Der Jahresausklang – also die arbeitstechnisch ruhiger werdende Zeit zwischen Mitte Dezember und Anfang Jänner – ist für mich traditionell eine Phase des Nachdenkens, daher möchte ich auch dieses Jahr wieder mein persönliches Resümee mit euch teilen.

Ich habe mir vor einiger Zeit begonnen, die Frage zu stellen, ab wann man erwachsen ist. Mit 18, sagt das Gesetz aktuell. Aber es verändert sich nicht von gestern auf heute, dass man begreift, was es heißt, erwachsen zu sein. In der letzten Woche hat meine persönliche Einstellung diesbezüglich einen Sprung nach oben gemacht, ich bin auf einen interessanten Definitionsansatz draufgekommen. Erwachsenwerden bedeutet nicht bloß, die Ausbildung abzuschließen (lebenslanges Lernen), über Geld frei verfügen zu können oder selbständig seinen Tagesablauf zu gestalten. Es bedeutet vielmehr, Zivilcourage zu zeigen und soziale Verantwortung zu übernehmen. Die medial gesteuerten Konsumaufrufe rund um das Weihnachtsfest werden heuer stark von der Flüchtlingsthematik überlagert. Eine Kollegin hat zwei Flüchtlinge bei sich zuhause aufgenommen und begleitet sie im Alltag. Diese Flüchtlinge bekommen etwas, das in meinen Augen wesentlich wichtiger ist als ein Smartphone, eine Playstation, Krawatten oder eine Blumenvase: Aufmerksamkeit und gemeinsam verbrachte Zeit. Uns steht es nicht zu, Menschen bloß deswegen auszugrenzen, „weil wir zuerst da waren“. Die Schutzsuchenden haben einen Anspruch darauf, ebenso ein Leben in Frieden und Sicherheit verbringen zu dürfen – wie wir. Daher mein Appell, falls jemand noch nicht alle Weihnachtsgeschenke beisammenhat: zwanzig oder fünfzig Euro vom Geschenkebudget für wohltätige Zwecke abzweigen, das tut uns nicht weh und hilft den neu zum „uns“ hinzukommenden Personen wesentlich weiter. Demut, soziale Verantwortung und Zivilcourage – diese Werte sind aus meiner Perspektive wesentliche Anzeichen fürs Erwachsenwerden.

Neben den bekannten und weniger bekannten Worten des Jahres möchte ich meine eigene Auswahl an sprachlichen Highlights vorstellen: Willkommensjournalismus, Kollateralnutzen, betreutes Vegetieren, primitiefgründig, Smombie/Selfiestick und Earthporn. Als besonders unguter Begriff ist mir „alternativlos“ in Erinnerung geblieben. Wer öffentlich von Alternativlosigkeit spricht, sollte an das Sparsausystem angelehnt dazu verpflichtet werden, in einen Spendentopf mit der Aufschrift „soziale Verantwortung“ einzahlen zu müssen. Eine ironische Maßnahme, die Bedürftigen hilft.

Reuters http://www.welt.de/politik/ausland/article146419447/Deutschland-sendet-verunsichernde-Signale-aus.html

© Reuters

Bilder wie diese gehen um die Welt. Die Staatschefin des größten EU-Landes freut sich, wenn Flüchtlinge zu ihr kommen. Trotz ihres im Inneren umstrittenen Kurses kommt ihr wohl eine mächtige Rolle im System zu – über eine Million Menschen kamen heuer nach Deutschland, um bei „Mutti“ Schutz zu suchen. Man könnte das auch als Kollateralnutzen bezeichnen – wenn man mit sozialen Maßnahmen versehentlich auch mal die Richtigen trifft.

Klaus Eckel brachte mit dem „betreuten Vegetieren“ ein düsteres Zukunftsszenario auf den Punkt: der Mensch macht nur mehr das, worauf Maschinen aber echt keine Lust haben. Werden die technischen Möglichkeiten bald über uns bestimmen, was wir zu tun haben? Wenn Paul Pizzera auf hohem sprachlichem Niveau aus seinem Leben erzählt, wird er gerne mal primitiefgründig. Eigentlich simple Story, aber man kommt nicht umhin, das Vorgedachte gedanklich zu verarbeiten.

Die deutschen Jugendwörter gefallen mir heuer besser als die österreichischen Pendants. „Smombie“ ist ein würdiger Nachfolger von Begriffen wie Babo, Yolo oder Niveaulimbo. Smombie „beschreibt punktgenau die heutige Selbstverständlichkeit vieler Menschen im Umgang mit dem Smartphone“, so Jurorin Ilknur Braun. In dieser Sphäre spielt auch der Selfiestick mit, quasi die Selbstverständlichkeit, sich selbst in den Mittelpunkt des Suchers zu rücken. Der heuer zweitgereihte Begriff „Earthporn“ ist eine gelungene Begriffsverschmelzung, die eine schöne Landschaft bezeichnet.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen erholsamen und besinnlichen Jahresausklang, auf dass wir ein herausforderndes und interessantes 2016 gemeinsam durchleben dürfen!

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fischundfleisch

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