Zwei Tage ist es her. Da fanden wir ihn, ein kleines, weißes Wollknäuel mit spitzen, graugesprenkelten Ohren, das im Gras saß und nicht weglief. Ein Kaninchen. Aber warum lief es nicht weg? Warum versuchte es nicht einmal wegzulaufen? Nach Kaninchenart. Vorsichtig nahmen wir es hoch. Es lebte. Ganz eindeutig, doch das Näschen war blutrot und sein Hinterteil kotverschmiert. Was machen? Sterben lassen? Warten bis der Fuchs käme oder ein Raubvogel. Es wäre der natürliche Lauf der Welt. Ein krankes Kaninchen, das sitzt und nicht wegläuft, das wird gefressen. Grundnahrungsmittel für diverse Räuber. Deshalb werfen sie auch sprichwörtlich. Viele Junge garantieren das Überleben der Art. So wie bei den Mäusen. Ein Grundnahrungsmittel. Und dennoch, ich konnte ihn nicht sitzen lassen, dem Tod überantwortet. Sacht nahm ich ihn hoch und brachte ihn in die Tierklinik. Durchfall hatte der Kleine, und an der Nase ein Hämatom. Irgendwer musste dem Kleinen arg zugesetzt haben. Gerade mal 225 Gramm wog er. So viel wie eine Semmel. Er bekam eine Kiste. Futter. Medikamente. Er hoppelte herum. Ein wenig zaghaft zwar, aber immerhin. Es schien aufwärts zu gehen, doch immer noch hatte ich die Worte der Tierärztin im Ohr. Es könnte sein, dass er es nicht schafft. Kaninchen sind sehr anfällig für alles Mögliche. Deshalb gibt es so viele. Weil auch so viele sterben. Oft ohne Fremdeinwirkung. Er fraß. Wenig. Aber immerhin. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Wir dachten an einen Hasenstall und einen Kaninchenfreund für die Kleine. Snowball wurde sie genannt, weil sie wie ein kleiner Schneeball wirkte. Alles schien gut zu gehen. Es war an der Zeit die anderen Hausbewohner mit seiner Anwesenheit vertraut zu machen, mit zwei ausgewachsenen Löwenhunden, zwei Ridgebacks.
Der Rüde, seines Zeichens Herr im Haus, fühlte sich durch den kleinen Fellball eher gestört. Mit seinen gerade mal drei oder vier Wochen erinnerte die Kleine wohl noch viel zu sehr an Welpe, und was ein anständiger Rüde ist, der gibt sich mit den Kleinen nicht ab. Ganz anders die Hündin. Gerade mal drei Jahre alt, begann sie sofort das Fell abzuschlecken und sich um sie zu kümmern. Wenn die Gefahr bestand, dass sie von der Matratze purzeln könnte, dann schubste sie den kleinen Schneeball sanft zurück, legte sich zu ihr. Gerade mal 225 Gramm die Kleine und 36 kg die Hündin, und dennoch wusste sie sich so zu verhalten, dass keine Gefahr bestand. Zuletzt lagen sie nebeneinander, doch die Hündin blieb aufmerksam. Sobald die Kleine sich bewegte sah sie hin, spitzte die Ohren. Dann brachten wir sie gemeinsam zurück in die Kiste. Drei Mal mussten wir zurück, denn Juna, meine Hündin, hatte was gehört. Nochmals nachsehen. War auch alles in Ordnung mit ihrem Baby? Es schien, als hätte sie die Kleine adoptiert. Sie würde auf sie achten. Später, wenn wir sie im Garten laufen lassen würden, wenn sie herumhoppelte. Sie wäre schnell genug um zu verhindern, dass Snowball den Garten verlässt. Späterhin, im Sommer, wenn sie wieder ganz gesund gewesen wäre.
Heute morgen führte unser erster Weg zur Kiste. Mit offenen Augen lag Snowball darin, bewegungslos. Vorsichtig nahm ich sie heraus. Sie war noch warm, doch sie bewegte sich nicht. Sie würde sich nie mehr bewegen. So wie es prophezeit worden war, so war es geschehen. Grundnahrungsmittel in der Natur. Anfällig und Hinfällig. Und es gemahnte mich daran, wie nahe der Tod dem Leben ist. In jedem Moment. Es war bloß ein Kaninchen, aber ich war dennoch froh, dass wir sie mitgenommen und ihr diese zwei Tage gegeben hatten. Vielleicht ist es ungerecht, denn ein Fuchs musst hungrig bleiben. Oder ein Falke. Wenn der Mensch eingreift in die Natur, dann ist es immer verfehlt. Wenn der Mensch diesen Kreislauf unterbricht, dann gibt es immer Opfer. So machen wir es, Tag für Tag und die Folgen sind verheerend. Auch wenn es nur ein kleines Kaninchen ist. Und dennoch, ich kann nicht anders.
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Daniela Noitz