Oswald Spengler, geprägt von den Geschehnissen während des Ersten Weltkrieges, hat es erstmals 1918 prognostiziert, Friedrich Torberg 1975 mit seiner Tante Jolesch persifliert, den Untergang des Abendlandes, und dennoch steht es immer noch.
Wenn das Abendland endlich untergeht, und das Morgenland mit dazu und auch das Mittags- und Mitternachtsland, ja dann, dann kann ein Weltland entstehen, ohne künstliche Grenzen und Barrieren, ohne nationalstaatliche Kleinkariertheit, ohne religiöse Scheuklappen.
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Dann lernen Kinder ihre Muttersprache von den Eltern, die selbst gebildet genug sind eine Sprache weiterzugeben, ihre Muttersprache, gerüstet im Kindergarten, am Spielplatz anderen Sprachen zu begegnen, die genau den selben Wert haben wie ihre eigene. Dann werden sich die Kinder auf deutsch, auf türkisch, auf russisch oder gar auf isländisch begrüßen können und ein wenig plaudern, wenn sie das wollen. Dann werden wir unseren eigenen Wortschatz erweitern können, vielleicht um die Vielfalt an Ausdrücken für Regen aus dem Irisch-Gälischen oder für Schnee von den Inuit. Dann steht ihnen frei Zugang zu anderen Sprachen und damit Gedankenwelten zu finden und in sie einzutauchen, getragen von der sicheren Basis der eigenen muttersprachlichen Sprachkompetenz. Wer dafür eintritt, dass das Deutsche erhalten bleibt, der sollte es selbst einmal sprechen können. Dann kann ich mich auf das Andere einlassen. Und da ist es völlig egal welche Sprache meine Muttersprache ist. So kann wohl jeder Isländer Englisch, denn sonst könnte er sich mit über sieben Milliarden Menschen auf der Welt nicht unterhalten, und dennoch konnte das dem Isländischen nichts anhaben. Ganz im Gegenteil, es ist wohl eine der wenigen Sprachen auf der Welt, in der ich moderne Texte ebenso lesen kann wie solche aus dem 11 Jhdt., wenn ich es denn kann.
Wenn die nationalstaatlichen Grenzen fallen und wir Weltland werden, mit einer einheitlichen Währung durch die Abschaffung des Primats des Dollars, dann haben wir Interesse daran wirtschaftliches Gleichgewicht zu schaffen, denn da geht es nicht mehr um Pfründe und Kleinstaatlichkeit, sondern um ein globales Netzwerk, wo sich jeder frei bewegen kann, ausgewiesen als Weltbürger. Denn sehen wir uns die europäische Kleinstaatlichkeit und Zwergenverliebtheit an. Deutschland als solches hat es niemals gegeben. Ja, es gibt Menschen, die behaupten, sie seien Deutsche, doch was sind sie in Wahrheit? Sachsen oder Bayern oder Schwaben. Ein Bayer hat keine Freude, wenn ich sage, die Sachsen sind genauso wie ihr. Nicht das Fremde zerstört das Deutsche oder das Österreichische oder das Französische oder was auch immer – das schaffen wir schon ganz gut alleine. Denn kulturelle Identität wird erst griffig im Aufeinandertreffen mit anderen Kulturen. Ansonsten bleibt es schwammig und unausgesprochen. Hier erst erweist sich ob ich eine kulturelle Identität habe oder nicht, indem ich darüber reden kann und auch in der Lage bin neue Aspekte anzunehmen, denn Veränderung bedeutet nicht Untergang, sondern Erweiterung. Angst vor dem Verlust kultureller Identität muss nur der haben, der keine hat oder eine, die auf sehr wackligen Beinen steht. Denn nur die kann ein „Angriff“ umstoßen.
Dann wird auch der Begriff Ungläubige aus den Sprachen verschwinden, und an seine Stelle der des Angehörigen einer anderen Konfession treten, und damit fällt auch die sprachliche Missbilligung oder Degradierung anderer Religionen. Dann wird im Fach „Kulturen der Welt“ aus dem Koran ebenso gelesen wie aus der Bibel oder dem Talmud oder den buddhistischen Lehren. Vielleicht findet auch ein interreligiöser Dialog statt, der aus den großen Lehrbüchern nicht das Trennende, sondern das Verbindende heraussucht, alles aufrecht erhält, was das Leben und das Miteinander befördert, und alles was dagegen spricht, alles Lebensfeindliche löscht. Dann werden Moscheen neben Tempel neben Kirchen stehen. Nein, noch mehr, Begegnungshäuser entstehen für Atheisten und Monotheisten und Polytheisten, ohne Grenze und Barriere. In gemeinsamer Anstrengung, gemeinsamer Hinwendung, egal ob zu Allah oder zu Buddha oder zu Jehova oder zu dem Gott der Christen.
Dann werden weder Hautfarbe noch Geschlecht noch ethnische Zugehörigkeit noch sexuelle Ausrichtung noch Artenzugehörigkeit mehr eine Rolle spielen, sondern nur mehr die eine Frage immerwährend aufs Neue einer Antwort harren: „Was befördert das Leben als gelungenes?“