Indien und seine heiligen Kühe
Nachdem ich nicht nur hier sondern auch sonst immer wieder auf die "heiligen" Kühe Indiens angesprochen werde, möchte ich heute einmal darüber schreiben.
D. h. WIR möchten darüber schreiben: Sabine Altmann, die ja ebenfalls ihre Erfahrungen in Kolkata (früher Kalkutta) gemacht hat und ich, der ich derzeit täglich damit konfrontiert bin.
Zunächst zitiere ich einmal aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Heilige_Kuh).
Zitat: "In Indien weist schon der Sanskrit-Name aghnya (die Unantastbare) auf eine vergleichbare Tradition. In den hinduistischen Religionen ist der Schutz der Kuh bis in die heutige Zeit ein wichtiges Element. Für die meisten Hindus ist die Kuh unantastbar. Selbst bei jenen, denen sie nicht 'heilig', sondern lediglich ein wichtiges Symbol ist, hat sie doch einen besonderen Stellenwert, und das Töten von Kühen ist für die meisten undenkbar. Für traditionelle Hindus wäre dies ein besonders verunreinigendes Vergehen und sind auch nicht alle Vegetarier, so ist es für die meisten ausgeschlossen, Rindfleisch zu essen. In der Geschichte war der Schutz der Kuh so wichtig, dass islamische Eroberer ihren Heeren oft Kühe vorantrieben, wodurch Hindus sie nicht angreifen konnten." Zitatende
Soweit nun ein Auszug aus der Geschichte.
Es gibt ganz praktische Gründe, weshalb die Kuh in Indien als 'heilig' angesehen wird, denn es kann quasi alles von ihr verwendet werden:
· Milch
· Mist, als Brennmaterial und Dünger
· Urin, dem eine heilende Wirkung nachgesagt wird
· Haut, zur Herstellung von Leder
· Zugtier in der Landwirtschaft
· Verwertung von biogenen Abfällen
· Fleisch, für NICHT HINDUS
Und da sind wir bei einem wichtigen Punkt. Die Kuh ist nicht per se heilig, sie wird verehrt und geachtet - aber nicht angebetet! Und das macht den Unterschied.
Ich denke, dass dadurch bei vielen Nicht-Indern im Laufe der Zeit eben der Mythos der "heiligen Kuh" entstanden ist.
Aus dem klischeehaften Bild Indiens ist die Kuh natürlich nicht mehr weg zu denken. Sie ist quasi allgegenwärtig.
Wie ich bereits aus Bangalore und auch aus Goa erzählt habe, sind es überwiegend muslimische oder auch christliche Fleischhauer, die das Rind schlachten und verarbeiten und natürlich auch verkaufen.
Ab jetzt Sabines Erfahrungen:
Nun ist man ja als gelernter Österreicher - man wähnt sich gebildet und weltoffen - natürlich NICHT vor diesem Klischee der »heiligen Kuh« gefeit, welches eben aus der Unwissenheit resultiert und die romantische Vorstellung von bekränzten und bemalten Kühen weicht ziemlich schnell der Realität, die man vor Ort erlebt.
Das Erste, was ich bei meiner Ankunft in Kalkutta (bengalisch: Kolkata) sah, waren MENSCHEN. Eine derartige Ansammlung erlebt der Wiener höchstens an Veranstaltungen wie dem Maiaufmarsch und der Kulturschock war natürlich vorprogrammiert. Dieses Gewirr aus Fußgängern, Radfahrern, Autos, Tuk-Tuks und vielem mehr ist unbeschreiblich, der Lärm ohrenbetäubend und die Melange verschiedenster Gerüche (die nicht unbedingt immer Parfum sind), bringen die Sinne fast zum Kollabieren.
Meine erste indische Kuh sah ich an einer der belebtesten Kreuzungen Kolkatas. Mutter Kuh und ein wenige Tage altes Kälbchen lagen gemächlich wiederkäuend mitten auf der Straße und sorgten dafür, das nichts mehr ging. Der Inder nimmt´s gelassen, denn niemanden würde einfallen, eine Kuh von ihrem Platz zu vertreiben.
Wir standen da also annähernd zwei Stunden und die Straßenhändler und Bettler nutzten die Gunst der Stunde. Das ist eine Geduldsprobe, die im westlichen Europa undenkbar wäre, wo eine längere Rotphase einer Ampel schon für Unmut und Hupkonzerte sorgt. Mein Guide Abichek erzählte mir unterdessen viel Wissenswertes über die Kühe Indiens und auf meine Frage, warum die Kuh so mager sei und wirklich schlecht aussah, sagte er mir, das viele Kühe sterben würden, weil sie sich Hauptsächlich von Müll ernähren. Viele Kühe verenden qualvoll, weil sie Plastik fressen, das ihre Mägen natürlich nicht verarbeiten können und das die große Menge an toten Kühen in der Stadt allmählich zu einem Problem würde. Das erschien mir seltsam, denn ich konnte mir keinen Reim darauf machen, warum man so mit seinem »heiligen« Tier umgehen sollte, hatte ich doch in meinem Kopf die Bilder von Menschen, die die Tiere berühren und mit Gaben füttern.
Auch das Thema »Rindfleisch« verschaffte mir einen ernüchternden (Kultur)«Schock«: Jeder weiß ja, das in Indien natürlich KEINE Kühe gegessen werden; umso mehr war ich erstaunt, als mich Abichek am Tag meiner Abreise erstaunt fragte: »Was? Du hast bei uns KEIN Rindersteak gegessen...? Wieso?!? Du hättest das nur bestellen brauchen! Natürlich essen wir auch Rindfleisch, nur die Hindus nicht...!« ´Da brat mir doch einer einen Storch!´, dachte ich mir und musste leise schmunzeln, denn so wie sich der Inder Österreich tatsächlich als ein Land vorstellt, das samt und sonders aus Bergen, Almen und Wasserfällen besteht, wo jeder einen Hut mit Gamsbart trägt (Bollywood macht's möglich) und in dem gelegentlich auch Kängurus herumhüpfen, so fern der Realität ist das Klischee der »heiligen« Kuh, die verehrt, angebetet und frei im Paradiese der Straßen Indiens lebt.
Aber: Auch das ist eben India, and we love it! :)