Es begann in Irland, und es begann ganz unbemerkt, so wie so vieles, was sich späterhin als richtungsweisend zeigen sollte, unbemerkt von allen anderen, natürlich, aber auch unbemerkt von mir selbst. Dieser Beginn geschah also in Irland, genauerhin in einem kleinen Dorf mit Namen Ballydavid an der Atlantikküste auf Dingle Island. Wir nächtigten dort in einem Pub mit angeschlossenen Zimmern. Am Morgen verließ ich das Zimmer, sog die herbe, und doch so belebende, salzgetränkte Luft ein und begab mich Richtung Frühstücksraum. Neben dem Haus, in dem jener Frühstücksraum untergebracht war, erstreckte sich eine Weide, umgeben von einem niedrigen Steinzaun, wie es in diesen Breiten üblich ist, und als ich aufsah, stand ich fast Auge in Auge mit ihm, dem Esel. Es war ein gepflegter Esel mit dunkelbraunem Fell.
Ich sah ihn an. Er sah mich an. Als erst dachte ich mir nicht viel. Esel sind eben dumm, die schauen eben so, das weiß doch jeder. Und als ob er meine Gedanken hätte lesen können, hob er ein durchdringendes I-Ah an, das nichts anderes bedeutete – in meinen Ohren – als dass ich einmal genauer hinschauen sollte. Und nicht nur das, sondern auch ein Aufruf zu überdenken, was ich über Esel zu wissen glaubte. Nun, so sagte ich tonlos zu diesem Esel, man hört allgemein, dass Esel dumm wären, wie bereits erwähnt, aber noch sprichwörtlicher ist ihre Sturheit. Außerdem sind sie nicht so schnell wie Pferde, nicht so elegant und nicht so belastbar. Selbst Maultiere können bessere Arbeitsleistungen erbringen. Das alles war in meinem Kopf, und sein Blick blieb haften, ungerührt, ganz gleich, was ich mir da zusammenreimen würde, unbeirrt, bei der Aufforderung bleibend, dass ich vielleicht noch ein wenig genauer hinsehen sollte. Stattdessen ging ich frühstücken, und so wie ich die grüne Insel hinter mir ließ, so zunächst auch den Gedanken an den Esel, doch von da an schienen immer wieder Esel meinen Weg zu kreuzen. Möglich, dass ich sie auch endlich sehen konnte.
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Da stand ich also wieder einmal an einem Gatter und betrachtete Esel. Drei waren es in diesem Fall, ein grauer, ein brauner und ein weißer. Neugierig näherten sie sich mir, beschnupperten mich ausgiebig und ließen sich auch streicheln. Immer mehr nahmen sie meine Gedanken ein, und ich begann Bücher zu wälzen. Mittlerweile weiß ich, dass man von Eseln viel lernen kann, so die Gelassenheit und die Ruhe ihrer Umwelt gegenüber. Sie sind aufmerksam und neugierig, aber auch gleichzeitig ungerührt, wenn es nicht wichtig genug ist. „Es ist nicht der Mühe wert“, machen sie den Anschein zu sagen. Und das ist es wohl, was ihnen gerne als Dummheit ausgelegt wird. Sie sind wirklich ungelenker als Pferde, aber dafür verfallen sie nicht bei dem kleinsten Geräusch in Panik, sondern sind aufmerksam und wachsam. Vielleicht sind sie nicht so belastbar wie Maultiere, aber sie sind willig und kooperativ, so lange man sie gut behandelt, was auch wieder relativ ist, denn gut behandeln bedeutet im Falle eines Esels schon eine karge Weide. Damit sind sie zufrieden, so lange sie nicht alleine sein müssen, denn Esel sind gesellige Wesen, wobei der Geselle nicht einmal ein Esel sein muss, sondern genauso gut eine Ziege oder ein Schaf sein kann. Nur allein mag er nicht sein. Doch sie verteidigen auch das ihre, wenn es notwendig ist. So erlebte ich einen Esel, der einen Radfahrer vertrieb oder letztens eine Eselsstute, die sich jedes Mal, wenn ich versuchte zu photographieren, schützend vor ihr Fohlen stellte. Aber auch seinen menschlichen Begleiter beschützt der Esel. So erzählt Andy Merrifield in seinem wunderbaren Buch „Die Weisheit der Esel“, dass sein Esel ein aufgebrachtes, nervöses Pferd von ihm ablenkte um ihn davor zu bewahren unter den Hufen zermalmt zu werden.
Letzens im Steppentierpark Pamhagen, zwei weiße Esel, die ohne Scheu angetrabt kamen und sich mit sichtlicher Wonne die Mähne streicheln ließen. Vieles könnte ich mir abschauen von diesen tierischen Genossen, doch vor allem ist es die Ruhe, die auch mich beruhigt und die Gelassenheit, die mir die Welt viel freundlicher erscheinen lässt.