Gestern Abend bin ich noch ein wenig am Strand gesessen und habe den Wellen zugeschaut, wie sie langsam ans Ufer rollen. Nach einiger Zeit haben zwei Mädchen in knapper Bekleidung mein Blickfeld betreten. Für mich ist es zugegebenermaßen immer noch ein ungewohnter Anblick, wenn sich Leute eines Selfiesticks bedienen, um sich selbst abzubilden. Sie hatten wohl einige Probleme mit der Abendsonne, weil sie sich mehrmals im Kreis gedreht haben, um die ideale Position zu finden. Zwei Mädchen, Wange an Wange, mit Kussmund und weit aufgerissenen Augen. Dann staksten sie wieder über die Felsen zurück in die WLAN-Area, um dort ihre Fotos sofort posten zu können. Erst musste ich ein wenig darüber schmunzeln, doch dann sind mir einige Parallelen zum Journalismus und zu den Zielen eines Autors im 21. Jahrhundert aufgefallen.
Zunächst begebe man sich auf ein außergewöhnliches Terrain, um davon zu berichten. Gut, manche Homestories kommen auch gut an, aber eine kreative Schlagzeile wie „thoughtie“ hilft dann doch weiter. Man braucht ein wenig Vorbereitung, um seine Gedanken zu strukturieren und die entsprechenden Nuancen herauszuarbeiten – ähnlich dem Schminken. Dann zeigt man sich von seiner besten Seite, jeweils bedacht darauf, die wesentlichen Gegenargumente bereits vorab zu entkräften. Bei „Sonnenthemen“, wo es eine klare Trennlinie zur Schattenseite gibt, tut man sich mit der thoughtie-Komposition leichter. Wenn aber leicht diffuses Licht von der Seite einfällt, dann muss man sich klar positionieren und überlegen, wie das beim Betrachter ankommt. Wenn ich mit meinem thoughtie zufrieden bin, dann muss auch ich zurück in die WLAN-Area, um meinen Bekanntenkreis darüber zu informieren, was mir eingefallen ist und wie gut es mir gerade geht, weil ich gerade nicht in der Uni oder im Büro sitze. Anschließend geht für selfie- und thoughtie-Poster das bange Warten los: wie wird man beurteilt? Kommen kritische Kommentare? Hätte ich doch besser ein Gedankenbearbeitungsprogramm vor dem Hochladen nutzen sollen? „Anerkennung“ hat sich zu einer der Leitwährungen im Internet entwickelt: wenn der Poster es nicht schafft, in regelmäßigen Abständen auf sich aufmerksam zu machen, dann kann man sich die Online-Karriere abschminken. Klar gibt es Models, Youtuber oder Blogger, die so erfolgreich sind, dass ihnen drei gute Posts pro Woche ausreichen. Für die anderen heißt es weiter auf den einmaligen Bild- oder Gedankenblitz zu warten, der einen nach oben spült.