Es ist das Grau im Grauen, das die Angehörigen von Depressiven bekämpfen. Doch bekämpfen ist das falsche Wort. Anfangs kämpfen wir, wir kämpfen beide. Der Depressive und auch der Angehörige. Doch je mehr wir uns mit der Krankheit beschäftigen, desto klarer wird: Dieser Kampf geht nicht schnell, dieser Kampf ist ein Kampf gegen die Ungeduld. Es ist ein Kampf, der in uns selbst stattfindet. Ein Kampf für die Langsamkeit, die wir doch alle so hassen.
Der Depressive in dieser Phase ist wie ein Käfer auf dem Rücken. Er schlägt um sich, verbal, mit Worten, mit Kälte, durch Angst. Er weiß, dass er selbst seine Krankheit verursacht hat. Es ist dies keine Frage von Schuld. Es waren die Umstände seiner Kindheit, seiner Jugend, vielleicht ein Trauma, oder Krankheiten, die ihn gezwungen haben, zu werden wie er ist.
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Mich hat von Anfang an gestört, dass immer nur die Symptome behandelt werden sollten. Den Käfer zu beruhigen, ist zwar gut, weil er sich dann selbst beruhigt. Doch frei wird er dadurch nicht.
Es ist ein Abstieg in den Hades für uns Angehörige. Und er geht nur, wenn die Liebe groß ist. Wir müssen es wollen, so wie der Depressive herauskommen will. Wir dürfen keine Angst haben und doch haben wir sie. Doch sie ist kleiner als die Angst der Depressiven. Wir kennen das Licht, wir kennen das Bunt, wir kennen die Freude und die Liebe. Der Depressive kennt sie nicht. Und so müssen wir auf lange Strecken lieben, ohne geliebt zu werden. Wir lieben für beide. Und Stufe um Stufe steigen wir hinab in dieses Reich der Schatten. Und dabei dürfen wir nicht zum Schatten werden, zum Schatten unserer selbst. Bei all der Traurigkeit und der Einsamkeit, die uns umgibt, ist dies schwer. Und während wir uns im Schattenreich befinden, dürfen wir nie vergessen, wie der Weg zurück aussieht. Sonst sind wir keine Hilfe mehr.
Wir selbst haben Bedürfnisse und Ziele in unserem Leben. Bedürfnisse, die in unseren Beziehungen mit den Depressiven selten oder nicht erfüllt werden, Bedürfnisse, die wir zurückstecken, Ziele, die wir verschieben. Wir brauchen Ausdauer bei unserem Gang und dürfen oder wollen uns nicht ablenken lassen, um nicht sinnlos Kraft zu verschwenden. Wir stecken zurück und manchmal zerbrechen wir daran, verlieren unseren Mut und kehren um. Auch das ist in Ordnung. Es ist verständlich. Oft tut uns Abstand gut, doch wir werfen uns dann vor, nicht da zu sein. Egal ob Klinikaufenthalt oder getrennte Wohnungen, die Trennung macht uns traurig. Manchmal braucht es mehrere Anläufe, damit der Depressive wieder Mut gewinnt, damit wir wieder Mut gewinnen, damit beide wieder Kraft gewinnen.
Auf unserem Weg lernen wir, „was war, das war“. Es ist das „IST“, das zählt, das „JETZT“, das „HIER“. Wir lernen keine Erwartungen mehr zu haben, weil Erwartungen Druck aufbauen. Wir lernen, Mut zu spenden, Liebe zu schenken und Kraft zu geben, ohne etwas dafür zu bekommen. Wir arbeiten an uns selbst, an unserem Weltbild, an unseren Gefühlen, an unseren Einstellungen. Wir erlernen Entspannungstechniken, um unser eigenes Gleichgewicht immer wieder herstellen zu können. Auch wir lernen um.
Je näher wir dem Depressiven in diesem Hades kommen, desto härter stößt er uns zurück. Er hat Angst: Angst vor sich selbst, Angst vor uns, Angst, unsere Wünsche nicht erfüllen zu können, Angst vor einem Leben ohne Depression. Denn dieses Leben mit Depression kennt er. Dieses Leben ist ihm vertraut. Auch wenn es grau ist, auch wenn es ohne Höhen und Tiefen ist, so lullt es ihn doch ein und gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit. Die Sehnsucht nach Sicherheit im Depressiven ist grenzenlos, denn nie hat er Sicherheit erfahren. Er lebt sein Leben ohne Sicherheit, ohne Liebe, ohne innere Stärke. Er ist ein Schatten seiner selbst. Er hat gelernt, die Emotionen der anderen zu imitieren, um auch einen Platz unter ihnen zu finden. Um Akzeptanz zu finden. Und in seltenen Momenten lösen die Emotionen der anderen – wenn sie sehr stark sind – auch eigene Emotionen aus. Deswegen ist der Depressive ein hervorragender Schauspieler. Und wir wissen nicht mehr, was echt ist und was unecht. Der Depressive weiß es selbst nicht.
Wirklich eins mit sich wird der Depressive nur selten. Wenn er sich in einer Arbeit verlieren kann, im guten Sinne. Wenn ihm etwas gefällt und er sich darin verlieren darf, ohne Druck von außen und ohne Druck von innen, dann spürt auch er. Für diese kurze Zeit ist er dann selbstvergessen und damit glücklich, doch am Ende wird er wieder nicht ganz zufrieden sein, Fehler finden, Gründe für sein Versagen finden. Der Depressive ist ein Perfektionist. Er ist nie zufrieden mit dem, was er kann, was er hat, was er tut. Es wurde ihm nicht beigebracht. Er steckt in einem Muster der inneren Überforderung fest. Statt sich zu loben für Dinge, die er geschafft hat, sind sie ihm nie genug. Seine eigenen Ideale sind unerreichbar hoch. So wertet er für sich alles ab. Er kann nicht anders.
Es gibt für den Depressiven nur gut oder schlecht, nur alles oder nichts, nur freundlich oder böse. Der Mittelweg ist ihm unbekannt.
Wenn der Angehörige ihn lobt, so ist der Depressive fast beleidigt. Denn weil er selbst nicht gut findet, was er getan hat, wie er ist, was er kann, kann er das Lob des Angehörigen nur als oberflächlich, als dumm und unqualifiziert empfinden. Es kommt nicht an. Damit wächst die Frustration auf beiden Seiten.
Auch wir Angehörigen stoßen oft an unsere Grenzen. Wir können nicht immer nur nett sein. Und es ist wichtig, dass wir authentisch, offen, ehrlich bleiben. Denn die Falschheit spürt der Depressive sofort. Und wenn er eines gelernt hat, dann ist es, dieser Falschheit zu misstrauen. Und das ist gut so. Dies zwingt uns dazu, bei uns zu bleiben, echt zu bleiben und eben auch mal wütend und laut zu werden. Wir sind keine Krankenschwestern, wir können nicht abends woandershin flüchten. Wir sind da, und wir haben uns dazu entschieden, zu bleiben. Darum lernen wir, mit der Situation umzugehen.
Wir lernen, kleine Dinge zu schätzen, ein Lächeln, ein nettes Wort. Wir freuen uns wie Kinder, wenn wir schöne Erlebnisse mit ihm teilen dürfen und er sie annimmt. Der Depressive ist unberechenbar in seiner Art, und nie weiß man, wie der Tag wird. Die Schwankungen verändern sich schnell, jede Stunde ist anders. Diese Unberechenbarkeit macht es uns schwer. Sie nimmt auch uns die Sicherheit.
Doch die Depression– und all das, was wir darüber auf unserem Weg lernen – hilft auch uns Angehörigen. Wir erkennen, wie wichtig es ist, offen zu sein. Wie wichtig es ist, bei uns selbst zu bleiben und unsere Gefühle ernst zu nehmen, ehrlich mit uns und unserer Umwelt zu lernen. Wir lernen mit dem Depressiven mit. Es sind die Gefühle, die uns zeigen, wo unser Weg ist. Wie er verläuft. Es ist ein Hindernislauf wie durch einen Dschungel. Der Depressive will immer auf die Schnellstraße, doch der Weg heraus aus seiner Depression verläuft über Umwege, über Treppen und Schluchten und nie gerade, sondern immer in Windungen. Oft müssen Kreise gegangen werden, damit sich ein Muster löst.
Der Depressive wird verurteilt, weil der Gesunde nicht versteht, wie es in ihm aussieht. Der Depressive wird in eine Ecke gedrängt, in die er nicht gehört. Weil sein Umfeld nicht mit ihm umgehen kann. Wir Angehörige und Freunde sind keine Therapeuten, wir haben dies nicht gelernt. In unserer Verzweiflung sagen wir oft das Falsche und bekommen bösartige Quittungen dafür. Und doch lieben wir und diese Liebe macht uns stark, das auszuhalten, was da ist und was da kommt. Und wir lernen, nicht mehr zu drängen und nicht mehr zu wollen, wir lernen, nichts mehr zu erwarten. Wir lernen, da zu sein, obwohl wir weggestoßen werden, denn nur so können wir dem Depressiven sein Vertrauen und seine Sicherheit zurückgeben. Und auch wenn wir wissen, dies ist der Weg der Heilung, so bringt uns dies oft zur allumfassenden Verzweiflung.
Dann ist da noch unser Alltag. Unser Leben, das wir gleichzeitig leben. Es ist die Doppelbelastung, die den Depressiven in seine Depression und den Angehörigen oft ins Burnout bringt. Es ist das Unverständnis unseres Umfelds, das uns beide in diese Isolation treibt.
Die Depression ist wie ein Spinnennetz, das den Depressiven umgibt. Und er selbst weiß nicht mehr, was davon seine Depression, was davon er selbst ist. Er hat sich daran gewöhnt, dass ihn dieses Spinnennetz überallhin begleitet. Mal ist es dichter, mal sitzt es lockerer. Und keiner kann ihm helfen, es aufzulösen. Das kann er nur alleine, denn die Ankerpunkte für dieses Netz sitzen in ihm drinnen. Das Spinnennetz klebt an ihm wie eine zweite Haut, und für den Depressiven ist der Unterschied nicht mehr bemerkbar.
Je mehr Kraft der Depressive aufwendet, je wilder er sich wehrt gegen dieses Spinnennetz, desto klebriger wird es. Nur durch langsame, bedachte Schritte, durch Vordenken und Vorfühlen – ohne gleich zu handeln, durch Begreifen und Verstehen, durch sehr viel Übung und Wohlwollen kann dieses Netz Stück für Stück aufgelöst werden.
Der Angehörige verzweifelt daran. Er sieht das Spinnennetz, und wenn er sich damit beschäftigt und es sortiert, dann sieht er dieses Netz der Verhaltensmuster, wie es ineinandergreift und miteinander verwoben ist. Was er dann tun kann, ist, es in seinen einzelnen Strängen zu untersuchen und es dem Depressiven mit seiner Außensicht zu beschreiben, damit es auch ihm klar wird. Doch der Depressive wehrt sich, denn es bedeutet, dass all das, woran er glaubt, nicht zutrifft. Es ist ein Erwachen, wenn es so weit ist, und es geht langsam. Und dieses Erwachen ist geprägt von Zweifel, von Wut, vom Hass auf die Welt. Oft fehlt der Mut, sich für etwas einzusetzen, das dem Depressiven doch unbekannt ist. Er kennt diese bunte Welt doch nicht, von der ihm alle erzählen. Wie soll er begreifen, dass es sich lohnt, sich für etwas einzusetzen, gegen seine inneren Überzeugungen, wenn es ihm doch nicht vertraut ist?
Der Depressive ist ein guter Mensch. Er liebt das Gute. Er sehnt sich nach dem Guten. Er will niemandem etwas zu Leide tun, er hilft, wenn er merkt, dass irgendwo Hilfe gebraucht wird. Er ist der Freund, der immer da ist, wenn andere Probleme haben. Und er zeigt sich stark nach außen hin, immer ruhig und freundlich, belastbar für alle. Und weil wir „Gesunden“ den Unterschied nicht erkennen, überfordern wir ihn, weil wir einwilligen in diese angebotene Hilfe. Dies ist eines der Muster, das den Depressiven immer weiter überfordert und ihn verzweifeln lässt, weil er nicht rauskommt und seine Hilfe immer wieder anbietet. Kaum einer (außer den Therapeuten) erkennt, was sich wirklich in ihm abspielt. Mit der Zeit und durch Verstehen lernen auch wir Angehörigen, wie es sein muss und können es trotzdem nie ganz nachfühlen. Solche Muster zu durchbrechen, erfordert einen starken Willen und viel Kraft. Wille und Kraft, die dem Depressiven oft fehlen.
Und wenn er sich denn einmal wehrt, dann klingt das Wehren so leise für uns, die wir das Laute gewöhnt sind und die Zwischentöne in unserem Alltag oft überhören. So übergehen wir den Depressiven und ihm bestätigt sich wieder und wieder das Gefühl, dass ein sich Wehren einfach zwecklos sei. – Dabei ist das darüber Sprechen das Einzige, was wirklich hilft.
Der Depressive hat gelernt, sich nur auf seine Gedanken zu verlassen. Er fühlt nicht oder fühlt nur teilweise, denn dieses Netz der Verhaltensmuster ist so dicht, dass es seine Gefühle von ihm abgrenzt. Weil er gelernt hat, sich nur auf seine Gedanken zu verlassen, ist er geübt in seinen Gedanken, er legt alles auf die Waagschale, er kritisiert und zerpflückt, bis nichts mehr Gutes übrig bleibt. Er ist ein hervorragender Ratgeber – für andere. Nur mit sich selbst kommt er nicht klar. Das Spinnennetz trübt die gesamte Sicht, auch die, ja gerade die auf sich selbst.
Je näher der Angehörige ihm kommt, desto mehr wird auch der Angehörige Ziel dieses Hasses, dieser Wut, dieser tiefen Verzweiflung auf sich selbst und auf die Welt, die ihn doch nicht versteht. Auch er bekommt nun diesen Stempel des Stigmas, der schweren depressiven Krankheit zu spüren. Auch er wird in die Isolation getrieben, weil er merkt, dass sein Umfeld ihn nicht verstehen kann. Trifft der Angehörige auf Unverständnis in seinem Umfeld, kapselt auch er sich ab. Dazu kommt der Druck, den der Depressive in sich spürt. Er will niemanden verletzten, er zieht sich weiter zurück. Dieser Druck überträgt sich nun auch auf den Angehörigen. Auch er will es so gerne richtig machen. Und es kostet uns Angehörige Kraft, zu erkennen, dass diese Wut auf beiden Seiten auch gut ist, weil sie den Depressiven stärkt, weil er sie braucht und er trainieren muss – an seinen Angehörigen, für das normale Leben. Nicht immer ist der Angehörige stark genug, sie zu ertragen. Der Angehörige selbst beginnt zu zweifeln. Die schönen Dinge, die er mit dem Depressiven erlebt hat und oft durch ihn erlebt hat, verlieren an Bedeutung, je öfter die schlechten Dinge groß gemacht werden und die Guten klein.
Und das Einzige, worauf der Angehörige sich in diesen dunklen Zeiten besinnen kann, ist seine Liebe. Immer wieder geht er in sich und spürt sie, fühlt sie, lässt sich von ihr wärmen, bis er wieder stark genug ist, den Weg in den Hades hinein weiterzugehen und dem Depressiven gegenüberzutreten.
Und so gehen wir, Schatten unserer selbst, und steigen hinab in den Hades der Depression. In uns das Licht, um uns der Alltag, mit uns oft Kinder, Familie, Freunde und doch allein. Um sie zu suchen, die die wir lieben. Um ihnen zu helfen, sich selbst zu erkennen. Und keiner von uns weiß, ob er stark genug sein wird, den Weg bis zum Ende zu gehen. Und wir verstehen: Bevor wir uns selbst ganz aufgeben, müssen wir umkehren, um nicht selbst dort unten zu bleiben.
Wir fühlen uns allein auf diesem Weg. Aber wir sind nicht allein. Es gibt viele, viele Angehörige, die auch diesen Weg gewählt haben. Und nur sie verstehen uns wirklich, mit all unseren Problemen und Zweifeln. Nur sie können nachfühlen, wie es uns geht auf unserem Weg hinab in den Hades.
Es gibt keinen rationalen Grund für diesen Gang, denn er ist dunkler als jedes bisher gekannte Schwarz, jede Tiefe, die wir schon erlebt haben.
Es gibt keinen Grund dafür, außer: die Liebe.