"Der ist doch behindert!“, ist das erste, was Du von Dir gibst, als Du Dich zu mir setzt, die Nasenflügel wie Nüstern gebläht. Ich frage mich gerade, ob Du jetzt noch ein Wiehern nachsetzt, doch Du lässt es aus und verbleibst verbal in der Menschensprache, „So blöd, das darf doch nicht wahr sein.“ Ich tue mal so, als wüsste ich wovon oder auch nur von wem die Rede ist. Irgendwann wird es sich schon herauskristallisieren. Natürlich könnte ich einfach nachfragen – aber so ist es spannender.
„Auf welche Weise behindert?“, frage ich deshalb vorsichtig nach.
„Wie meinst Du, auf welche Weise?“, erwiderst Du, während ich bereits eine leichte Verwirrung deinerseits konstatieren kann.
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„Na ja, geistig oder körperlich?“, präzisiere ich daraufhin meine Frage.
„Du kannst auch manchmal ganz schön dumm fragen! Der ist doch nicht wirklich behindert, das sagt man halt so, wenn sich jemand so benimmt, in dem Fall wie ein geistig Behinderter“, platzt es aus Dir heraus, wobei ich überzeugt bin, dass Du es darauf anlegst meinen Kragen zum Platzen zu bringen, was schon deshalb nicht gelingen kann, weil ich einen solchen bei den herrschenden Temperaturen nicht trage. Aber es würde Dir auch bei einem getragenen nicht gelingen, denn ich bin immer die Ruhe selbst.
„Und Du weißt wie geistig Behinderte so sind, so in Bausch und Bogen?“, hake ich nach, „Wie viele kennst Du überhaupt?“
„Also, wenn Du so fragst, genug. Kommen Dir doch jeden Tag so ein paar Idioten unter“, fährst Du unbeirrt klagend und vor allem anklagend fort, „Aber Du musst es schon wieder kompliziert machen, wo Du doch genau weißt was ich meine. Stell Dich doch nicht so unwissend.“
„Ich dränge auf Präzisierung, nichts weiter. Ich will nichts weiter, als dass Du sagst was Du wirklich meinst, weil ja, denken, kann ich mir viel, aber wenn wir schon reden, dann kannst Du doch die Dinge beim Namen nennen“, versuche ich zu erklären.
„Nein, ich weiß was Du willst, Du willst die Dinge nur unnötig kompliziert machen, damit Du wieder zeigen kannst wie klug Du bist, aber ich habe heute absolut keine Lust auf Deine Spielchen. Ich werde nichts präzisieren“, erklärst Du rundheraus.
„Was bitte ist so schwierig daran zu sagen, dass Du Dich geärgert hast, weil derjenige nicht so gedacht hat wie Du wolltest oder irgendetwas komplizierter machte oder sonst etwas? Warum musst Du Dich da so echauffieren?“, versuche ich einzulenken.
„Siehst Du, genau das habe ich gemeint! Du verstehst es also doch!“, weist Du mich triumphierend auf etwas hin, was keines Hinweises bedurft hätte.
„Ja, war auch nicht so schwer. Es ist nur so, dass ich gerne wissen würde, was Du jetzt mit behindert meinst“, fahre ich fort. Ich insistiere. Ich weiß es.
„Behindert ist jeder, den eine körperliche oder geistige Schranke daran hindert normal zu agieren oder zu denken“, erklärst Du. Es ist ein Versuch.
„Und was ist normal agieren und denken? Wer legt diese Norm fest?“, frage ich nun meinerseits.
„Die Gesellschaft. Da gibt es einen gewissen Durchschnitt, und wer davon abweicht, der ... „
„ ... ist ein Abweichler“, beende ich Deinen Satz für Dich, „So gesehen sind wir alle behindert, eingeschränkt in unserer Bewegungs- und Denkfreiheit.“
„Ich nicht, ich bin ganz normal, aber so was von normal, da geht nichts mehr“, erklärst Du mir voller Überzeugung.
„Wir sind alle eingeschränkt, weil wir eine Herkunft haben, die uns prägt, weil wir in einem Kulturkreis aufgewachsen sind und darin bleiben, der unser Denken beeinflusst. All das gibt uns Scheuklappen, behindert uns“, erkläre ich nachdenklich, „Ich kann mir selbst nicht entkommen.“
„Jetzt kommst Du mir schon wieder mit Sartre. Und behindert soll ich auch noch sein. Muss ich mir das sagen lassen?“
„Nein, müssen nicht, aber vielleicht denkst Du daran, wenn Du Menschen das nächste Mal aburteilst, dass Du ebenso behindert bist wie alle anderen“, gebe ich ruhig und gelassen zu bedenken.
Du stehst auf und gehst. Ohne ein weiteres Wort. Wahrscheinlich hast Du viel zu tun. Endlich kann ich in Ruhe weiterlesen.