Stellen Sie sich vor, Sie stehen in der Straßenbahn, und plötzlich springt so ein junger Mensch, noch grün hinter den Ohren, ohne jede Erfahrung und vor allem ohne Einsicht, mit einem Wort, ein Fant, auf und bietet Ihnen höflich seinen Platz an. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, fügte er, seine Lautstärke hinaufschraubend, hinzu:

„Ich trete meinen Platz gerne an alte Menschen ab!“

Das wäre also der Moment, in dem ich wissen würde, jetzt bin ich wirklich alt. Nicht, dass ich Probleme damit habe. Noch nie gehabt. Nein, das ist nicht ganz richtig. Zwei Momente in meinem Leben gab es, in denen ich mich tatsächlich richtig alt fühlte. Das erste Mal war, im zarten – so zu bezeichnen aus der heutigen Sicht – Alter von 18, wo ich meinte, jetzt würde das Leben beginnen, da wurde ich doch glatt in einer Diskothek von den Jungspunden mit Sie angesprochen. So schnell kann es also gehen mit dem Alter. Ich zog die Konsequenzen daraus und mied seither Diskotheken, die von unter 14jährigen bevölkert wurden.

Das zweite Mal war an meinem 20. Geburtstag. Damals studierte ich, saß auf der Hauptuni Wien im obersten Stockwerk im linken Flügel am Gang, rauchte – das durfte man damals noch – und wusste, weiß Gott, ich wusste es, mit all meinem Denken, mit jeder Faser meines Körpers, jetzt ist es vorbei. Mein Leben ist zu Ende. Uralt, und abgenützt, und das auch nur deshalb, weil ich kein Teenager mehr war. Auch da zog ich meine Konsequenzen und stürzte mich in eine wilde, leidenschaftliche Affäre mit einem Mann, der – zugegebenermaßen – ein wenig älter als 20 war. Das ließ mich wieder hoffen, dass das Leben doch noch ein wenig weitergehen konnte.

Was dann kam, nach Studium und den Einstieg in die harte, raue Welt des Erwachsenendaseins, bestehend aus Erwerbsarbeit, Kinder großziehen und allem anderen, was eben so dazugehört, war derart intensiv, dass ich keine Zeit zu haben schien mir über mein Alter Gedanken zu machen.

Vieles wurde begonnen und abgeschlossen, und heute fühle ich mich jünger, als ich damals fühlte, als ich meiner verlorenen Teenagerzeit nachtrauerte. Mein Leben ist geordnet. Voll bis obenhin. Da passt noch nicht einmal ein Strohhalm rein, dachte ich. Meine Aufgaben erfüllen mich. Vor allem, so sagte ich mir, gibt es in diesem Leben keinen Platz mehr für einen Mann. Sorgen und Probleme habe ich so schon genug. Nie wieder, sagte ich mir. Das Leben hörte es – und es lachte, vor allem mich aus.

Das Leben war es, das mir zeigte, es ginge auch anders, ganz anders, dass es möglich ist, was ich für mich schon abgehackt hatte. Und es ging. Es erinnerte mich an das Beispiel mit der Vase, die vollgefüllt ist mit großen Steinen. Da passt kein weiterer Stein mehr rein, aber zwischen den Fugen, da ist Platz für Sand, so dass die Füllung kompakt wird, komplett. Und das auf meine alten Tage.

„Und was ist mit dem Altersunterschied?“, fragte er mich, und ich muss gestehen, dass ich keine Antwort hatte – was mir ausgesprochen selten passiert. Nicht, dass es mir nicht in Zahlen bewusst wäre, aber diese Zahlen haben für mich keine Bedeutung, keine, die relevant wäre. Es ist wie es ist, sagt die Liebe, und Erich Fried.

Oder hat es doch eine Bedeutung?

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Silvia Jelincic

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Petra vom Frankenwald

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Spinnchen

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