300 Polizisten, die Strache beschützten, fehlten anderswo

Gestern war er also, der angebliche Auftakt des FPÖ-Wahlkampfs mit dem Interview im Container vor dem Parlament. Dabei auch ein riesiges Aufgebot der Polizei, das anderswo möglicherweise fehlte:

Bei Strache stellt sich die Frage, ob eine derartige massive Überwachung und Polizeipräsenz überhaupt gerechtfertigt ist:

Die FPÖ / Strache setzen sich für Neutralität ein und sind nicht-interventionistisch. Wieso sollten Islamisten, die sich in Afrika oder auf der arabischen Halbinsel ausbreiten wollen, Strache bzw. die FPÖ mit ihrer Neutralitätsposition als Gefährdung betrachten? Ich würde eher schätzen, im Gegenteil: die FPÖ bzw. Strache mit ihrer Neutralitätsposition sind die Verbündeten bzw. nützlichen Idioten derjenigen Islamisten, die sich außerhalb Europas - auch militärisch - ausbreiten wollen und damit Flüchtlingswellen erzeugen, die die FPÖ dann lauthals beklagt, obwohl sie nichts unternimmt, sie zu verhindern.

Eher wäre wohl Donald Trump gefährdet, der gerade heute sagte, die Intervention in Afghanistan fortsetzen zu wollen.

Je mehr Polizisten (und -innen) den ohnehin neutralistisch-zurückgezogenen Strache beschützen, umso mehr Polizisten (und -innen) fehlen natürlich an den anderen, wirklichen Hot Spots der Kriminalität in Wien, wie zum Beispiel dem Praterstern oder dem Westbahnhof, bei dem ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, überfallen zu werden. Der Hintergrund ist folgender: die ÖBB / Österreichische Bundesbahn, Betreiber des Westbahnhofs, stattete nur die Gleiskörper und die Geschäftszone mit Überwachungskameras aus, nicht aber die Zonen ihrer Konkurrenz, der Fernbusse. Daher entsteht bei der Fernbushaltestelle ein Überwachungsdefizit, das Kriminelle, welches Geschlechts auch immer, anzieht. Die Problematik in Hinblick auf unfairen Wettbewerb besteht auch darin, dass die staatlichen ÖBB Zuschüsse aus dem Bundesbudget erhalten, die privaten Busunternehmen aber nicht.

Dieselbe Frage der Verschiebung der Kriminalität stellt sich auch bei der Zusammenarbeit Polizei-Gemeindebau: wenn die Polizei massiv im Gemeindebau präsent ist, dann fehlt sie an vielen Stellen anderswo.

Doch jetzt zum Inhalt des Strache-Interviews:

1.) seine Position in Hinblick auf direkte Demokratie kann ich nicht teilen. Die direkte Demokratie hat durchaus ihre Tücken, und gerade die seltsame, zwei unabhängige Fragen vermanschende Volksbefragung zum Heeresfragen ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie man direkte Demokratie nicht macht:

Die Fragestellung war: "a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder

b) Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"

Die beiden Fragestellungen Berufsheer-Wehrpflicht einerseits und Sozialjahr-Zivildienst wurden hier überlagert und in eine Fragestellung verschmolzen.

Wenn man davon ausgeht, dass wegen der Neutralität Österreichs und der Tatsache, dass Österreich mit Schweiz und Liechtenstein eine unangreifbare, neutrale Insel darstellt, die zu 100% von einem NATO-Schutzschirm umgeben ist, dann hatte die Heeresfrage eine untergeordnete Stellung und die Sozialjahr-Versus-Zivildienst-Frage eine dominante Rolle.

Eben weil die Frage des angebliches Gratis-Zivildienstes für die ältere Generation eine so dominante Rolle spielte, ergab sich ein ca. 60%-Ergebnis für b), obwohl rechnerisch eine Mehrheit der Wählenden ein Berufsheer gegenüber der Wehrpflicht bevorzugt haben mag.

Der Zivildienst ist natürlich nicht gratis, wenn man davon ausgeht, dass die jungen Zivildiener durch geringeres Einkommen bezahlen, währenddessen sie in der selben Zeit höhere Einkommen hätten erzielen können.

(Rechenbeispiele zur Fragenüberlagerung in

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/oesterreich-braucht-berufsheer-fuer-auslandseinsaetze-volksbefragung-2013-ungueltig-24673

)

Auch die Beeinflussung der last-minute-deciders (derjenigen, die im letzten Moment vor der Wahl entscheiden), die wegen des Streits zwischen Premierminister Cameron und seinem Finanzminister möglicherweise eine Brexit-Abstimmungs-entscheidende Bedeutung hatte, passt in diese Kategorie, auch wegen der Knappheit des Ergebnisses.

Das "Ausmauscheln", das Strache in Bezug auf repräsentative Demokratie kritisiert, trifft auch das "Ausmauscheln" von Befragungstexten oder Abstimmungstexten durch Parteileute. So gesehen hat die direkte Demokratie dieselben Fehler wie die repräsentative, aber Strache scheint unfähig zu sein, das zu erkennen.

Die entscheidende Frage ist vielleicht eher: ist "Gutes Regieren" eher durch repräsentaive Demokratie gewährleistet oder durch direkte Demokratie oder durch eine wie auch immer geartete Mischform ?

2.) Wieso soll die zweitstärkste Partei nicht die drittstärkste zur Kanzlerpartei machen, wie im Jahr 2000 ? In der Wirtschaft gibt es die Theorie des "Einstiegspreises": um seine Geschäftsfelder zu erweitern und in eine Branche einzusteigen, muß man einen Einstiegspreis zahlen. Und Ähnliches könnte auch für Regierungen gelten: um mit etablierten, international gut vernetzten Parteien koalieren zu können, muß eine Partei wie Haiders FPÖ eben manchmal auf das Kanzleramt verzichten. Man kann den Verzicht aufs Kanzleramt auch als Ausdruck katholischer Bescheidenheit betrachten, und Strache inszeniert sich ja gelegentlich als Retter des Christentums, bzw. des Katholizismus (wenn auch ich ihn noch nie in einer Kirche des dritten Wiener Bezirks gesehen habe; wir wohnten ja eine Zeitlang gemeinsam in diesem Bezirk). Strache ist auch ein Spätbeitreter, der erst als Über-Vierzigjähriger der katholischen Kirche beitrat, sodass Populismus und Scheinfrömmigkeit nicht ausgeschlossen werden können. Von Strache ist auch nichts bekannt davon, dass er irgendwann mit Bischofsernennungen unzufrieden gewesen wäre, was man als Desinteresse am Katholizismus betrachten kann (Liberale sind gelegentlich unzufrieden, wenn ein Konservativer Bischofswürden erhält, und Konservative sind gelegentlich unzufrieden, wenn ein Liberaler Bischofswürden erhält. Wenn Strache nie unzufrieden ist, wie tief ist dann sein Bezug zur Religion ?)

Abgesehen von der Stärke-Frage kann man auch die Eignungsfrage stellen: welcher Kanzlerkandidat ist besser geeignet, diese Position auszufüllen, unabhängig von der Parteienstärke.

3.) Pflichtmitgliedschaft / Zwangsmitgliedschaft: rein theoretisch: wenn eine Pflichtmitgliedschaft bzw. Zwangsmitgliedschaft die Mitglieder (zumindest die armen Mitglieder) nichts kostet, wieso sollte sie dann schlecht sein ? Die unausgesprochene Antwort, die Strache nicht gab, wäre vielleicht: "Weil die FPÖ keine derartige Organisation hat".

Auch den Staat kann man als Institution mit Pflichtmitgliedschaft betrachten. Wenn Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer durch Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft geschwächt werden, wer wird dann gestärkt ? Die Industriellenvereinigung ?

4.) Kurz hat sich früher - anders als Strache dies behauptet - für einen Euro-Islam ausgesprochen, vielleicht in Anlehnung an das gleichnamige Konzept von Bassam Tibi, das dieser später in Anbetracht von Begleiterscheinungen der Flüchtlingskrise für unrealistisch erklärte.

5.) Auch bei den Frauenquoten befand sich Strache in einer durchauskontroversiellen Position: selbst, wenn man zugesteht, dass verpflichtende 50%-Frauenquoten, die alle Parteien einhalten müssen, problematisch sind, so kann man Quotientenwahlrechtssyteme befürworten, die anstreben, eine möglichste Deckungsgleichheit von Frauenanteil bei Funktionären (insbesondere Spitzenfunktionären) und Frauenanteil bei einfachen Parteimitgliedern an der Basis zu erreichen. Aber Strache hielt an der traditionellen FPÖ-Männerbund-Politik fest, die einen 10%-Frauenanteil bei Funktionären bei einem 30%-Frauenanteil bei Wählenden und einfachen Parteimitgliedern stillschweigend befürwortet.

6.) Irgendwie besonders amüsant war Strache, als er sagte, rechtwidrige Zustände dürfen in Österreich keinesfalls geduldet werden. Andererseits war es genau die FPÖ mit Strache als Zustellungsbevollmächtigtem und Kläger im VfGH-Verfahren, die / der in der Hoffnung, Van der Bellen sei der im Vergleich zu Griss leichter besiegbare Gegenkandidat für Hofer, die Rechtswidrigkeit um die manipulativen Umfragen vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl (§263 StGB) ignorierte.

Auch an Rechtswidrigkeiten in Zusammenhang mit dem Wiener Wahlrecht, das Großparteien wie SPÖ und FPÖ begünstigt, hatte Strache bisher nicht auszusetzen: laut Verfassung müssten die Wiener Bezirke eigentlich Gemeinden sein, weil jedes Bundesland sich in "Gemeinden" im Plural gliedern muß, was aufgrund eines alten Urteils (Jahr 1977) des VfGH in Bezug auf Wahlkreise "mindestens zwei" bedeutet. Die Bezirksvorstände müssten also entweder direkt gewählt werden oder bei Nicht-Existenz absoluter Mehrheiten durch Koalitionen bestimmt werden, nicht durch Alleinentscheidung einer einzelnen Partei.

Auch die Wiener Parteienförderung steht streng interpretiert eigentlich nur homogenen Parteien zu, nicht aber Mischlisten der FPÖ mit Unabhängigen wie Stenzel.

7.) Auch die neue Sache mit der "Leitkultur", die FPÖ bzw. Strache fordern, ist interessant, steht diese doch schon seit Jahren im Parteiprogramm meiner Partei.

P.S.: beim FPÖ-Stand gab es nicht einmal Informationsmaterial.

P.S.2: Z.B. 40 Polizisten hätten auch genügt. Die mindestens 260 dadurch freiwerdenden hätten anderswo Verbrechen verhindern, aufklären oder Ähnliches können.

(Copyright aller Fotos: Dieter Knoflach)

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