Wieso klappt das heute nicht, was 1993 funktioniert hat?

Ich traue mir mal einen Kommentar zu, als jemand der anno dazumal einer der hunderttausend Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien war.

Bösewicht Nr. 1: Föderalismus

Bund-Land-Gemeinde-Stadt sind unfähig zusammen zu arbeiten. Grabenkämpfe verlaufen sowohl an parteipolitischen Linien entlang (siehe Blaue, aber auch Grüne Ortspolitiker, die sich von Rot-Schwarz nicht dreinreden lassen wollen), aber auch entlang persönlicher Egos.

Das einzige Land in Europa das noch stärker föderalisiert ist als Österreich, ist ironischerweise Bosnien&Herzegowina, aber dort war der Föderalismus ein notwendiges Übel, um einen Frieden zu erreichen; hier sind es die Überreste aus einer Zeit, in der Österreich noch groß und stark war und das Wort jedes noch so kleinen österreichischen Adeligen Bedeutung hatte. Der Vergleich von Lokalpolitikern und Kleinadel ist gar nicht so verkehrt. Der kleine Baron oder Kurfürst wollte sich vom Herzog oder Kaiser so wenig sagen lassen, wie möglich – hier und da etwas in den Hintern kriechen, aber dann doch seinen Dickkopf durchsetzen. Von Landeshauptmännern bis Dorfbürgermeistern unterhält sich jeder sein eigenes kleines Reich. Die Lehnsherren wollen König und Kaiser nur insoweit entgegenkommen, wie es in die eigenen Interessen passt. Es ist etwas, dass uns Ausländern in Österreich sehr schnell auffällt (damit sind jetzt nicht nur die 'klassischen' Ausländer gemeint, sondern auch EU Nachbarn, Amis, etc). Österreich ist überbürokratisiert, jeder der einmal auf die Idee kam ein Gewerbe anzumelden wird ein Lied davon singen können. Diese Bürokratisierung zieht sich durch alle Ebenen, amtlich, wirtschaftlich und politisch. Politisch zeigt sie ihre Auswüchse im extremen Föderalismus, in den unendlichen Gemeinden, die jeweils ihre eigenen Gemeinderäte und Gemeindevorsitzenden wollen. Dies ist der sehnsüchtige Wunsch des autochthonen Österreichers, etwas vom alten Glanz wiederzuerlangen. Auf gut Deutsch: Für jeden Schaß gibt‘s an Posten und der wird entweder an Freunde, Verwandte, Parteikollegen und/oder Arschkriecher verteilt. Jeder der seinen Posten hat, will nicht nur den Ruhm, den Glanz und das in weltweitem Vergleich Spitzengehalt, sondern auch Macht und das Gefühl etwas zu bewegen (oder im Falle der Flüchtlinge, stillhalten) zu können.

Aber, das war doch schon immer so, ‘93 oder 15. Stimmt, aber es ist auch eine progressive Entwicklung. Die Grabenkämpfe zwischen den Parteien werden immer heftiger, die Unterschiede ebenfalls. Es gibt immer mehr Parteien auf lokaler oder österreichweiter Ebene, Stimmen werden immer breiter verteilt. Die eigenen Posten werden immer schwerer zu halten und das zeigt sich dann zwangsweise in immer bestimmteren und härterem Auftreten.

Die SPÖ und nicht die absolute in Wien? Damals undenkbar, Zukunftsphantasie, Deliriumstraum. Und doch heute Realität und auch wenn ein nichtroter Bürgermeister diese Wahlen doch sehr unrealistisch ist, so wird der Posten in Zukunft viel härter umkämpft sein. Ein ähnliches Bild zieht sich quer durch Österreich. Schlimmer noch, während teilweise auf lokalen Ebenen Parteien ihre Hochburgen halten können, auf Bundesebene sieht dieses Spiel anders aus. Allein letzte Nationalratswahlen sind 2 komplett neue Parteien in das Parlament gezogen. Der Bürgermeister von Unterhintenbrunndorf (sollte das ein realer Ort sein entschuldige ich mich beim Bürgermeister) reagiert wie ein Kleinkind – Trotz und Ablehnung. "Was wollen die Bunten mir da Vorschreiben?" Noch hält es sich in Grenzen, da wir seit Ewigkeiten dieses Spiel Rot-Schwarz haben, aber es ist durchaus nicht unrealistisch, dass die nächste Regierung bunter wird und dann schau wir einmal, wer sich was vorscheiben lässt, insbesondere wenn die eigene Partei gar nicht (mehr) in der Regierung sitzt.

Der Föderalismus ist in Österreich schlimmer geworden, Österreich entwickelt sich zu einer Miniatur der Vereinigten Staaten, es gibt zwar ein zentrales Parlament, dass auch die wichtigsten Gesetze beschließt, aber die Lokalpolitik ist oft komplett anders und spielt nach ihren eigenen Regeln und Bundesgesetze werden wenn‘s sein muss ignoriert und man schaut was die Konsequenzen sind.

Bösewicht Nr2: Fehlendes soziales Netz

Die Gastarbeiter kamen in den 60/70/80ern. Der Jugobauhackler war überall, Maler, Tapezierer, Fliesenleger,... die Putzfrau? A Jugo. Noch vor dem Zerfall Jugoslawiens lebten viele Jugos in Österreich. Als dann die großen Flüchtlingswellen Anfang der 90er begannen, gab es in Österreich ein großes, gut organisiertes Netz an (ex-)jugoslawischen Communities. Flüchtlingslager waren kein großes Problem, die Wenigsten hatten keine Familie oder Freunde in Österreich und mussten irgendwo untergebracht werden. Die vorhandenen Kapazitäten reichten Großteils aus. Wir kamen bei Verwandten unter, dazu im nächsten Punkt ein bisschen mehr, da es etwas besser passt. Ein Gästebett im Wohnzimmer, eine Couch die sich ausfahren lässt, war schnell organisiert. Es gab Platz zum Schlafen. Arbeit ? Gab‘s genug. Am Bau wurde oft so oder so schwarz gehacklt, ob‘s nun ein Schwarzarbeiter mit gültigem Visa oder ein Schwarzarbeiter der Flüchtling war, war auch schon egal. Gepfuscht wurde viel, auch im Bereich der Visen. Es ging schnell und man hatte eine normale Visa, die einem zur Mitarbeit am Arbeitsmarkt berechtigte. Es gab Connections, das Geld floss mal da, mal dorthin. Die Überbürokratisierung wurde zum Vorteil genutzt.

Heute schaut die Sache da doch ganz anders aus. Kaum einer der Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan, Nordafrika und Mittelafrika hat Familie oder Freunde in Österreich. Die lokalen Communities aus diesen Ursprungsländern sind relativ klein und nicht so gut organisiert. Man muss so ziemlich alle in Lager unterbringen, schon vorhandene Lager waren schnell überfüllt, neue Lösungen zu finden ... eh schon wissen. Plötzlich gibt es ein Problem mit der Unterbringung der Flüchtlinge, es herrscht Notstand.

Bösewicht Nr3: Wirtschaft

Damals, da war die Welt noch gut. Die Wirtschaft war besser, die letzte Krise war Ewigkeiten her, Dotcom noch weit weg. Österreich war im Aufschwung, Wiederaufbau mehr oder weniger abgeschlossen. Der Schilling war stark, alles war günstig. Die Mieten waren noch leistbar. Wir lebten Anfangs zu 12t in einer Wohnung von einem Gehalt + dem bissl was wir von der Caritas bekamen. Heute unvorstellbar. Mietpreise in Wien sind so heftig, dass ein normales Hacklergehalt zur Hälfte von der Miete gefressen wird und dann muss man gucken wie man die eigenen 3-4 Köpfe über die Runden bringt.

2 Wochen auf der Baustelle pfuschen und es gab mehr als genug Geld. Man konnte sich Fleisch leisten, man konnte es sich leisten am Wochenende irgendwo nach Niederösterreich zu fahren, an nen Fluss und zum Grillen. Nach besonders guten Wochen ging es auf den Balaton. Hatte man einen geregelten Job, war es noch besser und nebenbei konnte man trotzdem noch Pfuschen. Mir hat es als Kind damals, nach den anfänglichen Schwierigkeiten (ein Thema für einen anderen Beitrag), an nichts mehr gemangelt. Nachdem meine Eltern jeweils eine Arbeit hatten, konnten wir es uns leisten auszuziehen. Vierzimmer Wohnung mit einem Klo, das nicht am Gang war, kein Problem. Zwei Kinder die zur Schule gehen, easy.

Als Vergleich: Auf dem Weg zur Schule ging es zum Billa/Zielpunkt. Mit 20 Schilling in der Tasche hatte man ne Wurstsemmel, einen EisTee/eine Cola und einen Schokoriegel vom Kassaregal. Geht man heute mit 2€ in den Billa kriegt man a Wurstsemmel mit 5 Scheiben und falls man sich einen Billigsaft/kleine Dose nimmt kann man den Schokoriegel von der Kassa vergessen.

Seit Jahren schlittert die Welt von einer Wirtschaftskrise in die Nächste. Arbeitslosenzahlen sind nur dank AMS-Schönungen nicht noch höher. Alles is sau teuer. Mal davon abgesehen, dass es den Flüchtlingen so oder so nicht erlaubt ist Tätigkeiten nachzugehen im Moment, so sieht die Lage am Schwarzarbeitsmarkt genauso düster aus. Der Pfuschmarkt ist hart umkämpft. Jugo-,Polen-,Bulgaren-,Rumänen-,... Pendler, dazu noch ansässige Arbeitslose, die auch gern irgendwie an Geld kommen wollen und jetzt noch immer mehr Flüchtlinge von denen viele kräftige junge Männer sind. Hat man früher mit einem Wochenende Pfusch 5000 Schilling gemacht oder in den ersten Jahren des Euro auch 300-400€ für Fr-Sa-So Hausbauhelfen mitgenommen, kann man heute froh sein wenn man mehr als einen 50er/Tag kriegt.

Bösewicht Nr4: Neidgesellschaft

Der Österreicher ist ein Grantler und ein Neider und selbst Ausländer in zweiter und dritter Generation zeigen diese Züge. Groß den Unmut ausdrücken, tut man nicht, man grantlt, gibt sich höflich und nuschelt dann ein Arschloch hinterher. Der Andere hat immer mehr und sowieso: Die ganzen Politiker und deren Freunderlwirtschaft und die ganze korrupte Scheiße, nur ich bin der Geschröpfte. Vielleicht trifft das nicht auf ganz Österreich zu, korrigiert mich wenn ich falsch liege, aber zumindest so bekomme ich das in Wien und NÖ mit. Womit ich wieder zu Punkt 3 zurückkomme: Damals ging es uns allen gut. Ob nun real oder nur empfunden, weil gerade wieder aufgebaut nach dem Krieg: erfolgreich, Wachstum, eigene Währung, ... zumindest der wahrgenommene Wohlstand war viel höher. Heute sieht‘s anders aus und dann treibt‘s dem Neider den Hass aus den Poren, wenn er hört, dass die Asylanten Geld fürs nichts tun kriegen. Wie lächerlich wenig es ist und das es gerade noch so zum Überleben im Lager reicht. ist irrelevant. Wichtig is: Ich hackel für mei Geld und die kriagns in Oarsch geschoben, nur weils geflohn san. Neidete man früher nur denen, die mehr hatten, neidet es man heute selbst denen die weniger haben, weil man jemanden braucht, dem es viel beschissener geht, damit man sich selbst gut fühlt.

Bösewicht Nr5: Wahrnehmung

Damals war der Krieg um die Ecke, ja die ältere Generation wuchs entweder in der Nachkriegszeit auf oder hatte sogar noch Erinnerungen an die Kriegszeit. Es machte betroffen "über der Grenz da schießens aufeinander". Heute ist der Krieg weit weg. Irak/Syrien ? Wo ist das. Mittelafrika? Welche Länder san dort überhaupt? Auch ist die Kriegs-& Nachkriegsgeneration immer älter und kleiner, da verstorben. In den wichtigen Posten sitzt jetzt großteils die Wachstumsgeneration, die Aufschwungs- und Aufbaugeneration. Es sind 22 Jahre seit dem Balkankrieg vergangen. Die heutige Jugend hat an diesen gar keine Erinnerungen mehr, junge Erwachsene haben keine Erinnerungen an die Fernsehberichte über die Kampfhandlungen, die Bombenangriffe und den Eingriff der USA. Es fehlt der Bezug und damit auch das Mitgefühl. Siehe die ganzen "Hassposter" auf Facebook, das sind keine Hassposter, das sind Kinder, die auf cool tun, weil sie nicht wissen wovon sie reden. Sie finden eine zum Mainstream konträre Meinung und reißen dann tiefschwarze Sprüche und Witze, weil das krass ist und schockt und verbrennen sich dann ordentlich die Finger.

Bösewicht Nr6: Islam

Bisher hab ich mir wahrscheinlich den einen oder anderen Feind gemacht, da ich doch etwas kritisch gegenüber Österreich und dem gemeinen Österreicher war. Jetzt mach ich mir noch auf jeden Fall einige mehr.Damals kamen die Flüchtlinge aus Jugoslawien, sehr säkulares Land, da kommunistisch. Atheisten oder Agnostiker und selbst die Religiösen waren eher moderat, noch dazu waren die ja katholisch und orthodox und ein Teil muslimisch, wobei der bosnische Islam damals sehr moderat/modern/frei war und es heute auch noch zum Großteil ist, auch wenn die Tendenzen in den letzten Jahren eher in die andere Richtung schlagen. Und generell war der Islam damals halt nur eine Religion von vielen.

9/11 - Terror

Der Islam in den Köpfen der Menschen heute ist was ganz anderes und die meisten der Flüchtlinge sind Muslime. Sie haben das Pech jetzt in einem Topf geworfen zu werden, der Österreicher bringt dem muslimischen Flüchtling Misstrauen gegenüber.

Gleichzeitig ist der Islam aus diesen Regionen ein anderer als der Islam am Balkan oder der moderne Islam in Europa. Der Islam aus dem Nahen Osten ist ein strenger, konservativer Islam und ein Islam der mit den Werten der westlichen Welt zum Teil nicht vereinbar ist. Wären jetzt in Traiskirchen tausende Ukrainer, tausende Asiaten, tausende egal-woher-hauptsache Nichtmuslime, wäre die Situation eine ganz andere. Schiiten und Sunniten machen heutzutage, dass was Katholiken und Protestanten vor hunderten Jahren in Europa aufgeführt haben.

Die Flüchtlinge bringen diese Probleme mit. Auseinandersetzungen und Ausschreitungen, wie kürzlich in Deutschland, sind kein Symptom einer schlechten Lage in den Lagern. Sie sind tiefverwurzelter Hass zwischen religiösen Gruppierungen und ethnischen Minderheiten. Eine Ghettoisierung und strikte Trennung ist keine Lösung und führt zu nichts, dadurch aber, dass diese Probleme hierhergeschleppt werden, entsteht Misstrauen und Ablehnung in der Bevölkerung (zu recht?).

Der Krieg am Balkan war ein Krieg entlang ethnischer Linien und trotzdem hat es die jugoslawische Community in Wien (und Österreich) geschafft ein Miteinander aufzubauen. Man hat vorher zusammen gelebt und wurde aufgrund der Politik anderer auseinandergetrieben, wieso soll man das hier beibehalten, lasst uns zusammen leben und wenn nicht zumindest uns gegenseitig tolerieren. Und im Großen und Ganzen funktioniert das auch, abgesehen von Auseinandersetzungen während sportlicher Großereignisse.

Wenn man seine Religion so streng und extrem auslebt, wird es schwer die Geschichte Geschichte sein zu lassen; immerhin geht es um Gott und das Leben danach, da kann man den Feind/den Ungläubigen nicht einfach ignorieren.

Naja, das mal meine unprofessionelle Meinung zu dem Thema, klügere Mensch haben klügere Dinge zu sagen, ich kann halt nur Beobachten und Vergleichen zwischen der Zeit Anfang 90 und heute.

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