Wie ehrlich sind wir? Wie ehrlich sind Sie? Geht Ihnen dieses Weihnachten nicht auch schon auf den Geist? Nehmen wir an, Sie lesen diese Geschichte am 24. Dezember. Sagen wir, es ist 20 Uhr. Sie haben gerade sehr gut und üppig gegessen. Das selbe wie im letzten Jahr. Trotz aller Bemühungen, es geändert haben zu wollen. Sie konnten nicht mehr, haben aber doch noch das letzte Stück Fleisch verschlungen. Samt Beilage. Warum sollte man das Püree stehen lassen? Die Erbsen erst recht nicht. Mit Mühe aufgestanden, sind Sie kurz vor der Bescherung. Im Wohnzimmer ist es hell. Die Kerzen am Baum brennen. Es ist heiß. Es ist stickig. Wenn Sie ein Mann sind, dann tragen Sie möglicherweise ein Hemd und eine Krawatte. Oder einen Rollkragenpullover. Als Frau natürlich Ihr schönstes Kleid. Ein Halstuch. Im Hintergrund ertönt leise Weihnachtsmusik. Im Raum die Kinder. Die Kleinsten. Die Großen. Die ganz Großen. Und die Kleinsten von den ganz Großen. Die Nachzügler sind bereits ungeduldig und müde. Der ganze Tag vor dem Fernseher, angeklebt an der PlayStation, hat seine Aufgabe nicht verfehlt. Die Smartphones bereit, alles aufzunehmen. Die ganze Welt über Twitter, Snapchat, Instagram und Facebook zu Gast bei Ihnen. Die Party kann losgehen. Der Schein ist eröffnet. Heiliger Abend. Der Höhepunkt des Familienfests. Der Erste. Sie haben aber bereits mindestens drei Monate Weihnachten hinter sich. Vielleicht steht im Wohnzimmer der Lebkuchen, den Sie beim diesjährigen Sommerschlussverkauf erstanden haben. Der war doch neben den letzten Schwimmflügerln und den abgelaufenen Sonnencremes, oder? Es gelingt Ihnen nicht mehr, den Fokus auf das Wesentliche dieses Familienfests zu legen. Sie haben sich im Laufe der letzten Jahre allen möglichen Trends unterworfen. Alles mitgemacht, was man so mitmachen darf. Möglicherweise haben Sie sogar eine elektrische Beleuchtung am Christbaum. Dem, den sie online im Internet bestellt haben.
Ist es nicht so, dass Sie sich manchmal wünschen, Weihnachten sollte abgeschafft werden? Dass Sie auf diesen ganzen Krimskrams liebend gerne verzichten würden? Warum tun Sie es dann nicht? Weil es nicht dem Protokoll entspricht? Dann schreiben wir halt ein neues Protokoll. Es ist Dezember. Besser noch November oder Oktober. Sie haben Ihr Zeitungsabonnement ruhend gestellt. Auch Ihren Internet- und Fernsehanschluss abgemeldet. Keine Panik. Nur bis 6. Jänner des darauffolgenden Jahres. Auf Ihrem Briefkasten prangt ein großer Kleber „Bitte keine Werbung“. Zur Sicherheit bringen Sie noch eine Warnung vor Ihrem bissigen Hund mit Vorliebe für Postler und Prospektverteiler an. Ihr Smartphone haben Sie gegen ein altes Mobiltelefon ausgetauscht. Sie sollen noch erreichbar sein und anrufen können. Mehr nicht. Die diversen Billas, Spars, Hofers, Merkurs & Co. meiden Sie wie die Pest. Besuchen diese gigantischen Kaufrauschanstifter nur gezielt und in dringendsten Fällen. Den Lebensunterhalt decken Sie im Bioladen, am Frischmarkt oder direkt beim Bauern. Die Abende zu Hause dienen dazu, Ihre Familie kennen zu lernen. Durch gemeinsames Reden und Spielen. Sie schmieden Pläne. Sie lösen Knoten. Sie öffnen Ohren und Herzen. Sie beleben totgeglaubte Beziehungen. Und Sie nähren verschwundene Gefühle und Emotionen.
Je näher der Heilige Abend kommt, desto intensiver wird diese Zeit. Bewusst nehmen Sie wahr, wie Ihre Familie zusammenrückt. Es gibt keine unnötige Ablenkung. Kein aufgetragenes Muss. Kein fremdgesteuerter Stress. Nur das Jetzt. Der Augenblick. Ihr Fokus wird klar. Und das Schöne daran – es tut Ihnen gar nicht weh. Im Gegenteil. Es tut Ihnen gut. Sehr gut. Das ist tausend Mal besser als ein Besuch am Christkindlmarkt Anfang November, das Schlange stehen im A1-Shop, das Warten auf einen Verkäufer bei Thalia, das Suchen nach Geschenken im Internet oder der samstägliche Kaufrausch in der Mariahilfer Straße. Das ist Besinnung. Der eigentliche Grund, warum es Weihnachten gibt. Und die Tage rund um Weihnachten.
Off the records. Weihnachten ist nicht jährlich so viel Kekse backen zu müssen, dass man zu Ostern zwischen den Eiern noch Vanillekipferln findet. Weihnachten ist nicht, den Weltrekord an Lux bei der Weihnachtsbeleuchtung zu überbieten. Weihnachten ist nicht da, um sich mit Geschenken ein sauberes Gewissen zu kaufen. Weihnachten ist nicht da, um gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Weihnachten ist nicht da, um in Supermärkten einem Lebkuchen- und Schokoladenlabyrinth zu entkommen. Weihnachten ist nicht da, um Geld aus der Tasche gezogen zu bekommen.Weihnachen ist da, um Weihnachten zu feiern.