Der Putschversuch in der Türkei ist gescheitert und im Westen sind viele enttäuscht. Es wäre ja auch zu schön gewesen: Umjubelt vom Volk stürzt das Militär den größenwahnsinnigen Leader, sorgt für Ruhe und Ordnung, säubert die Verwaltung von den AKP-Anhängern und in ein oder zwei Jahren zieht sich das Militär zurück und es wird Demokratie in der Türkei.
Die offene oder klammheimliche Enttäuschung hierzulande lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Der Westen hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Er hat immer noch nicht begriffen, was Islam bedeutet und welche Auswirkungen er auf die Menschen hat. Eine Sozialisierung in islamisch geprägten Kulturen mündet fast immer – nach unseren Maßstäben - in einer Unmündigkeit und mangelnder politischer Reife der Menschen.
Ich sprach heute mit einem türkischen Freund, der seit 50 Jahren in Deutschland lebt und zahlreiche Verwandte in der Türkei hat. Diese sind - wie er - nicht gut auf Erdogan zu sprechen. Als ich ihn auf den missglückten Putsch ansprach, sagte er mir, dass er das eigentlich begrüße. Die Türkei sei schlicht und einfach nicht reif für die Demokratie. Die Menschen dort, wie eigentlich überall in den islamischen Ländern, brauchen eine starke Führerfigur, der sie einfach hinterher trotten können. Die Sozialisierung in den für den Islam typischen, hierarchischen und autoritären Strukturen, lasse nichts anderes zu.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass wir im Westen immer noch nicht verstanden haben. Der gesamte arabische Frühling und unser Jubel darüber waren eine Farce. Die Ausschaltung von Saddam Hussein im Irak oder Muammar al-Gaddafi in Libyen ein dramatischer Fehler. Nirgendwo ist Frieden oder Demokratie eingekehrt und wird es wohl auf absehbare Zeit nicht. Die Menschen sind schlicht und einfach nicht reif dafür. Sie sehnen sich insgeheim nach einer strengen Vaterfigur, die Ihnen ein nationales Selbstbewusstsein vermittelt, - je strenger, schillernder und allmächtiger, desto besser. Diese Strenge, ein weltliches Abbild der Strenge Allahs, gibt ihnen Halt und Orientierung.
Unsere Vorstellung, man könne in islamisch geprägten Ländern Demokratie einführen, ist ebenso naiv, wie die, man könne Muslims in Deutschland einfach integrieren. Wir halten beharrlich an unserer anmaßenden Realitätsverweigerung fest, obwohl wir in beiden Punkten – den Demokratisierungsversuchen und der Integration – in den letzteren Jahren immer wieder Zeuge des Scheiterns wurden. Wir verstehen einfach nicht, was der Islam wirklich bedeutet.
Mit dieser Blindheit stellen wir die Weichen für die nächsten Katastrophen, außen- wie innenpolitisch. In der Türkei wird jetzt erst mal Ruhe einkehren. Erdogan geht gestärkt aus dem Putsch hervor. Er wird noch strenger und mächtiger agieren als bisher – und die Menschen werden ihn dafür lieben. Es lebe Erdogan!