Was die Industrialisierung beginnend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war, ist die Digitalisierung heute: eine Revolution, die global gesellschaftliche Strukturen und Normen irreversibel grundsätzlich verändert wird.
Weltweit, mit einigen wenigen Ausnahmen, hat sich der Kapitalismus vermeintlich als die scheinbar bessere Gesellschaftsordnung unwiderstehlich durchgesetzt. Die aktuelle Politik basiert noch immer auf Konzepten aus dem 19. Jahrhunderts und hält unbeirrt daran fest. Oberstes Ziel ist die Gewinnmaximierung und dem werden alle anderen gesellschaftlich relevanten Bereiche von Bildung bis zum Sozialen untergeordnet.
Die Gesellschaft wird sich jedoch in immer rasanterem Tempo verändern, die nach wie vor analog organisierte Politik wird den Veränderungen in keiner Weise gerecht. Am Ende dieser Entwicklung steht eine Konzentration der Macht in den Händen Weniger und in letzter Konsequenz eine Diktatur der Konzerne. Keine der politischen Parteien hat auch nur im Ansatz dem etwas entgegenzusetzen. Wenn man seriösen Studien Glauben schenkt, werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren bis zu fünfzig Prozent der heute bekannten Berufe automatisiert, ganze Industriezweige werden untergehen, aber auch Dienstleistungsbereiche, wie beispielsweise die Pflege werden von Robotern erledigt werden. Es werden aber bei weitem nicht im selben Ausmaß neue Jobs kreiert werden.
Natürlich kann man diese Entwicklungen als Naturgesetz betrachten, den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass die Kreativität der Menschen schon einen Ausweg finden wird. Man kann sich aber auch die Frage stellen: Wie wollen wir zukünftig leben? Wollen wir wirklich in einer von Algorithmen beherrschten und gesteuerten Welt leben, in der sich das Wissen und die Macht auf immer weniger Menschen konzentriert, in der sich Gesellschaften in Teilhabende und Ausgeschlossene spalten, oder wollen wir in einer Welt leben, die die Fortschritte der Digitalisierung reglementiert, aber dennoch bewusst nutzt, um den Wohlstand aller Menschen zu mehren?
Wenn dieses Alternativkonzept zum ungezügelten Kapitalismus und der damit unweigerlich einhergehenden Machtkonzentration mehrheitsfähig sein soll, dann muss man den Menschen einen nachvollziehbaren Entwurf, eine Vision einer neuen, besseren Gesellschaft anbieten. Doch hier versagen bis jetzt alle politischen Parteien und Bewegungen.
Alle geforderten Maßnahmen von der Arbeitszeitverkürzung über diverse Besteuerungskonzeptionen, bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen sind Nebenschauplätze und letztendlich von untergeordneter Bedeutung, da sie kein konkretes, gesamtheitliches Gegenbild zu der den Menschen suggerierten schönen, neuen digitalen Welt bieten, sondern lediglich verzweifelt, aber aussichtslos versuchen Bestehendes durch rein kosmetische Veränderungen zu bewahren. Wie Precht sagt: Wir dekorieren das Deck der Titanic.
Es ist egal ob sozialdemokratisch, konservativ, grün, national, links, rechts, große und kleine Koalitionen, Bewegung oder Listen, alle politischen Variationen sind nur ein jeweils anderes Kostüm im immergleichen Stück: Kapitalismus unter der Regie von Silicon Valley.
Zugegeben: Die Entwicklung einer Vision einer nicht kapitalistischen digitalen Gesellschaft, einer Gesellschaft 4.0, ist keine leichte Aufgabe, vor allem auch in der Kommunikation mit den Menschen. Denn alles, was dem Kapitalismus entgegengestellt wird, wird nur allzu gerne und leichtfertig als kommunistisch und damit automatisch zum Scheitern verurteilt denunziert. Dennoch: Es braucht einen starken Staat, der seine Kernaufgaben Soziales, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Verteidigung nachkommen kann, es braucht Reglementierung der Märkte, insbesondere der Finanzmärkte, es braucht vergesellschaftete Bereiche, es braucht neue gesellschaftliche Prinzipien, wie eine Abkehr von der reinen Erwerbsgesellschaft, hin zur Gemeinwohlökonomie und es braucht eine radikale Umverteilung der ungerecht verteilten Vermögen. Ja, es braucht eine Gesellschaft 4.0.
Den hämisch grinsenden Kritikern sei gesagt: Nur, weil eine revolutionäre Idee zum falschen Zeitpunkt in die falschen Hände geriet und deshalb gescheitert ist, heißt nicht, dass die Idee an sich falsch und schlecht ist und: Die Frage, ob all jene, die teils fanatisch die Freiheit des Einzelnen, das Eigentum, die Eigenverantwortung verteidigen, am Ende auch zu den Teilhabenden zählen werden oder nicht, soll jeder für sich selbst beantworten. Jedenfalls soll keiner sagen, er hätte nichts gewusst, denn die, die am lautesten dagegen wettern, werden niemals zu den weltweiten zehn Prozent der Gesellschaft gehören, auch wenn sie ganz fest daran glauben.
Was wir dringend brauchen, ist eine sachliche gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir in Zukunft leben wollen: selbstbestimmt oder von Algorithmen gesteuert. Wir haben die Wahl.