Artgerechte Haltung menschlichen Nachwuchses

Momentan kann ich zwei Tendenzen im Bereich der Familienpolitik ausmachen: Das verstärkte Abschieben der Kinder in eigene Lebensbereiche und das Drängen darauf, dass die Eltern so schnell wie möglich wieder in den Berufsalltag zurückkehren. Die Frage ist allerdings: Trägt das zum Wohl der Betroffenen bei?

Natürlich klingt es hervorragend, zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Dann holt man die Kinder, die nur vor dem Fernseher geparkt werden heraus, Kinder, die nicht Deutsch können, weil zu Hause die Muttersprache der Eltern gesprochen wird, werden integriert, lernen Deutsch und werden fit für die Schule gemacht und Kinder, die niemals raus dürfen, dürfen wieder draußen spielen. Kurz gesagt: Die Kinder werden der Willkür der Eltern entzogen, auf dass sie glücklich und zufrieden und lachend aufwachsen. Ja, es klingt gut. Ist doch wunderbar, dass sich die Industriellenvereinigung so vehement für dieses Ziel einsetzt, wobei gerne übersehen wird was das eigentliche Ziel dieser Maßnahme ist, nämlich die Aufzucht funktionierender Arbeiter.

Da findet sich wieder ein Denkfehler, dem sowohl die sozialistische alsauch bürgerliche Seite, gerne anheimfällt: Dass die vorhandene Arbeit zu wenig ist, als dass wir wirklich alle dieser konditionierten Menschen unterbringen könnten. Doch statt über eine Neudefinition nachzudenken, züchten wir lieber weiter Humankapital heran, dass dann zu einem immer größeren Teil in die Arbeitslosigkeit verheizt wird. Dies gilt vorerst nur für Kinder mit Defiziten, weil das Budget für alle nicht reicht. Nur wie findet man diese Kinder? Müssen sich ab nun Dreijährige einem entsprechenden Test unterziehen oder wird den Kinderärzten eine Liste vorgelegt, anhand derer sie herausfinden müssen ob ein Kind zwangsinterniert werden muss oder nicht?

Man muss sich einmal vorstellen was das bedeutet, zweites verpflichtendes Kindergartenjahr: Den Eltern werden die Kinder ein Jahr früher entzogen, und vielleicht gibt es Eltern, die sich nicht kümmern, die ihre Kinder vor dem Fernseher versauern lassen und nichts mit ihnen reden, aber es gibt auch die anderen, die mit den Kindern viel unternehmen, die sich kümmern und mit ihnen rausgehen, Freunde treffen und sie einfach Kind sein lassen, was in einem pädagogisch deformierten Umfeld wie dem Kindergarten nicht möglich ist, zumal, wenn nun die Kindergärtnerinnen akademisch gebildet sein müssen, auf dass ihnen der letzte Rest Empathie und Hausverstand ausgetrieben und unter Wissen über die aberwitzig vielen pädagogischen Anleitungen begraben werde. Dann müssen die Eltern um Erlaubnis fragen und Abbitte leisten, wenn sie ihr Kind mal nicht in den Kindergarten schicken, weil sie eine Urlaubswoche haben und vielleicht zwischendurch einmal wegfahren wollen. Oder wenn sie einen Arzttermin haben. Was die Kinder lernen sollen ist, vorbereitend auf ihr Arbeitsleben, Disziplin. Man hat sich jeden Tag zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort einzufinden und so lange dort zu bleiben, wie es vorgegeben ist. Damit verschwinden die Kinder von den Straßen und aus den Häusern.

Es ist gefährlich. Dort draußen, aber nicht, weil die Kinder unachtsam wären, sondern weil die Städteplanung und die Lebensplanung nach der Effizienz des Arbeitenden ausrichtet und nicht nach den Ansprüchen der Kinder. Es wäre ein Leichtes Wohngebiete so zu gestalten, dass die Autos draußen bleiben müssen, so dass die Kinder einfach wieder hinaus gehen und sich mit anderen treffen könnten, so wie es früher gang und gäbe wäre. Es wäre wieder möglich, dass die Kinder in irgendeine Wohnung gehen, wenn die Eltern nicht mit Muss so früh wie möglich in den Arbeitsprozess integriert werden müssten. Es wäre möglich, dass wir uns wieder darüber freuen, dass es das Geräusch von Kinderlachen, von Rennen und Toben und Hüpfen wieder gibt, was – nebenbei bemerkt – nicht so laut ist wie Motorenlärm, an dem wir nichts auszusetzen haben und auch keine schädlichen Abgase verursacht. Doch stattdessen werden Kinder immer mehr abgeschoben, angefangen vom Kindergarten über die Schule bis hinein ins Arbeitsleben. Sie sollen funktionieren. Nicht Spaß haben. Ich kenne keine einzige pädagogische Richtung, in der Spaß und Freude eine Kategorie wären. Wer jedoch einmal gesehen hat wie sich Kinder in eine Aufgabe vertiefen können, die ihnen Freude macht, der würde sich keine Sorgen mehr darüber machen, dass es ihnen an Disziplin fehle. Die fehlt nur, wenn sie keinen Sinn sehen in ihrer Tätigkeit. Doch statt den Tätigkeiten Sinn zu verleihen, wird ihnen Disziplin bis zum Erbrechen eingetrichtert. Sie dürfen im Kindergarten rausgehen in den Garten?

Toll. Aber warum dürfen sie es sonst nicht mehr? Warum sehe ich keine Baumhäuser mehr im Wald oder Kinder, die Lager bauen? Weil sie es nicht dürfen, denn das Leben ist zu gefährlich und wir müssen sie in pädagogische Watte packen, damit die Eltern arbeiten können. Es soll Eltern geben, die das wollen, die bereits während der Schwangerschaft alles in die Wege leiten, dass die Kinder ab der achten Woche irgendwo untergebracht werden. Es ist ihr gutes Recht. Darüber zu urteilen steht mir nicht zu, aber er soll auch Eltern geben, die mit ihren Kindern Zeit verbringen möchten, die sie bei sich haben wollen, und das sogar bis zum Schulbeginn. Nicht das Betreuungsangebot muss sich ändern, sondern die Gesellschaft, die Kinder wieder mit Freude aufnimmt, die sie leben lässt und atmen und sich nicht daran stößt, dass sie Kinder sind. Es sollte eine Lebenswelt geschaffen werden, in der der Mensch wieder den Vorrang hat und nicht die Mobilität. Es sollten Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass Kinder am Leben wieder teilnehmen.

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