Früher war einiges besser. Da lebte der Mensch in der Familie und darüber hinaus in relativ engem Kontakt mit seinen Nachbarn und der Gemeinde. Er arbeitete und stellte in der Regel etwas Sinnvolles und Anfassbares her, was ihm – neben der Bezahlung - eine gewisse Befriedigung verschaffte.
Anerkennung und Selbstwertgefühl erlangte er in direktem Kontakt mit seinem sozialen Umfeld, wobei die traditionelle Familie – Eltern und mehrere Kinder – von ganz besonderer Bedeutung war. Wem das nicht reichte, der ging zum Stammtisch, in den Verein, in die Gemeindearbeit oder pflegte den Kontakt zu seinen Nachbarn.
Das waren die Zutaten für ein zufriedenes Dasein. (Damals war „Glück“ noch nicht so IN).
Dann geschahen 2 Dinge: Erstens gab es immer weniger „sinnvolle“, produktive Arbeit, die einen messbaren Erfolg bescherte. Da der Mensch in der Massengesellschaft von etwas leben musste, erfand man neue Formen von Arbeit, im Dienstleistungssektor, in der Bürokratie, im Sozialsystem, in den Medien oder in der Bildung. Dort gab es nun nichts mehr herzustellen, sondern man schwätzte oft (oder schrieb..) den ganzen Tag vor sich hin, worauf andere dann etwas erwiderten oder das Gegenteil schwätzten. Oder man „verkaufte“ den ganzen Tag Hamburger. Befriedigend war das nicht besonders. Es glich dem Kampf gegen Windmühlenflügel.
Zweitens zerbrachen die sozialen Bindungen, was man oft als Vereinzelung bezeichnet. Fast 50 % Scheidungen, ein Drittel Singlehaushalte, Reproduktion weitgehend eingestellt.
Volkswirtschaftlich zahlte sich das aus, der Konsum stieg an. Böse Zungen behaupten, dass über die Medien die Individualisierung und der Konsum regelrecht als neuer Lifestyle propagiert wurden.
Beide Faktoren trugen dazu bei, dass der moderne Mensch nun ein großes, fast existenzielles Problem hatte: „Wo bekomme ich mein Selbstbild und mein Selbstwertgefühl her“?
Gut, die Wirtschaft sagte: Du musst dich über Konsum „definieren“. Erst die richtigen Produkte, der trendige Style machen dich zum Individuum. Aber auch dies war ein mühseliger, nicht enden wollender Prozess, denn die „richtigen“ Produkte wechselten beständig. Außerdem brauchte man dafür eine Menge Geld. Anerkennung und Selbstwertgefühl gibt es nicht zum Nulltarif.
Viele Menschen verzweifelten und nicht wenige wurden regelrecht gehässig. Sie fingen an zu moralisieren. Sie propagierten Standpunkte, die ihnen selbst eine überlegene Moral attestierten und verachteten alle anderen. Sie wurden zu (selbsternannten) Experten des Richtigen und des Guten, zu Meistern der Ausgrenzung. Oder sie fingen an, „Wahrheiten“ zu verkünden, die sie sich irgendwo zusammengesucht hatten, und schätzten sich selbst als Verkünder, Wissender oder Prophet. Der Grundstein für Spaltung und Zersplitterung der Gesellschaft war gelegt.
Da der Prophet in den eigenen 4 Wänden bekanntlich nichts gilt, wurden die „Social Media“ erfunden. Hier konnte nun jeder mit etwas Geschick glänzen. Angesichts der schieren Masse der User, konnte jeder ein paar Verbündete oder zu mindestens ein paar Likes auch für den absurdesten Murks einsammeln. Man musste sich nicht mal die Mühe machen, selbst Content zu erstellen. Es reichte, irgendetwas zu verlinken, das schon eine Reihe von Usern für gut befunden hatte. So war man auf der sicheren Seite.
Aber letztlich stand man – ob virtuell oder real – im steten Wettbewerb um „Selbstwertpunkte“, der immer verbissener geführt wurde und immer größere Investitionen, sei es Zeit oder Geld, erforderte. Auf der Suche nach dem propagierten Glück hatte man auch die Zufriedenheit verloren. Was dem einen sein neues iPhone oder die exklusive Reise war, war dem anderen die Empörung über die neueste Verschwörungstheorie, ein Link zu einem Youtube-Video mit „ultimativen Wahrheiten“ oder die Zurschaustellung der größten Tierliebe.
Es war ein Kampf gegen Windmühlenflügel und der Return on Investment war eher bescheiden. Und während man immer verbissener gegen die Windmühlen anritt, wurde das Land sukzessive erobert von Menschen, die mit Anerkennung und Selbstwertgefühl nicht die geringsten Probleme hatten. Ein archaischer Ehrbegriff, die Bestätigung durch Familie oder Clan und eine gewisse Kunstfertigkeit mit der Klinge ebneten ihnen den Weg auf der Siegerstraße.