Die Briten stimmen für den Austritt aus der EU, aber niemand will den Bruch zu vollziehen. Cameron, der zwar für den Verbleib war, aber aus parteitaktischen Überlegungen mit dem Feuer gespielt und verloren hat, ist zurückgetreten, Johnson, der den Job Camerons haben wollte und deshalb für den Austritt war, will nicht mehr und Nigel Farage, der jetzt endlich am vermeintlichen Ziel seiner politischen Träume angelangt ist, geht in die Politpension. Crazy!

Die Mehrheit der Briten hat im Vertrauen auf die Brexit-Befürworter alles auf eine Karte gesetzt und so wie es ausschaut verloren. Alle die mit YES gestimmt haben können aber nicht zurücktreten. Sie müssen ausbaden, was ihnen von all jenen eingebrockt wurde, denen sie vertrauten. Was bleibt ist ein zutiefst gespaltenes Land, das noch Jahre unter den Auswirkungen der Machtspielereien der politischen Elite leiden wird, egal ob der Brexit jetzt vollzogen wird oder auch nicht. God save the UK! Zumindest das, was noch übrigbleiben wird, denn das Risiko, dass Großbritannien zu Kleinbritannien schrumpft ist groß, eine Abspaltung zumindest Schottlands nicht ausgeschlossen, jedenfalls drohen dem Empire unruhige Zeiten. Und die, die das alles zu verantworten haben, vertschüßen sich!

Betrachtet man ganz Europa, dann sind die Ähnlichkeiten in den einzelnen Ländern frappant und bei einer Abstimmung über den Verbleib in der EU durchaus ein ähnliches Ergebnis wie in Großbritannien denkbar. Niederlande, Finnland, Frankreich, Polen, Slowakei, Österreich: Ein Ja zur EU wäre bei weitem nicht sicher. In all diesen Ländern gibt es starke Anti-EU-Bewegungen, die vor allem ihre Kraft aus dem immer größer werdenden Reservoir der Enttäuschten und Verlierer, die diese politischen Kräfte gerne einmal als Ventil ihrer Frustration benutzen, schöpft. Stichwort: Denkzettelwahl!

Bis dato war dies für den Protestwähler immer eher risikolos, da die Watschen, die man den etablierten Kräfte gerne mit einer solchen Wahlentscheidung meist mit einem Augenzwinkern verabreicht, zumeist ohne Auswirkungen blieb, wenn man jetzt einmal von regionalen Kuriositäten absieht, wie es beispielsweise das Eingehen einer Koalition der Sozialdemokraten mit den Freiheitlichen im Burgenland darstellt, was international ungefähr so bedeutsam ist, als würde der Bürgermeister der Bronx mit dem Ku-Klux-Klan koalieren. Da anonym gewählt wird, gibt es auch keine Hemmschwelle sich mit dem Zweifelhaften, dem Abzulehnenden, dem Indiskutablen zu verbünden, dies mitzutragen, salonfähig zu machen und auf lange Sicht letztlich ungewollt zum Durchbruch zu verhelfen, da helfen noch so wortreich vorgetragene Erklärung aus oft professoralem, akademischem, bürgerlichem Umfeld nichts. Aus einer Laune, aus Verzweiflung, aus Gleichgültigkeit, aus Dummheit, aus Rache, wird entgegen jeder Vernunft dem Faschistoiden, dem Ausgrenzenden, dem Gewalttätigen bereitwillig die Tür weit aufgemacht. Wie sonst, frage ich mich, kann man das Ergebnis der BPW16 in Österreich erklären? Aber zumindest die Bildungsnahen, die trotzdem gerne schon mal heimlich aus Protest ihre Stimme Jenen geben, sollten wissen: War alles schon einmal da!

Doch seit dem Votum in Großbritannien hat sich das vielleicht geändert, denn plötzlich geschieht, was viele kurioserweise gar nicht beabsichtigt hatten: Ihre Stimme war nicht Protest, sondern wahlentscheidend, und es kommen Dinge in Bewegung, die im Nachhinein wirklich keiner so gewollt haben will. Nicht die Wähler und schon gar nicht die Befürworter. Wenn all die Protestwähler jetzt noch immer glauben, dass die, denen sie ihre Stimme geben in der Lage und willens sind ihre heile Welt zu retten in der sie leben, irren sie, wie man zum Glück bei Johnson, Farage & Co sehen kann. Die verfolgen ohne Scham ihre persönlichen Ziele, die mit jenen ihrer Wähler, und schon gar der Protestwähler, überhaupt nichts zu tun haben. Protestwahlverhalten ist letztendlich nichts anderes als der lächerliche Versuch die Mühen, die eine angestrebte politische Veränderung von jedem Einzelnen erfordert, an jemanden zu delegieren, der die Arbeit gefälligst machen soll, um sich mit beruhigtem Gewissen zurücklehnen zu können und sich genüsslich weiterhin darüber aufzuregen, dass alles keinen Sinn hat, weil man scheinbar sowieso nichts machen kann, aber man es denen da oben zumindest gezeigt hat.

Wie sonst sollte man sich das Ergebnis der BPW16 und auch das Wahlverhalten der Briten anders interpretieren, andererseits muss man sich auch fragen, ob Bildung wirklich vor gewissen Entwicklungen schützt?

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