Haben Sie heute schon Ihren Tagesbedarf an Bürokratie gedeckt?

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die neugierig im Privatleben anderer Mitmenschen wühlen möchten. Und ich kann nachvollziehen, dass sich der Staat sehr für das Privatleben seiner Bürger interessiert. Was nun passiert, wenn ein auf Datenschutz bedachter Mensch, der eine Immobilie stilllegen möchte, auf ein Bündel an neugierigen Menschen trifft, lest ihr hier.

Szenario #1: Abmeldung der Restmülltonne.

Jeder Grundstückseigentümer muss an die öffentliche Müllentsorgung angeschlossen sein – so steht es sinngemäß im Gesetzestext. Auch wenn dieser gar nicht dort wohnt – weil er könnte ja dennoch am Hauptwohnsitz Müll produzieren und beim stillzulegenden Grundstück entsorgen wollen. Was tut man nun als Müllgebührenzahler (€ 150,- pro Jahr pro Grundstück!), der keine Restmülltonnen mehr benötigt? Richtig, man spricht beim Müllentsorger vor, um seine Mülltonnen abholen zu lassen. Ganz so einfach geht das dann doch wieder nicht – man muss dazu erst ein Formular wahrheitsgemäß ausfüllen, dieses wird geprüft und dann kommt jemand die Mülltonnen abholen. Aufbau des Formulars:

·         Name, Adresse, Postleitzahl, Telefonnummer

·         Wie viele Personen haben das Haus bisher bewohnt?

·         Unbewohnt seit + Begründung des Antrages

·         Wie entsorgen Sie den Rasenschnitt?

·         Wie entsorgen Sie Abwässer?

·         Strom- und Wasserverbrauch?

·         Telefonanschluss?

·         Wie heizen Sie?

·         Datum, Unterschrift

Das einzige, was ich daran nachvollziehen kann, ist die Adresse und die Unterschrift – wenn es schon nicht möglich ist, seinen Abmeldewunsch mündlich kundzutun. Alles andere deckt bloß meinen ohnehin vergleichsweise niedrigen Tagesbedarf an Bürokratie. Wie hängt der Stromverbrauch oder das Vorhandensein eines Telefonanschlusses mit der Abmeldung der Restmülltonne zusammen? Aufrichtig erstaunt waren die Bürodamen, dass ich in diesem Haus nicht meinen Hauptwohnsitz haben möchte („Aber irgendwo müssen Sie doch wohnen? Ja, wo haben Sie denn Ihren Hauptwohnsitz?!“). Fetzig ist auch die Begründungspflicht, warum man dieses Haus nicht bewohnt – könnt ihr mir da einen kreativ-bissigen Tipp geben, was ich dort eintragen soll?

Szenario #2: Sozialversicherung der Bauern.

Rund um das stillgelegte Gebäude (Wasser und Strom abgedreht!) befinden sich etwa zehn Obstbäume und steile Böschungen, wo einige Himbeersträucher wachsen. In regelmäßigen Abständen möchte die Sozialversicherung der Bauern wissen, ob ich das Obst ernte und verkaufe – und somit sozialversicherungspflichtig werden würde.

Seit 2003 hat niemand auf diesem Grundstück gewohnt und war niemand im Melderegister eingetragen. Beide Zufahrten von der Straße sind mittlerweile so stark verwachsen, dass man sich als Mensch mit einer Körpergröße von 1,65 Metern stark bücken muss, um nicht an den stachligen Rosenbüschen hängen zu bleiben. Der Sachbearbeiter der Behörde bleibt stur: solange Grünflächen mit Obstbäumen existieren, muss ich alle zwei Jahre ein mehrseitiges Formular ausfüllen:

·         Name, Adresse, Postleitzahl, Telefonnummer (am besten die Nummer vom inexistenten Festnetztelefon?)

·         Grünflächen in Quadratmeter (soll man die steilen Böschungen horizontal oder schräg vermessen?)

·         Ausbildung und aktuell ausgeübter Beruf aller Bewohner

·         Welche landwirtschaftlichen Maschinen setzen Sie ein? Beschäftigen Sie Fachkräfte, die mit diesen Maschinen umgehen können?

·         Welche Obstbäume (Arten und Sorten) haben Sie angepflanzt? Wie viel Ertrag (in Kilogramm) haben Sie von allen Bäumen zusammen? Verkaufen Sie das Obst? An wen? Was verdienen Sie dabei?

·         Welche Gemüsearten und –sorten haben Sie angepflanzt? Wie viel Ertrag (in Kilogramm) haben Sie? Verkaufen Sie das Gemüse? An wen? Was verdienen Sie dabei?

·         Welche Gräserarten (zB. Gras, gelber Klee, Schafgarbe) wachsen auf dem Grundstück?

Das Traurige an den beiden Szenarien: ich habe extra nochmal im Kalender nachgesehen, ob Faschingsdienstag oder der erste April ist – vom Datum her sind diese beiden Szenarien der volle Ernst der Behörden! Wenn ich nicht wahrheitsgemäß angebe, ob ich einen Telefonanschluss habe (wobei das HABEN zweideutig formuliert ist: es kommt ein Kabel aus der Wand heraus, wo man theoretisch vor 20 Jahren ein Festnetztelefon anschließen hätte können, aber es hängt eben kein Apparat daran – habe ich nun einen Telefonanschluss?), kann ich meine Restmülltonne nicht abmelden. Und wenn ich nicht in der Lage bin, die Sorte meines vor 20 Jahren wild aufgegangenen Birnbaumes zu bestimmen, mache ich mich strafbar! Nebenwirkungen der Überdeckung des Bürokratie-Tagesbedarfs: akuter Änderungswunsch, den scheinbar kaum ausgelasteten Verwaltungsapparat zu straffen und die Aufforderung, die detaillierte Erhebung solcher Zusammenhänge bei seit 12 Jahren unbewohnten (und mittlerweile auch unbewohnbaren) Grundstücken zu unterlassen.

Einen Spezialfall habe ich in Deutschland gefunden: die Stadt Bamberg[1] möchte bei der An- oder Abmeldung der Windelsackabholung den Namen und das Geburtsdatum des Kindes erfahren. Warum nicht auch gleich den Schlafrhythmus, den Ruhepuls, die zugeführte Nahrung und die exakte Zusammensetzung der Muttermilch? Und am besten zusätzlich ein vollständiger biometrischer Datensatz vom Nachwuchs, um auch in 70 Jahren noch zweifelsfrei feststellen zu können, wem wir diese Sch**** zu verdanken haben!

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Veronika Fischer

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fischundfleisch

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Claudia Braunstein

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