug im Nirvana vor. Jede Nacht, alleine im Dunkeln. Ich bin der, der das Licht macht. Glitzern in den Augen, die coolsten Parties.

Ich bin 30 Jahre alt und Selfmade-Milliardär.

Du kennst meine Erfindung sicherlich!

An der technischen Hochschule in Kopenhagen habe ich vor gut zehn Jahren ein intuitives Bedienfeld entwickelt, das ursprünglich für DJs gedacht war. Mit der einen Hand konnte man Licht- und Soundmischungen einspielen, mit der anderen tippte man auf einem ca. 10*10 cm großen und schwach elektrisch geladenen Feld herum – so entstanden jedes Mal einzigartige Tonfolgen.

Diese Technologie wurde mir kurz darauf von Apple abgekauft und kam ab 2007 im iPod Touch zum Einsatz.

Nun ist nahezu jedes Multimedia-Device mit meinem Touch-Screen ausgestattet. Jawohl, ich habe es geschafft!

Ich habe mir alle Träume erfüllen können, bin seit 2006 als professioneller DJ rund um die Welt getourt. Stadien-Tournee, alles ausverkauft.

Mir gehören zig Bars und Software-Firmen rund um den Globus, ich lebe einfach mein Hobby!

Heute lebe ich zusammen mit meiner Freundin Lavinia Johansson (sie arbeitet hin und wieder als Double für ihre Zwillingsschwester Scarlett) auf Malta, im Hafen steht meine 46 Meter lange Yacht.

Ich lege immer noch ab und zu in meinen eigenen Discos auf, aber mir fehlt etwas im Leben. Ich weiß bloß nicht genau, was.

Samstagmorgen, die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel.

Die Terrassentüre steht einen Spalt weit offen.

„Lavinia?“, rufe ich hinaus.

„Guten Morgen mein Schatz, du bist ja auch schon wach!“

Sie lässt ihr schwarzes Spitzen-Höschen zu Boden gleiten und setzt sich zu mir an die Bettkante.

„Ich will nur, dass du glücklich bist“, meint sie und legt ihre Hand in meine.

Wortlos klappt sie die Bettdecke beiseite, streift routiniert meinen Slip ab und fängt an, auf mir herum zu wippen.

Fast schon erstaunlich, dass sie immer noch nicht schwanger ist, obwohl sie dieses Programm beinahe jeden Morgen abzieht.

Kaum hat sie, was sie will, ist sie auch schon wieder weg …

Bald darauf kommt sie mit strengem Dutt und hochgeschlossenem Designer-Anzug wieder aus unserem begehbaren Kleiderschrank heraus.

„Du, ich nehm‘ heute den weißen Lambo, ich muss noch ein paar Dinge regeln, es könnte länger dauern“, sagt sie beim Hinausgehen.

Die Türe fällt ins Schloss, ich seufze auf.

Heute Morgen ist mir das erste Mal eine Art Distanz zwischen uns aufgefallen.

Viel geredet haben wir ja nie, aber sie ist so eigenartig bestimmend, fragt mich nicht einmal, ob ich gerade Lust habe.

Alles dreht sich um sie, und eine falsche Grundannahme kann ich an dieser Stelle auch widerlegen – Geld allein macht nicht glücklich, das hätte ich schon bemerkt.

Sie orientiert sich strikt an gesellschaftlichen Normen, will mich heiraten und mit mir Kinder bekommen.

Ich fürchte mich ehrlich ein wenig vor dem Tag, an dem sie mir einen Heiratsantrag macht und ich vor dieser schweren Entscheidung stehe. Ich will mich nicht ein Leben lang an eine Frau binden, die mir keinen weiteren Raum für eigene Entwicklungen gewährt. Sie hat mitangesehen, wie ich in Stockholm aufgelegt habe, sie war die erste Dame an diesem Abend, die mir einen Musikwunsch zukommen hat lassen.

Nach der Party haben wir noch ein wenig geredet, und ich hab sie ins Hotel mitgenommen.

Das ist schon länger her – in der ersten Phase war ich total verliebt. Diese Aufmerksamkeit, ihr war mein Geld egal, sie schien ehrlich an mir interessiert.

Seit einiger Zeit fehlt mir der Antrieb, außergewöhnliche Ziele zu verfolgen. Ich kann mir fast alles auf der Welt kaufen, ich war auf allen Kontinenten – ja sogar schon im Weltall. Ich habe so gut wie jede Extremsportart ausprobiert, ich habe einen Haibiss, einen Selbstmordanschlag und einen schweren Motorradunfall (Rallye Dakar) überlebt.

Heute will ich mal ganz normale Dinge machen, was andere Leute sonst auch erleben.

Lavinia hat gemeint, dass sie ohnehin erst später nach Hause kommt, also fahre ich mal hinüber zum Shoppingcenter, mal sehen, was dort so los ist.

Schließlich stehe ich mit einer Musikzeitschrift und einem Sixpack an der Kasse.

„Zwei fünfzig für das Magazin und sieben Euro für das Bier“, sagt die Verkäuferin.

„Kostet ein Sixpack wirklich schon sieben Euro?“, frage ich entrüstet – obwohl mir das Geld ja eh egal sein könnte.

„Einen Moment, ich schaue am Regal nach“, meint sie und verschwindet im hinteren Teil des kleinen Geschäfts.

Aus Langeweile ziehe ich den Autoschlüssel und schlitze eines der Süßigkeiten-Päckchen auf, das neben der Kassa hängt.

Sie kommt zurück und schaut entsetzt auf das Förderband, wo bestimmt zwanzig klebrige Bonbons draufliegen.

„Na warte, die bezahlst du“, sagt sie verärgert und tippt auf der Registrierkasse herum.

„Nein“, entgegne ich.

„Was ist eigentlich dein Problem?“, will sie wissen.

Bisher wurde ich nur von Lavinia gedutzt, das traut sich sonst keine. Ganz schön freches Mädl, dunkelbraune Kurzhaarfrisur und rückenfreies Top, ‚MYAH‘ steht auf ihrem Namensschild und sogar ein künstlerisch wertvolles Tattoo (Engelsflügel) am Rücken. Oh man, Lavinia hätte so ein Teil niemals an, und tätowieren würde sie sich nie.

„Ich habe einfach ein langweiliges Leben“, höre ich mich wahrheitsgemäß sagen. „Ich kann mir alles kaufen, was ich haben will. Ich habe nie irgendwas zu tun, das nimmt mir alles mein Personal ab.“

„Weißt du was? In einer halben Stunde bin ich hier fertig und hole meinen Sohn von der Nachmittagsbetreuung ab. Du hast noch was gut zu machen, wie wär’s, wenn du heute für uns Abendessen kochst?“, schlägt sie vor.

„Meinetwegen, aber ich hab sowas noch nie gemacht!“

„Okay, ich bringe dir nachher Kochen bei.“

Ich bin mittlerweile beim zweiten Bier, habe die Zeitschrift komplett durchgeblättert, da kommt Myah aus dem Geschäft heraus.

„Na los, ich habe alles dabei“, meint sie.

Ich gehe mit ihr hinunter in die Parkgarage, zum violetten CCX.

„Wahnsinn, der hat bestimmt ein Vermögen gekostet“, staunt sie.

„Ach wo, das war ein Geschenk, aber es stimmt schon, dieses Fabrikat liegt irgendwo bei drei Millionen Listenpreis.“

„Darf ich mal fahren?“

„Klar, aber pass‘ bitte auf.“

Da entdeckte sie das Spruchband „Lykke er fravær af ulykke“ am Schlüsselanhänger. „Wofür steht das?“, wollte sie wissen.

Lavinia hatte sich nie für seine Herkunft interessiert, wollte ihn immer nur im Hier und Jetzt umsorgen. „Das bedeutet, Glück ist bloß die Abwesenheit von Unglück, frei nach Arthur Schopenhauer. Ich zitiere: ‚Daher kann die Befriedigung oder Beglückung nie mehr sein, als die Befreiung von einem Schmerz, von einer Not.‘ Ursache des Unglücklichseins könnte auch die ertötende Langeweile sein, die unser Dasein zur Last macht.“

Myah parkte vor einer heruntergekommenen Wohnhausanlage ein.

„Können wir den Wagen eh hier stehen lassen oder hast du Angst, dass der wegkommt?“

„Weit würde ein Dieb mit meinem Koenigsegg eh nicht kommen, mir gehört das einzige Fabrikat auf der Insel“, lache ich.

Myahs Sohn Matteo wartete schon an der Wohnungstüre. „Wer ist das, Mama?“, fragte er neugierig.

„Hallo mein Großer, ich werde heute für euch kochen, das habe ich deiner Mama versprochen“, antworte ich.

„Was kochst du?“, will Matteo wissen.

„Worauf hast du denn Lust?“

„Spaghetti“, ruft er aus.

„Alles klar, wo ist denn eure Küche?“

„Komm einfach mit, ich zeig‘ dir alles“, sagt Myah.

Nachdem die Nudeln im Wasser schwimmen, schlägt sie ein Geschichtenbuch auf und liest Matteo daraus vor.

„Heute ist ein großer Tag für den Igel! Der Fotograph kommt in die Schule, um Klassenfotos zu schießen. Der Igel ist so klein, dass er sich auf ein Brett stellen muss, um auf dem Bild drauf zu sein. Weißt du, wo das Brett ist?“

„Nein?“, schüttelt Matteo den Kopf.

Ich strecke den Zeigefinger aus, um auf das Brett zu zeigen – doch da gibt mir Myah einen Klaps auf die Hand.

„Lass ihn selbst suchen, er schafft das!“

Stimmt, so wird er nie etwas dazulernen, wenn er immer alles vorgekaut bekommt. Er soll ruhig selbst draufkommen, wo dieser Igel sein Brett versteckt hat. Myah und Matteo leben toll beisammen – sie dürfen sich dem Alltag stellen, ohne vom Personal vorne und hinten bedient zu werden. Sie muss arbeiten gehen, und können sich immer noch nicht alles leisten. Sie muss sparen. Sie lebt auf Malta und hat noch nie einen anderen Winkel von der Erde gesehen – und sieh sie dir an, wie glücklich sie aussieht!

Ich hole mir mit einem Blick ihr Einverständnis, sie über den Rücken streicheln zu dürfen, dort wo ihr Engelsflügel-Tattoo ist.

Ein magischer Moment!

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

1 Kommentare

Mehr von creatino