Von vielen Dingen haben wir ganz bestimmte Bilder im Kopf. Z.B. denken die meisten Menschen beim Begriff „Tisch“ an eine rechteckige Platte mit vier Füßen, habe ich mal gelesen, so als wäre es eine Metavorstellung, unter der alle anderen Tischarten subsummiert werden. Nicht unbedingt eine aufsehenerregende Neuigkeit, wenn man sich nicht gerade in der Situation befindet unbedingt einen dreibeinigen Tisch zu wollen und der Möbelhändler ausschließlich vierbeinige anbietet. Interessanter wird es schon, wenn wir diese Beobachtung auf Begriffe ausdehnt, die nicht unbedingt einfach nur Gebrauchsgegenstände bezeichnen. So taucht bei den meisten von uns bei dem Begriff „Alter Mensch“ ein Bild, vielleicht auch mehrere, in unserem Kopf auf. So denke ich z..B. an die Strümpfe stopfende Großmutter auf, die im behaglichen Wohnzimmer am Kamin sitzt und den Enkeln Geschichten erzählt, oder der pfeifende rauchende Großvater. Beides wohl schon ein wenig antiquiert, wiewohl ich sie nicht verstauben ließ, da sie mir lieb und wert sind.
Aber in der Realität gibt es sie nicht mehr, so wie es auch keine alten Menschen mehr gibt oder geben darf. Bis hinauf ins hohe Alter gilt es agil und lebenstüchtig zu bleiben, am besten so, dass man einem das Alter erst gar nicht ansieht. Und dennoch gibt es immer noch Meinungen darüber, dass es Dinge gibt, die der Würde des Alters widersprechen. Aber was bitte soll das sein? Jogger jenseits der 60 oder 70 sind kein außergewöhnlicher Anblick mehr. Dennoch lehnte der Bürgermeister einer deutschen Stadt den Bau eines „Seniorenspielplatzes“ (korrekt hieß er auch „Aufstellung von Geräten zur Unterstützung der Beweglichkeit im öffentlichen Raum“, aber seis drum) mit der Begründung ab, dass dies der Würde des Alters nicht entspricht. Mit einem Wort, ein Mensch darf ab einem gewissen Alter keine Schaukel oder kein Ringelspiel mehr benutzen, so weit er nicht ein Kind als Eintrittskarte dabei hat. Demnach hat ein alter Mensch auf einer Schaukel seine Würde verloren. Also doch wieder zurück zu Strickstrumpf und Pfeife?
Heute ertappte ich mich selbst bei einem solchen Gedanken. Ich war gerade dabei meinen Einkauf im Auto zu verstauen, am Parkplatz einer Filiale einer österreichischen Lebensmittelkette, als der Boden zu erzittern begann. Mindestens eine drei auf der Richterskala, bis ich das zugehörige Bumpern der Bässe wahrnahm. „Aha“, dachte ich, „Schon wieder so ein jugendlicher Rowdy.“ Und als wenn er meine Gedanken lesen hätte können, ließ er den Motor aufheulen. „Der ist wohl vom letzten GTI-Treffen übriggeblieben, oder er übt schon vor fürs nächste“, dachte ich weiter, und sah mich, meine Verstauungstätigkeit endlich beendet habend um. Tatsächlich war es noch schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte, denn dieser Wagen war über und über mit den verschiedensten Bemalungen, Mustern, undifferenzierbar übersät. „Das wird sich schon noch auswachsen“, dachte ich, „spätestens wenn der junge Fahrer ins richtige Leben einsteigt.“ Und da öffnete sich die Wagentüre. Ein Bursche, angetan mit wilder Lederjacke im Motorradfahrerstil, einer Schirmkappe, die ebenso knallbunt war wie das Äußere und Innere des Autos, und endlich sah ich das Gesicht, und ich glaube, mir blieb für einen Moment der Mund offen stehen. Denn das war kein jugendlicher Rowdy, sondern ein Mann von zumindest 60 Jahren. Das war mein Tisch mit zwei Füßen. Ich war, zugegebenermaßen, äußerst irritiert, und wohl im ersten Moment empört, denn wo bleibt denn da bitte schön die Würde des Alters.Und ich begann mich nach der Strümpfe strickenden Großmutter und dem Pfeife rauchenden Großvater zu sehnen.
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Doch möchte ich Strümpfe stricken, die dann doch niemand anzieht, wenn ich einmal so alt bin? Muss ich meinen Mann wirklich dazu zwingen in seinem hohen Alter zum Rauchen anzufangen, bloß um das Bild aufrechtzuerhalten? Oder hängt die Würde des Alters, und nicht nur die, doch an anderen Dingen? Vielleicht wäre es einfach an der Zeit von dem einen oder anderen Bild Abschied zu nehmen und die Würde, auch die des Alters, neu zu definieren.