An dem Tag, an dem ich das Leid sah,

war es nicht mehr möglich es zu negieren. Ich kann nicht zurück, hinter eine einmal gemachte Erfahrung zurück. Ich kann es nicht mehr länger ignorieren und nicht mehr so tun, als wäre nichts. Das schön verpackte Schweinekotelett, sauber und adrett ist der Teil eines Kadavers, der zu einem Schwein gehörte, das von Anfang bis zum Ende seines Lebens in einem Tier-KZ wohnte.

„Mama, was ist im Schnitzel drinnen?“, fragt mich meine kleine Tochter, und ich sage ihr „Leichenteile“.

Es ist die Wahrheit, aber eine Wahrheit, die sonst keiner hören will. Verschämt wird mir zugeraunt, dass ich das doch nicht so sagen dürfe.

„Was darf ich nicht sagen, die Wahrheit?“, frage ich.

„Wahrheit, Wahrheit, ja klar, wir lügen unsere Kinder nicht an, aber man kann das ja ein wenig freundlicher sagen“, bekomme ich erklärt.

„Der Tod ist nicht freundlich“, gebe ich zurück, „Und wenn es nur der Tod wäre, nein, es ist das ganze Leben ein Martyrium. Ganz gleich, ob es ein, zehn oder tausend Tiere sind, die es betrifft, es ist ein vermeidbares Leid. Und gerade der Mensch hätte die Möglichkeit, mit seinem doch so großem Kopf, der Intelligenz, dieses Leid nicht zu begehen. Dieses Leid, ist ein allumfassendes. Ein Baby, das sich nicht zu seiner Mutter kuscheln darf, weil sie nichts weiter bedeutet als eine Zitzenträgerin, eingesperrt in einen Gitterkäfig. Es darf nicht spielen, nicht fröhlich sein. Und vor allem, es gibt kein Entrinnen. Die paar Monate, die es leben darf, sind Monate der Qual und des Ausgeliefertseins, ohne Hoffnung, aber dafür voller Verzweiflung und Leid. Tag um Tag, Stunde um Stunde, jede einzelne Minute seines Daseins ein einziges Martyrium. Und wofür das alles? Um einen Moment des Genusses für den, der diese Qualen verursacht. Und das alles darf man nicht sagen? Aber wie kann ich darüber schweigen, wenn ich es weiß? Wie kann ich mich zurücklehnen, die Achseln zucken und sagen, es ist halt so? Aber nicht nur, dass andere Tiere misshandelt werden, auch das Leid der eigenen Artgenossen nimmt der Mensch in Kauf, in seiner Gier nach Fleisch. Denn das Getreide brauchen wir in der ersten Welt für die Ernährung der Tiere, nicht um den Hunger der Kinder zu stillen. Und das alles, damit wir uns fett und krank fressen.“

„Dann gehörst Du wohl auch zu den radikalen Tierschützern, die am liebsten alle Tiere befreien würden und das zur Not mit Gewalt?“, werde ich gefragt.

„Wenn ich dieses Leid sehe, an dem Du so gekonnt vorbeisiehst, ja, dann ist es ein Impuls. Denn jeder Moment in dieser Hölle ist ein Moment unnötiger Qual. Jede Minute, in der wir darüber akademisch diskutieren, ist voll eines grenzenlosen Leides. Natürlich würde ich gerne rufen, ‚Beeilt Euch doch, es wird Leben bestialisch misshandelt’, aber ich tue es nicht, denn ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass es um Eigentum und Profit geht. Ein Umdenken erwirkt man nicht durch radikale Aktionen. Ganz im Gegenteil, es führt höchstens zu Abwehr. Deshalb werde ich darüber reden, werde ich meine Kinder nicht belügen, ganz gleich wie peinlich das für manche sein mag. Widerlich ist der Mensch – ganz gleich was er Großartiges schafft, alles wird von dem überschattet, was der Mensch allen anderen Tieren voraushat: Die Gabe anderen Lebewesen mit Genuss Qualen zuzufügen und alles zu zerstören, was ihm unterkommt.“

Oder besser, ich würde es sagen, wenn mir noch jemand zuhören würde, den es betrifft. Denn einfacher und bequemer ist es allemal, nicht zu sehen. Dann kann ich auch immer noch sagen, ich kann nichts dafür und deshalb bin ich nicht verantwortlich.

Aber ich kann nicht mehr zurück, kann nicht mehr leugnen, dieses grenzenlose Leid, das das Tier Mensch seinen Mitlebewesen antut, nicht nur um den Hunger zu stillen, sondern auch seine Eitelkeit und sein Verlangen nach Amüsement, seine perversen Gelüste und seine Gier nach Macht. Dafür bedarf es wahrlich einer überragenden Intelligenz.

„Ja, das mag alles sein“, wird gekontert, „Aber sag Deinen Kindern nicht mehr, dass Leichenteile im Schnitzel sind.“

„Ok, ich sage es nicht“, gebe ich nach.

„Sehr schön“, wird mein Einlenken goutiert.

„Ich sage nur mehr, dass vermeidbares Leid und Elend drinsteckt.“

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