Ein aufsehenerregender Prozess findet derzeit in unserem beschaulichen, mustergültigen Ort Mustermannshausen statt. Dieser wurde auch aus eben jenen Gründen gewählt, wohl auch wegen der Abgeschiedenheit. Das mangelnde Medieninteresse mag wohl darauf zurückzuführen sein, dass es keine Parkplätze gibt und vom nächsten Ort aus herzukommen ist indiskutabel – oder vielleicht, weil der Ausgang bereits feststeht?
Der Saal eins des Gerichts von Mustermannshausen wurde ausgewählt einen der größten Prozesse der Menschheitsgeschichte stattfinden zu lassen. Das Weltgericht hat die Klage von Frau Arm gegen Herrn Reich übernommen. Den Vorsitz führt der ehrenwehrte Richter Dr. Adolf von Brausepulver.
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Dr. Brausepulver: Eröffnet wird der Strafprozess Frau Arm gegen Herrn Reich. Der Vorwurf der vorsätzlichen Enteignung und der Verhinderung von Lebenschancen wurde geäußert. Inwieweit dies zutrifft soll hier ausverhandelt werden. Zugegen sind die Klägerin, Frau Arm, ohne Anwalt, da sie sich einen solchen angeblich nicht leisten kann. Da es sich um ein mutwillig herbeigeführtes Verfahren handelt, sieht sich auch das Weltgericht nicht verantwortlich ihr einen zu stellen. Auch weil es am Ausgang – völlig unvoreingenommen – keinen Zweifel geben kann. Weiters anwesend ist der Angeklagte, Herr Reich – herzlich willkommen, an dieser Stelle – mit seinen Anwälten Dr. Lobby und Dr. Protektion vom renommierten Anwaltsbüro Lobby, Protektion & Söhne. Außerdem gibt es noch Zeugen, den Kapitalismus und die Gerechtigkeit – wohl eine ihrer Zeuginnen, Frau Klägerin. Bringen Sie Ihre Anklagepunkte vor.
Fr. Arm: Vielen Dank für die freundliche und unvoreingenommene Annahme meines Anliegens, Herr Rat, das dahingehend lautet. Herr Reich vertritt hier 9% der Weltbevölkerung, die über 83% des Weltvermögens verfügt. Das bedeutet, dass sich der Rest der Weltbevölkerung, immerhin 91% den Rest von 17% des Weltvermögens teilen, so dass für den Einzelnen – wie man sich leicht ausrechnen kann – nicht viel übrig bleibt. Dies führt dazu, dass diesen Menschen der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen nicht möglich ist und sich ihre Lage immer weiter verschlimmert. Es gibt keine adäquate Versorgung mit Lebensmitteln, frischem Wasser und Medikamenten. Das führt zu mehr Krankheiten, frühzeitigem Tod und kaum Chancen ihre Lage zu bessern. Ich fordere Herrn Reich auf unrecht erworbenes Gut und Land an diesen Teil der Bevölkerung zurückzugeben.
Dr. Lobby: Sehr geehrter Herr Rat, Sie hören selbst, dass die Klägerin unbewiesene Behauptungen gegenüber meiner Mandantschaft ins Treffen führt. Um dies zu erläutern muss ich etwas weiter ausholen. Zu Beginn der Seßhaftwerdung des Menschen vor nunmehr etlichen tausend Jahren, war das Land ohne Besitzer, und wie im Gesetz festgeschrieben ist, darf herrenloses Land ins Eigentum genommen werden. Nichts anderes hat mein Klient getan. Im Laufe der Geschichte kam es denn auch zu zahlreichen Umbrüchen, Neuverteilungen und Umstrukturierungen, und immer wieder war mein Mandat derjenige, der seine Chancen sah und zu nutzen wusste. All dies geht aus den Unterlagen hervor, die dem Gericht vorliegen und zweifelsfrei zeigen, dass aller Landbesitz rechtmäßig erworben wurde. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass all dieser Besitz auch gehegt und gepflegt werden muss, was keine unbeträchtlichen Ressourcen verschlingt. All diese Mühen ist mein Mandant bereit auf sich zu nehmen. Das gleiche gilt für den Besitz an monetären Mitteln, die sich mein Mandant durch Fleiß und Sparsamkeit stetig und vor allem rechtmäßig erarbeitet hat. Ich möchte hierzu gleich meinen ersten Zeugen aufrufen, den Kapitalismus, der uns ganz genau erklären kann wie diese Verteilung zustande kam.
Kapitalismus: Zu allen Zeiten war es so, dass es Menschen gab, die arbeiteten und ihre Chancen wahrnahmen, die zunächst völlig gleichmäßig verteilt waren, denn jeder Mensch hat dieselben Voraussetzungen und Möglichkeiten. Wie Hr. Dr. Lobby gerade feststellte. Alle haben die Möglichkeiten. Wer sie wahrnimmt und arbeitet wird belohnt, wer es nicht tut wird bestraft. So kommt es zu eben jener Verteilung, die die Klägerin als ungerecht darstellt, wie es wohl auch auf den ersten Blick wirken mag, jedoch, wenn man genauer hinsieht und die Mechanismen dahinter kennt, dann erkennt man auch, dass es nur gerecht ist die zu belohnen, die sich nicht scheuen Risiko und harte Arbeit auf sich zu nehmen, und im Gegenzug diejenigen zu bestrafen, die dies nicht tun.
Gerechtigkeit: Aber wenn dies immer weitervererbt und weitergegeben wird, wenn Hr. Reich arbeitsloses Einkommen aus Zinsen und Renten bezieht, wenn die Reichen unterstützt werden, dann kann dies nicht Rechtens sein.
Dr. Brausepulver: Schon wieder diese unangebrachten Zwischenrufe. Bitte entfernen sie die Gerechtigkeit aus meinem Gerichtssaal, Gerichtsdiener, denn die hat hier herinnen sowieso nichts verloren, hier, wo ausschließlich Recht gesprochen wird und nicht Gerechtigkeit. Außerdem sehe ich, es ist Jausenzeit. Das Gericht vertagt sich auf unbestimmte Zeit.