Richterin zum Fall CJ Hopkins: Mit Nazi-Vergleichen gegen die Coronapolitik – ist das erlaubt?

Unsere Autorin hat zum NS-Kennzeichenverbot promoviert und meint: Der erstinstanzliche Freispruch von Hopkins war richtig. Warum geht die Staatsanwaltschaft trotzdem in Revision?

Von Clivia von DewitzBerliner Zeitung (open source), 21. September 2024

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Ein Mann mit Schutzmaske geht während der Corona-Pandemie durch den Berliner Hauptbahnhof. | Christoph Söder/dpa

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Am 30. September soll vor dem Kammergericht Berlin in der Sache CJ Hopkins die Revisionsverhandlung stattfinden. Dem gebürtigen Amerikaner, verheiratet mit einer Jüdin, seit fast 20 Jahren in Berlin lebend, wird von der Staatsanwaltschaft Berlin vorgeworfen, durch zwei Tweets auf X gegen das seit 1968 in Deutschland geltende NS-Kennzeichenverbot verstoßen zu haben. Stein des Anstoßes waren Abbildungen, die eine weiße medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zeigen, auf denen jeweils mittig ein ebenfalls weißes Hakenkreuz durchschimmert. Dazu veröffentlichte er unterschiedliche Begleittexte, was für den Prozessverlauf relevant sein wird. Doch dazu später mehr.

Das Zeigen von NS-Kennzeichen löst in Deutschland bis heute bei einem Großteil der Bevölkerung Unbehagen aus. Zu Recht – stehen diese Kennzeichen doch für ein Unrechtsregime unvorstellbaren Ausmaßes, das insbesondere für den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg und damit für Millionen Tote verantwortlich ist.

Das Kennzeichenverbot

Bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg machte man sich daher verständlicherweise Gedanken, wie mit NS-Kennzeichen umzugehen sei. Die ersten Strafvorschriften, die nationalsozialistisches Gedankengut, somit auch NS-Kennzeichen, zum Inhalt hatten, waren Besatzungsrecht der Militärregierung Deutschland für die amerikanische Zone (wie das Gesetz Nr. 154). Das Gesetz sah hohe Strafen für den Gebrauch von NS-Symbolen auf Fahnen, Bannern und Ähnlichem vor.

Die große Eingangshalle im Amtsgericht Tiergarten in der Turmstraße in Berlin-Moabit. Im Januar wurde CJ Hopkins vom Gericht freigesprochen, die Staatsanwaltschaft ging in Revision. | Volker Hohlfeld/

Nach 1949 enthielt zunächst allein das Versammlungsgesetz von 1953 das Verbot des Verwendens nationalsozialistischer Kennzeichen. Erst 1960 mit dem 6. Strafrechtsänderungsgesetz fand das Verbot des Zeigens von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisation als § 96a StGB Eingang in das Strafgesetzbuch. 1968 wurde das Kennzeichenverbot dann als § 86a StGB im Rahmen der Parteienverbotsbestimmungen in der im Wesentlichen bis heute geltenden Fassung eingeführt und somit die Normierung des NS-Kennzeichenverbots in den allgemeineren Kontext des Parteienverbotsrechts gestellt.

Strafbar macht sich nach dem Kennzeichenverbot (§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB) nur, wer NS-Kennzeichen verbreitet oder öffentlich verwendet, "die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen". Somit fällt nicht schon jede Verwendung eines NS-Kennzeichens unter das Verbot. Im Gegenteil, das Gesetz bekräftigt, dass als Propagandamittel nur solche Schriften gelten, deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind (§ 86 Abs. 3 StGB).

Und nach dem Strafgesetz (§ 86 Abs. 4 StGB) scheidet eine Strafbarkeit auch dann aus, wenn das Propagandamittel bzw. Kennzeichen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (sog. Sozialadäquanzklausel).

Jens Spahn gibt eine Pressekonferenz als Bundesgesundheitsminister, 2020. | Bernd von Jutrczenka/dpa

Erst in den 70er-Jahren wurden NS-Kennzeichen auch in kritischer oder ironisierender Form verwendet. Die Rechtsprechung hat die Strafbarkeit in diesen Fällen entweder schon auf der Tatbestandsebene oder durch Anwendung der Sozialadäquanzklausel scheitern lassen. Denn eine kritische und distanzierte Verwendung von NS-Kennzeichen ist insbesondere mit Blick auf Artikel 5 des Grundgesetzes nicht strafbar. Das dort festgeschriebene Grundrecht der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit ist konstituierend für eine Demokratie.

Das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten: Freispruch

Vor dem Hintergrund der geschilderten Gesetzeslage sprach das Amtsgericht Tiergarten daher völlig zu Recht CJ Hopkins am 23. Januar 2024 frei. In seinem Urteil kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte sich mit seinen zwei Posts auf X nach dem Kennzeichenverbot (§§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) nicht strafbar gemacht hat. Denn, so das Urteil, beide von der Staatsanwaltschaft Berlin beanstandeten Posts ließen "bei Berücksichtigung des mit der Verwendung der Maske verbundenen Texts ohne Weiteres erkennen, dass die Verbindung zum Nationalsozialismus in einem nachdrücklich ablehnenden Sinn hergestellt wird".

Auch liege den Posts jegliche Eignung fern, einer Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankengutes oder gar ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zu dienen. Denn Personen mit neonazistischer Zielsetzung würden die Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen niemals in einer deren Ablehnung zum Ausdruck bringenden bildlichen Zusammenstellung verwenden. Daher sei eine Wirkung der Posts in einer dem Symbolgehalt nationalsozialistischer Kennzeichen entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen. Kurzum: Das Gericht befand, hier hatte ein amerikanischer Staatsbürger NS-Symbolik verwendet, ohne damit in irgendeiner Weise das NS-Regime verherrlichen zu wollen.

Screenshot eines der beiden Posts von CJ Hopkins auf X | privat

Nun drängt sich die Frage auf, wie die Staatsanwaltschaft Berlin dazu kommt, gegen diesen Freispruch weiter vorzugehen und CJ Hopkins am 30. September 2024 erneut vors Gericht zu zitieren. Nach dem Wortlaut des Kennzeichenverbots und der besonderen, nach dem Bundesverfassungsgericht schlechthin konstituierenden Bedeutung der Meinungs- und Kunstfreiheit für eine Demokratie kann kein anderes Ergebnis als eine Straflosigkeit derartiger Posts herauskommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade erst wieder in seinem Beschluss vom 11. April 2024 auf eine Verfassungsbeschwerde von Julian Reichelt hin auf die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit hingewiesen und klargestellt, dass der Staat auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse. Nichts anderes muss gelten, wenn NS-Kennzeichen verwendet werden, um staatliche Anordnungen zu kritisieren. Dies unabhängig davon, ob die Kritik berechtigt ist oder nicht.

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft

Nicht überzeugend ist die in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Berlin vorgetragene Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach "nicht erst beim Lesen des Bildtextes oder bei der Reflexion" eine Distanz zur NS-Zeit deutlich werden dürfte. Die in den beiden Posts durch die Verwendung des Hakenkreuzes zum Ausdruck kommende Kritik am Staat verherrlicht ganz offensichtlich nicht das NS-Regime. Im Gegenteil, der Angeklagte will, unter Zuhilfenahme von NS-Symbolik, vor einem totalitären Regierungsstil warnen. Das mag extrem erscheinen, betrachtet man jedoch das Regierungshandeln während der Corona-Zeit, ist scharfe Kritik zumindest nachvollziehbar.

Die Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) legen nahe, dass die Regierung wesentliche Teile der grundrechtseinschränkenden Maßnahmen von 2020 bis 2022 nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern aus politischem Kalkül heraus angeordnet hat, sodass sich eine neue Bewertung des Regierungshandelns von 2020 bis 2022 aufdrängt.

Zahlreiche Kartons mit Corona-Schutzausrüstung sind 2020 in der Messe Düsseldorf gelagert. | Marcel Kusch/dpa

Das gilt auch und gerade für das Tragen von Masken. So heißt es etwa im RKI-Protokoll vom 4. November 2020: "Fremdschutzmaßnahme von FFP2-Masken ist sehr unwahrscheinlich. Hinzu kommt: ohne begleitende Anwendung kein sicherer Schutz beim Laien!" Und später, im Protokoll vom 16. November 2020, heißt es: "Kann noch interveniert werden? Es ist ungünstig und gefährlich, wenn Masken von Laien benutzt werden. Deutsche Gesellschaft für Mikrobiologie und Hygiene hält FFP2-Masken, wenn sie nicht gut sitzen, für ein ungünstigeres Mittel als MNS (Mund-Nasen-Schutz, Anmerkung der Redaktion), da sie Scheinsicherheit vermitteln. (…) Einflussnahme eher nicht mehr möglich, die Beratungen finden zeitgleich statt, RKI wurde im Vorfeld nicht gefragt." Und gleich im nächsten Satz heißt es: "Falls so entschieden wird, sollte auf die Herausforderungen hingewiesen werden und eine Ausgabe mit Rezept nach vorheriger Beratung durch den Hausarzt empfohlen werden. Der Hausarzt kann prüfen, ob ein kardiales oder pulmonales Risiko besteht, und kann im Gebrauch unterweisen."

Politische Justiz?

Wie sollen vor dem Hintergrund dieser Aussagen von Wissenschaftlern Ende 2020 die heute noch laufenden Verfahren gegen Ärzte, die Maskenatteste ausgestellt haben, gerechtfertigt werden? Der Verdacht von politischer Justiz oder gar Gesinnungsstrafrecht drängt sich geradezu auf.

Eine lobenswerte neue Entwicklung in der Rechtsprechung hat jüngst das Verwaltungsgericht Osnabrück eingeleitet. Das Gericht hat die RKI-Protokolle in das Verfahren um ein Beschäftigungsverbot infolge der einrichtungsbezogenen Impfpflicht eingeführt. Der RKI-Präsident wurde als Zeuge vernommen. Am Ende der Verhandlung stellte das Gericht fest, dass erhebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des RKI bestünden, da dieses weisungsgebunden an das Ministerium sei. Den Fall legte es wegen massiver Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit an einem Paragrafen im damals geltenden Infektionsschutzgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor (sog. Richtervorlage). Bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht die Chance nutzt und seine Entscheidungen in Zukunft dem tatsächlichen wissenschaftlichen Kenntnisstand anpassen wird.

Auch Lars Schaade, RKI-Präsident, war als Zeuge beim Verwaltungsgericht Osnabrück vorgeladen. | Christoph Gateau/dpa

Schließlich wurde jüngst durch den pensionierten Richter Manfred Kölsch herausgearbeitet, dass der Schaden für die Steuerzahler durch die Bestellung von 5,7 Milliarden Masken bis zum 5. Mai 2020 (durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn) sowie durch Lagerkosten und durch die wahrscheinlichen wirtschaftlichen Folgen der Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln zum Schadenersatz an Maskenlieferanten bei insgesamt circa zehn Milliarden Euro liegen dürfte. Der Bundesrechnungshof spricht von einer "massiven Überbeschaffung" und stellt weiter fest, die Masken seien "ohne Nutzen für die Pandemiebekämpfung und damit ohne gesundheitspolitischen Wert" gewesen. Zugleich heißt es im RKI-Protokoll vom 27. Januar 2020 des RKI noch: "Es wird keine Bevorratung von Masken etc. empfohlen."

Vor diesem Hintergrund dürfte die Verwendung eines Hakenkreuzes in Verbindung mit einer Maske als Kritik an Anordnungen der Regierung(en) in einem neuen Lichte erscheinen. Ist es nicht mehr möglich, auch auf extreme Weise Regierungshandeln zu kritisieren, bewahrheitet sich, wovor CJ Hopkins mit seinen Posts warnen möchte, nämlich dem Aufstieg neuer totalitärer Regierungsstrukturen und damit dem Verlust demokratischer Werte. Wenn Der Spiegel und der Stern, die weder während noch nach der Corona-Zeit mit besonders regierungskritischen Beiträgen oder einem ernsthaften Aufklärungsbemühen aufgefallen sind, unbehelligt Hakenkreuze auf ihren Titelseiten verwenden können, muss gleiches für Kritiker der Regierung gelten.

Dr. Clivia von Dewitz ist Richterin und hat zu NS-Gedankengut und Strafrecht (§§ 86,86a und § 130 StGB) promoviert.

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