Obwohl in einem 0,5l Glas noch genau 0,25l Bier sind, ist es für die einen halbvoll, für die anderen halbleer. Anderes Beispiel: Wenn man 1 Bier bestellt, bekommt man in der Regel nur 1 Halbe(s). Man merkt bereits an diesen beiden Beispielen, dass die Zahlen für sich genommen wenig bis gar keine Aussagekraft haben. Diese erhalten sie erst durch die Interpretation und allenfalls noch durch Gewohnheiten, die es - wie in Beispiel 2 - ermöglichen, aus einem Bier ein halbes zu machen. Keiner denkt dabei wirklich an Zahlen oder reelle Werte. Noch dazu sagen nackte Zahlen ja erstmal nichts aus. Oder vielleicht doch?
Wie sieht es z.B. mit Wahlergebnissen aus? Da sind Prozentangaben wie 26%, 25%, 15% oder 14% zunächst auch nur irgendwelche Zahlen, die besagen, dass Sie nach der Wahl 26% rote, 15% grüne und 14% gelbe Plörre "im Glas haben". Also letztlich irgendeine braune Brühe, die Ihnen höchstwahrscheinlich nicht schmecken wird. (Anm.: Der 25% Schwarz-Anteil wurde bei den Sondierungsgesprächen bereits ausgefiltert)
Einen gravierenden Unterschied gibt es allerdings (und das drücken diese nackten Zahlen unmissverständlich aus): Die Wähler haben diese Mischung, dieses Gebräu selbst zusammengepanscht. Das sagt zwar immer noch nichts über das Gebräu in Ihrem Glas, aber sehr wohl über die Brauer.
Kommt es bei 1 Bier also stark auf die Interpretation an, interpretieren sich die Wahlergebnisse quasi selbst: Unterm Strich entfielen rund 80% der abgegebenen Stimmen auf ein »Weiter so!« - Schlimmer konnte die Ernüchterung nach einer durchzechten Wahlnacht kaum sein.
Ein weiteres Beispiel für selbstinterpretierende Zahlen fällt mir zum Schluss noch ein, das bei weitem noch erschreckender ist, wenn man den globalen Kontext bedenkt. Aber lassen wir die Zahlen für sich selbst sprechen:
dt_2021
Ich persönlich bleibe lieber beim Bier, da kann ich wenigstens selbst entscheiden, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Prost!