Aufsehenerregende Entdeckung in Mustermannshausen

Mustermannshausen, das ist der Ort, der Kennern bereits als mustergültigster Ort zwischen Da und Dort bekannt, doch nun steht eben jene Vorzeigegemeinde wieder einmal im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, denn in den Wäldern rund um den malerischen Flecken menschlicher Zivilisation wurde eine sensationelle Entdeckung gemacht, die ihresgleichen sucht.

„Viele Legenden, Mythen und sonstige Geschichten rankten sich um dieses Wesen. Ihre Zahl ist kaum zu überblicken und es ist wohl ausschließlich meiner unermüdlichen Tätigkeit zu verdanken, dass ich als einziger Mensch auf dieser Welt sämtliche dieser literarischen Machenschaften nicht nur gelesen, sondern auch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft habe. Und das, Sie dürfen es mir glauben, ist nicht einfach. Aber ich habe es geschafft, so dass ich mich wohl mit Fug und Recht als die einzige, führende und überhaupt in allen Belangen versierteste Expertin auf dem Gebiet dieses erstaunlichen Lebewesens sehen darf und das auch tue“, eröffnet Frau Dr. Helena von Herzfeld in ihrer bekannt charmant, bescheidenen Art, die Pressekonferenz, zu der Journalisten, Wissenschaftler, aber auch ganz normale Menschen in Scharen strömten, um dann sofort in Medias Res zu gehen, „Diese außergewöhnliche Spezies gilt als extrem scheu und zurückgezogen, ja geradezu als misstrauisch, was sich wohl aus der langen Geschichte erklären lässt, die eine der Verfolgung ist. Erstmals vermehrt trat sie während der Aufklärung auf. In dieser Zeit sah sie sich im Aufwind. Rasch musste sie erkennen, dass es doch nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer am Horizont war. Seitdem wird sie, mehr oder weniger systematisch, verfolgt, zumal man erkannte, dass es sich um sehr lästige Individuen handelt. Ein letztes Denkmal wurde ihnen in einer Figur eines Dramas von Samuel Beckett ‚Warten auf Godot’ gesetzt.

Wiewohl man bisher annahm, dass im Mittelpunkt die beiden Landstreicher stehen, weiß man unter wirklichen Experten, dass die eigentlich tragende Rolle dieser Diener innehat, der fortwährend deklamiert, zumindest, wenn sein Herr es ihm erlaubt. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass diese Spezies nur am Strick gebunden, beschwert mit zwei Koffern wirklich zu ertragen ist. Dennoch ist es wichtig diese am Leben zu erhalten, zumindest so lange die Mechanismen ihrer Eigentümlichkeiten noch nicht restlos erforscht wurden.

Das Exemplar, das wir fanden, ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein weibliches. Da seine Lebenserwartung nicht bekannt ist, wäre es von Vorteil einen Kopulations- und damit Arterhaltungspartner zu finden, damit das Erbgut nicht verwässert wird, wiewohl die Chancen zur Fortpflanzung als nicht hoch eingeschätzt werden, zumal in Gefangenschaft, selbst wenn sich ein solcher Partner finden ließe, was sich wohl äußerst schwierig gestalten wird. Nichts desto Trotz werden wir alles daran setzen diese Spezies zumindest im Versuchslabor zu erhalten. Angedacht ist auch schon sie als abschreckendes Beispiel bei der Resozialisierung Heranwachsender einzusetzen, was allerdings immer nur als das allerletzte und drastischste Mittel gesehen werden kann.“

„Aber um welche Spezies handelt es sich denn nun eigentlich?“, wagte ein besonders übermütiger Journalist die bedeutungsvolle Stille schamlos zu zerreißen.

„Ich hoffe, Sie verfügen alle über eine starke Persönlichkeit. Wer diese nicht besitzt möge zum eigenen Schutz an dieser Stelle den Saal verlassen“, schickte Frau Dr. Helena von Herzfeld voraus, doch diese Warnung nahm niemand ernst. Alle blieben. Ein letzter Blick in die Runde, aber alle starrten wie gebannt auf die herausragende Wissenschaftlerin.

„Nun gut, Sie haben es nicht anders gewollt“, sagte sie seufzend, „Es handelt sich um die Spezies des Selbständig denkenden Menschen.“

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

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