So interessant und ehrenwert die Hintergründe zur Einfärbung der Profilbilder sein mögen – was ist, wenn das alles wieder einmal eine groß inszenierte Facebook-Studie[1] ist? Hier die Details und Hintergründe zur Vernetzung innerhalb eines gigantischen Netzwerkes – und was diese Verknüpfungen über die Individuen aussagen.
Der oberste US-Gerichtshof hat vergangene Woche beschlossen, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in allen US-Bundesstaaten zu ermöglichen. Kurz darauf hat Facebook eine App freigeschalten, mit der man sein Profilbild mit den Regenbogenfarben einfärben kann, um seine Solidarität zu den bislang unterdrückten Menschen auszudrücken und seiner Freude freien Lauf zu lassen. Dieser Trend hat auch vor Prominenten (ua. Arnold Schwarzenegger, hier: weißes Haus[2]) nicht Halt gemacht.
Prinzipiell protokolliert, speichert und analysiert der US-Internetgigant jeden einzelnen Schritt seiner Nutzer. Offiziell, um die Dienste zu verbessern. Oder um relevantere Informationen (Werbung) bereitstellen zu können. Soweit, nichts Neues. Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag[3] dazu geschrieben, welche Möglichkeiten Facebook offenstehen, um diese Daten auszuwerten – bzw. was sich daraus für Arbeitgeber und Unternehmer ableiten lässt. Hier geht es vielmehr darum, den Selbstoffenbarungswillen der Nutzer zu deuten, immerhin handelt es sich bei einer solchen Geste zumindest um ein Anerkenntnis der gleichgeschlechtlichen Paare, man solidarisiert sich, man lässt sich von Trendsettern anstecken (beispielsweise als zwanzigstes Glied in der Kette, auch das sagt einiges über die Reaktionsgeschwindigkeit und Partizipationsfreudigkeit aus), man wäre dazu bereit, einige Arbeitsschritte auf sich zu nehmen (Profilfoto verändern), man interessiert sich für das politische Tagesgeschehen, man lässt sich (leicht) von wichtigeren Dingen ablenken, man ist hier Teil einer polarisierenden Woge, man mag kreative Ansätze ohne sich selbst dazu zu bemühen („Nachahmen von Trends“) – dies alles und vieles mehr trifft wohl auf die Mitmachenden zu.
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Facebook kann nun hergehen und dich anhand der oben genannten Parameter schubladisieren, also zB. als „social insider“ oder „social gateway“ oder „social connector“ einstufen. Das ist facebookerisch – daraus kann man ableiten, welchen Einfluss/Vorbildwirkung du auf deinen Freundeskreis hast, wo bist du „early mover“ (Trendsetter) und wo bist du „follower“. Wie wahrscheinlich nimmst du Empfehlungen an, welche Themen sprechen dich an, welche sexuelle Ausrichtung hast du. Zur Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit: basierend auf wenigen Faktoren (politisches Engagement, Religion, Alter) kann Facebook vorhersagen, ob du bei einem Trend mitmachen wirst – am wahrscheinlichsten wirst du dein Profilbild innerhalb der ersten sechs Botschaften aus deinem Freundeskreis ändern (danach besteht kaum mehr ein Zusammenhang). Umgelegt auf andere Lebensbereiche: wie wahrscheinlich fängst du zu rauchen an, wenn man dir viele Bilder von fröhlichen Freunden mit Zigaretten zuspielt? Wie wahrscheinlich gehst du ins Bordell, wenn deine Freunde häufig dort sind? Achtung: ich habe immer diesen Erpressungs-Gedanken im Hinterkopf, denn sobald Facebook weiß, dass du eigentlich verheiratet bist und deine Freunde allesamt sehr konservativ eingestellt sind – der Analyst in mir könnte zumindest intensiver darüber nachdenken, ob du möchtest, dass alle Welt die Fotos von deinem letzten Vollrausch im Bordell zu sehen bekommst (und dort vielleicht sogar mit deinem Smartphone via NFC bezahlt hast). Facebook kann auch pushend oder hemmend darauf wirken, wie rasch sich dieser Regenbogenfarben-Trend ausbreitet: zeige ich dem Nutzer bloß Freunde, die gerade ihr Profilbild geändert haben oder klammere ich die komplett aus? Dieser Grundgedanke lässt sich auch auf viele andere Großereignisse umlegen, man denke etwa an „Ich habe für Nachbar in Not gespendet“ oder an „Ich war wählen“ an einem Wahlsonntag– Facebook und andere Social Media-Kanäle könnten so vermutlich sogar Wahlen manipulieren (was ich mir darunter vorstelle und wie die rechtlichen Rahmenbedingungen aussehen, dazu werde ich im Sommer eine größere Studie verfassen).
Viraler Werbegag, großangelegte Facebook-Studie oder beides – die Antwort überlasse ich euch. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder über sich preisgeben darf, was und so viel er möchte – mir fehlt da aber immer noch dieser Opt-Out-Button[4], der es mir ermöglicht, dass nicht jede meiner Bewegungen, Ideen oder Aktivitäten aufgezeichnet wird. Denn eins ist klar: es wird auch aufgezeichnet, dass ich bei diesem Trend (wie auch schon beim Eiswasserkübeln oder beim Extrinken) NICHT mitgemacht habe – vielleicht hat das noch folgenschwere Konsequenzen, die ich nicht abschätzen kann (Stichwort: der hat vielleicht was gegen Homosexuelle, der hat dafür kein einziges Like übrig, mit dem mag ich allein deswegen nicht befreundet sein). Herrliche Zukunft, wenn man anhand aller Online-Aktivitäten abgestempelt werden kann. Und wer bei den falschen Trends zu spät reagiert, hat schon verloren …
Das Foto (Buntes weißes Haus) wurde von Gary Cameron aufgenommen.