Es geschehen seltsame Ereignisse. Vor zwei Wochen rief mich meine Tante an und teilte mir mit, dass mein Cousin bei einem Verkehrsunfall in New York ums Leben gekommen ist. Ich hatte über die Jahre nur lockeren Kontakt zu meinem Cousin, denn er war ein viel beschäftigter Mann. Soweit ich weiß, war er Strategic Supervisor in einer großen, internationalen PR-Agentur und reiste viel herum. Er muss knapp 50 Jahre alt geworden sein. Traurig.

Zwei Tage später erhielt ich einen Brief aus New York. Er war von meinem Cousin. Darin befanden sich eine Speicherkarte und eine gelbe Post it Notiz. Auf dieser stand: „ Lieber Cousin, anbei der Mitschnitt der Eröffnungsrede auf dem UN-Workshop, zu dem ich mich in New York befinde. Ich habe sie mit dem Handy direkt von der Simultanübersetzungsanlage aufgenommen. Ich hoffe, du tust das Richtige.“

Ich weiß nicht, ob ich das Richtige tue. Ich habe den Text Wort für Wort transkribiert und stelle ihn hiermit ins Netz. Irgendetwas sagt mir, dass ich so sicherer bin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie recht herzlich hier im UN-Building in New York zu unserem fünftägigen Workshop.

Wir haben 250 Werbe-, Kommunikations- und Marketingexperten aus 82 Ländern eingeladen, von denen wir glauben, dass sie zu den besten in ihren Fachgebieten zählen. Dies erscheint uns notwendig, denn wir wollen mit unserem Workshop den Startschuss zu dem größten und sensibelsten Kommunikationsprojekt aller Zeiten starten. Gemeinsam mit Ihnen werden wir Kommunikationsstrategien und –maßnahmen entwickeln, die in dem weltweiten Rollout einer beispiellosen Informations- und Werbekampagne münden werden. Unsere Zielgruppe ist die gesamte Menschheit – ohne Ausnahme.

Keiner von Ihnen weiß in diesem Augenblick, worum es dabei geht. Ich darf Sie noch einmal an die Verschwiegenheitserklärung erinnern, die jeder von ihnen unterzeichnet hat. Verstöße dagegen werden in keiner Weise toleriert und ziehen ultimative Sanktionen nach sich.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu Beginn einen kurzen Überblick über das Programm geben, bevor ich ihnen grob umreiße, worum es geht. Es ist das anspruchsvollste Projekt, das die Menschheit jemals in Angriff genommen hat und es zielt auf nichts Geringeres ab, als die Rettung dieses Planeten und der Zukunft der Menschheit.

Nach meiner Einführung werden Sie wissen, dass dieses Projekt sämtliche Aspekte der menschlichen Existenz berührt, die ich hier lediglich kurz anreißen kann. In den nächsten zwei Tagen werden deshalb Einzelveranstaltungen in Kleingruppen stattfinden, in denen sie von Fachleuten detailliert ins Bild gesetzt werden. Sie werden mit Ökologen und Wirtschaftswissenschaftlern, mit Biologen, Medizinern, Städteplanern und Finanzexperten, Pädagogen, Philosophen und Politikwissenschaftlern diskutieren können. Jeder von ihnen hat bereits eine individuelle Aufstellung erhalten, aus der Sie Ort und Zeit ihrer fachspezifischen Info-Veranstaltungen entnehmen können. Wir wollen sicher sein, dass Sie umfassend informiert sind.

Anschließend treffen wir uns zu einer halbtägigen Diskussion hier im Plenum, bevor Sie in Kleingruppen-Workshops gemeinsam mit ihren Kollegen an die Ausarbeitung der Konzepte und Maßnahmen gehen, die sicherlich von Land zu Land variieren werden. Am Nachmittag des fünften Tages treffen wir uns wieder hier zu einer Abschlussveranstaltung.

Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass viele von Ihnen später das Bedürfnis haben werden, nach Kenntnisnahme über Sinn, Zweck und moralische Legitimation dieses Megaprojektes diskutieren zu wollen. Sparen Sie sich die Zeit. Das Projekt wurde bereits vor 5 Monaten gestartet und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wir erwarten die ersten sichtbaren Auswirkungen in ungefähr einem halben Jahr. Diese werden weltweit zu Diskussionen, Spekulationen, Protesten und wahrscheinlich auch Aufständen führen. Diesen wollen wir mit den von ihnen entwickelten Kommunikationskampagnen begegnen. Sie werden die Menschen in ihren Ländern über die Hintergründe des Projektes informieren und gemeinsam mit den Medien für Verständnis und eine positive Grundstimmung sorgen.

Dies dürfte in Anbetracht der Tatsache, dass das Projekt irreversibel ist, leichter fallen, als es scheint. Menschen fügen sich in das Unabänderliche. Auch wird das Projekt die gesamte Menschheit betreffen – ohne Ausnahme. Es gibt also keinen Grund, dass sich bestimmte Gruppen oder Staaten benachteiligt fühlen. Unser Projekt wird sichtbare Auswirkungen erst auf die nächste Generation haben. Kein heute lebender Mensch wird persönlich davon betroffen sein, sieht man einmal von einer geringfügigen, genetischen Modifikation ab. Der Gewinn für die Menschheit wird allerdings enorm sein. Sie werden im Laufe dieses Workshops feststellen, dass wir nahezu alle Probleme auf dieser Welt mit einem befreienden Schlag lösen werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nun nicht länger auf die Folter spannen und ihnen unumwunden sagen, worum es bei diesem historischen Projekt, das hier in der UN unter Mitarbeit von Fachleuten vieler Nationen entwickelt wurde, geht. Danach werden ich kurz die Hintergründe, die Notwendigkeit und die überaus positiven Folgen skizzieren.

Auf den Punkt gebracht: In ein paar Monaten wird auf dieser Welt kein Mensch mehr geboren werden, der im Laufe seines Lebens eine Körpergröße von mehr als ca. 1,00 bis 1,10 Metern erreichen wird.

Wenn Sie so wollen, kann man sagen: Wir haben die Menschheit geschrumpft. Dies ist uns gelungen, ohne dass wir Größe und Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Die Modifikation betrifft lediglich die Körpergröße.

Ich möchte nun kurz auf die Hintergründe eingehen. Wie sie vielleicht wissen, bewegt sich die Menschheit auf diesem Globus in allen Bereichen am Limit. Immer mehr Tierarten sterben aus, der Ressourcenverbrauch wächst dramatisch, die Weltmeere sind nahezu leer gefischt, und die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf das Klima könnten mehr als bedrohlich sein. Sie kennen das vermutlich alles bereits aus den Medien. Gleichzeitig wächst die Zahl der Menschen weltweit dramatisch. Insbesondere in Afrika stehen wir vor einer Bevölkerungsexplosion. Deren Folgen sind nicht nur ökologisch bedrohlich, sondern führen zu Migrationsbewegungen, die Frieden und Sicherheit – vor allem in Europa – ernsthaft bedrohen. Schließlich: das leidige Thema „Energie“. Nach unseren Berechnungen gibt es in absehbarer Zeit keine Lösung, um den Energiehunger der Menschheit zu stillen. Denken Sie auch hier an Afrika.

Sie werden zu all diesen Themen in den folgenden Workshops eingehend informiert und mit den neuesten, meist noch nicht publizierten Zahlen vertraut gemacht. Sie werden verstehen, dass es Zeit ist, zu handeln.

Aber nicht nur ökologisch sind wir am Limit, auch ökonomisch sieht es finster aus. Die Weltfinanzsysteme stehen kurz vor dem Kollaps, das Wirtschaftswachstum geht gegen Null und die Verschuldung wächst dramatisch. Wir befinden uns in einer Situation, - verzeihen Sie mir den Zynismus - in der uns nur noch ein großer Krieg retten könnte. Der würde teilweise zu einem Reset führen und der anschließende Wiederaufbau würde für Wachstum sorgen. Glauben Sie mir: Auch diese Möglichkeiten wurden diskutiert und entschieden abgelehnt. Zum einen lösen wir damit nicht die ökologischen und demografischen Probleme, selbst, wenn wir von Millionen Toten ausgehen. Zweitens können wir uns im Zeitalter der Nuklearwaffen das unkalkulierbare Risiko eines atomar geführten Krieges nicht leisten.

All diese Probleme sind der Weltöffentlichkeit bekannt, obwohl die tatsächlichen Zahlen und Analysen ein viel dramatischeres Bild zeichnen. In den UN wurde deshalb schon vor fünfzehn Jahren eine streng geheime Forschungsgruppe gegründet und mit der Erarbeitung von Lösungen beauftragt.

Wir hatten Glück: 2003 entdeckte ein kanadischer Forscher einen so genannten Gen-Schalter, der das körperliche Wachstum von Menschen beeinflusst. Es gelang, diesen Schalter relativ unkompliziert biochemisch zu manipulieren und somit das Wachstum zu begrenzen. In einem versteckten Forschungslabor in Alaska wurden sofort umfangreiche Testreihen gestartet, die sehr erfolgreich waren. Es zeigte sich, dass die einmal induzierte genetische Veränderung vererbt wird, d.h. kleinere Menschen bekommen auch ohne Zuführung von Wirkstoffen Kinder, deren Maximalgröße 1,10 Meter nicht übersteigt.

Die Kinder, die in unserem Labor in Alaska gezeugt wurden, - es sind einige hundert - sind heute zwischen 12 und 13 Jahren alt, erfreuen sich bester Gesundheit und entwickeln sich geistig und intellektuell wie normale Kinder. Ihre Köpfe sind proportional zur Körpergröße nur geringfügig größer. Wir sehen hier kein wesentliches ästhetisches Problem. Details zu den Forschungsergebnissen, etwa zum Nahrungsverbrauch, der erfreulicherweise nahezu halbiert ist, erfahren sie in dem entsprechenden Workshop.

Nach den ersten positiven Ergebnissen aus Alaska konzentrierte sich die UN-Forschergruppe ausschließlich auf diese Lösung. Bis dahin waren auch noch Überlegungen zu einer großflächigen Sterilisation, vor allem in Afrika, in der Diskussion. Diese wurden aber auch aus Gründen einer mangelnden globalen Ausgewogenheit der zu treffenden Maßnahmen verworfen.

Ein großes Problem bereitete zunächst die Verabreichung der entsprechenden, genetisch wirksamen Substanzen. Versuche, diese über das Trinkwasser zu applizieren, erwiesen sich als suboptimal, da dies global flächendeckend nicht möglich war. Mehr oder minder zufällig kam es zu Kontakten zur US-Airforce, die damals ein Testprogramm zur Wetterbeeinflussung startete. Dabei wurden Wirksubstanzen aus großer Höhe versprüht. Es wurde daraufhin ein Aerosol entwickelt und in Flächenversuchen in Somalia erfolgreich getestet.

Seit ungefähr einem halben Jahr wird das Aerosol rund um den Globus versprüht. Weltweit durchgeführte Tests und Blutuntersuchungen zeigen, dass es wirksam ist. Natürlich lässt sich ein derartiges Projekt nicht komplett geheim halten. Vermutlich kennen einige von Ihnen die Verschwörungstheorien bezüglich der so genannten „Chemtrails“. Dennoch ahnt die Öffentlichkeit nichts über die wahren Hintergründe und die Verschwörungstheoretiker werden belächelt. Tatsächlich irren sie in einem wichtigen Punkt: Hinter den Chemtrails steckt keine böse, machtpolitische Absicht, sondern ein groß angelegter Rettungsversuch, bei dem es um die Zukunft der Menschheit geht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun kurz auf die Konsequenzen unseres Projektes eingehen. Auch diesbezüglich erhalten sie detaillierte Berechnungen und Prognosen.

Ich habe bereits vor vielen Jahren mit Mitgliedern der geheimen UN-Forschungsgruppe gesprochen und erinnere mich gut an deren Verblüffung, als sie die Folgen der – lassen Sie mich sagen: - „Schrumpfungskur“ ermitteln. Keiner von ihnen hätte mit derart gravierenden und positiven Konsequenzen gerechnet. Offenbar neigt der Mensch – als Individuum, Gruppe oder Menschheit – zu maßloser Selbstüberschätzung und Anmaßung. Wir bilden uns so viel auf unsere Möglichkeiten, unsere Träume und Ideen, unsere sozialen Errungenschaften, Erkenntnisse und Ideologien ein, dass wir vollkommen verdrängen, dass wir zuallererst biologische Wesen sind. Wenn man so will, hat die Menschheit sich im Laufe ihrer Entwicklung mental und sozial im weiter von ihrer Basis entfernt. Dies gilt besonders für die weit entwickelten Staaten, in denen die biologischen Grundbedürfnisse in der Regel erfüllt sind.

Man kann die Konsequenzen kurz zusammenfassen: Ein Mensch, der nur 60 % der Körpergröße eines heutigen Menschen hat, verbraucht auch nur 60 % der Ressourcen. Das bedeutet natürlich in erster Linie Nahrung. Er braucht weniger Wasser und produziert weniger Abwasser. Er benötigt kleinere Häuser aus weniger Baumaterial und kleinere Autos, die weniger verbrauchen. Diese Autos benötigen schmalere Straßen. Wir können kleinere und sparsamere Flugzeuge bauen oder mit den vorhandenen Maschinen wesentlich mehr Menschen transportieren. Es wird weniger Material für Kleidung verbraucht und elektronische Geräte, deren Miniaturisierung jetzt durch die Größe der menschlichen Hand gestoppt ist, können weiter schrumpfen. Die Welt würde mehr Platz für mehr Menschen bieten und könnte diese ernähren, wobei es wünschenswert wäre, dass wir das Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen. Aber dazu kann uns unser Projekt mehr Zeit verschaffen.

Auch die ökonomischen Folgen sind überaus positiv. Eigentlich ist das ähnlich wie nach einem Krieg: Alles muss neu. Ein gigantisches Konjunkturprogramm wird anlaufen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Häuser werden neu gebaut oder umgebaut, neue Fahrzeuge werden konstruiert werden. Milliarden werden in den Straßenbau fließen, buchstäblich jede Kloschüssel, jede Küche wird ausgetauscht werden. Eine Generation kleinerer Menschen wird sich eine neue Welt schaffen.

Meine Damen und Herren, Sie werden sich jetzt vermutlich fragen, ob es auch negative Folgen gibt. Ich kann ihnen versichern, dass diese so gut wie nicht vorhanden sind. Sie haben sicher schon von dem Begriff Industrie 4.0 gehört, die die Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse umschreibt. Früher spielten Körpergröße und Kraft in den Produktionsprozessen eine wichtige Rolle. In Zukunft werden intelligente Roboter diese Aufgaben übernehmen. Körpergröße wird zunehmend an Bedeutung verlieren. Evolutionär gesehen ist sie nicht mehr von Vorteil. Der Mensch steht nicht mehr im Kampf gegen die Mächte der Natur. Es ist ihre Aufgabe, das ihren Mitbürgern zu kommunizieren.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt betonen, der mir persönlich am Herzen liegt. Das soeben skizzierte Projekt ist global vollkommen ausgewogen. Unsere Messungen bestätigen, dass die Aerosole rund um den Globus wirksam sind. In der nächsten Generation wird es definitiv keine Menschen mehr geben, die größer als maximal 1,10 Meter sind.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Denken Sie daran: wir müssen nicht nur die Köpfe der Menschen erreichen, sondern auch ihre Herzen. Verbreiten Sie Optimismus und eine positive Aufbruchsstimmung auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Vielen Dank.

(Dies war fiction! - noch...)

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

robby

robby bewertete diesen Eintrag 11.11.2016 22:33:34

3 Kommentare

Mehr von Davinci