Die ganz natürliche Angst des zivilisierten Menschen vor der Natur des Natürlichen

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Sobald längere Wärmeperioden den Frühling ankündigen geht es los. Ich merke, dass der Frühling kommt, nicht am Wetter, sondern an dem herrlichen Empfang, den ich ab nun an vielen Morgen bereitet bekomme. „Denn“, so singt Reinhard May in einer Abwandlung des wohlbekannten Liedes, „irgendein Depp mäht irgendwo immer.“ Nicht, dass ich etwas gegen das Mähen an sich hätte, außer wenn die liebe Nachbarin meint das an einem Samstag um sechs Uhr morgens tun zu müssen, weil es angeblich um acht Uhr regnet. Sobald der Kaffee in der Tasse schwappt, kann ich auch damit leben, doch wozu braucht ein betagtes Ehepaar einen Fußballrasen. Was heißt Fußballrasen, einen Rasen, da würde sich beste Rasenspezialist im Tennis alle zehn Finger danach abschlecken. Doch dieser Rasen wieder weder einen Fußball noch einen Tennisball sehen, schon allein deshalb nicht, weil dann ein paar Hälmchen geknickt werden könnten würden, die doch gefälligst stramm zu stehen haben wie die Soldaten. Und um das ganze perfekt zu machen, rundherum eine endemische Tujenhecke. Fertig ist der Garten vom Feinsten. Selbst über Geschmack lässt sich streiten, nicht aber darüber, dass dieser Garten mit Natur so viel zu tun hat wie eine grüngestrichene Betonfläche. Da wird sich keine Biene, keine Hummel oder sonst ein Insekt hinverirren. Garten ja, aber bloß keine Natur, denn die ist ungezähmt und nicht schön, unstrukturiert und beleidigt unser ästhetisches Bewusstsein. Jedes kleine Blümchen wird ausgerissen. Jedes Unkraut verbannt. Am besten mit Round-up. Und ja, was hat das wohl mit dem Grundwasser zu tun? Egal, denn mit der Zeit gewöhnt sich der Körper an jedes Gift.

Aber dieser zivilisierte Umgang mit der Natur bleibt leider nicht auf den eigenen Garten beschränkt, nein, er wird ausgeweitet. Wen könnten wir noch schnell retten? Ja, da wären doch die armen Wildtiere. Das kleine Bambi, das bei jedem Wetter draußen sein muss, bei Kälte, Schnee, Regen und Sonne. Das kleine Bambi, das vom bösen Fuchs gefressen wird. Und vergessen gerne das kleine Bambi, das von scharfen Messern enthauptet oder entbeint wird, je nachdem ob es sich duckt oder nicht. Das arme Bambi, das sich auf die Straße verirrt, weil diese das Revier durchschneidet. Da kommen doch tatsächlich so grandiose Vorschläge, dass um die Wälder samt und sonders Zäune errichtet werden, so dass den Wildtieren nichts passieren kann, und innerhalb dessen werden Auffanglager errichtet, dass die armen Hascherln nicht frieren müssen.

Und dann wird das Zivilisierte auch noch ausgeweitet auf alle anderen natürliche Vorgänge. Eine Geburt? Um Gottes willen, das ist blutig und eklig, keine Contenance, die die Mütter da haben und völlig irrwitzig schreien und stöhnen. Das wollen wir nicht sehen, nicht hören. Ab ins Krankenzimmer und die Türe zu. Noch besser ist es, wenn ein Kaiserschnitt gemacht wird. Da hat man alles unter Kontrolle. Ebenso der Tod. Gestorben wird gefälligst leise und abseits. Krankheit? Nein, wir wollen junge, schöne, starke, vitale Menschen sehen. Alle anderen sollen sich bitte ein Sackerl über den Kopf stülpen, wenn sie sich überhaupt aus dem Haus wagen. Und wie jung, strahlend und vital auszusehen hat, das entnehme man den entsprechenden Fachzeitschriften für Jugendkult und Schönheitswahn. Und zwar in der je populären Ausformung.

Ganz besonderes Augenmerk ist bei der Zivilisierung selbstverständlich auf die nachfolgende Generation zu legen, denn Kinder können nicht aufwachsen wie die Wölfe, frei und unbeschwert, offen und neugierig. Da muss man schon rechtzeitig drauf schauen, denn sonst kommen sie noch auf die Idee, das Leben könnte – und sei es nur ab und zu – Spaß machen. Aber zum Glück haben wir die Zivilisation, die das verhindert.

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Paradeisa

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