Bei den Abstimmungen zu Urheberrechtsfragen, Uploadfiltern, etc. soll es im EU-Parlament zu einer Panne gekommen sein, insofern, als 10 Abgeordnete angaben, den "falschen Knopf gedrückt" zu haben, und somit moderatere Abänderungsanträge abgelehnt zu haben, die sie eigentlich befürwortet hätten. Besonders krass wäre der Fall, weil die Abstimmung sehr knapp war.
"Verwählen", also anders abstimmen, als man eigentlich will, kommt in der Politik des öfteren vor, speziell bei unerfahrenen Jung- und Erstwählern oder bei Fragen, in denen ein starker Meinungsdruck von Medien und/oder Politik herrscht.
Ein österreichisches Paradebeispiel dafür war, dass bei der Nationalratswahl 2006 viele Jungwähler im Glauben an Alfred Gusenbauers Studiengebührenabschaffungsversprechen SPÖ wählten, und dann die Studiengebühren trotz oder wegen Gusenbauers Kanzlerschaft blieben. Allerdings war für Viele Erfahrenere von Vornherein klar, dass Gusenbauer sein Wahlversprechen nicht wahrmachen können würde, weil erstens die Parlamentsmehrheiten sich dafür sehr gravierend hätten ändern müssen, bzw. weil zweitens der Napalm-Wahlkampf der SPÖ eine Konsensfindung mit der ÖVP in dieser Sache erschwerte (Der Begriff "Napalm" in diesem Zusammenhang stammt vom SPÖ-Wahlkampfmanager Schober).
Auch beim Brexit kann "Verwählen" oder Ähnliches eine Rolle gespielt haben: Viele glaubten, es sei ohnehin eine Remain-Mehrheit fix und man müsse gar nicht zur Wahl gehen. Viele nahmen nicht teil, weil ihre bevorzugte Option (Neuverhandlung des Verhältnisses zur EU durch ein überparteiliches Team, Änderungskündigung) nicht vorkam.
Viele stimmten für den Brexit oder enthielten sich trotz Remain-Tendenz, nur um Cameron loszuwerden, der für den Fall einer Brexit-Mehrheit seinen Rücktritt angekündigt hatte. (Das britische Referendumsinstrument ähnelt der österreichischen Volksbefragung: es ist unverbindlich und kann durch das Parlament überstimmt werden. Und diese Erwartung, dass das Parlament das Volksabstimmungsergebnis überstimmen würde, trug möglicherweise zum Brexit-Ergebnis bei)
Die Regeln des EU-Parlaments sehen im Falle des "Verwählens" übrigens Korrekturmöglichkeiten in einer gewissen Frist vor.
Pixab.Lic. / Robin Higgins https://pixabay.com/de/photos/verwirrt-h%C3%A4nde-bis-unsicher-ratlos-2681507/
Tja, Politik ist kompliziert, und gegen die eigenen Interessen Wählen kommt vor.
Verwählen in der Politik hat auch eine Affinität zum Dunning-Kruger-Effekt:
Die Psychologen Dunning und Kruger erhielten den IGNOBEL-Preis für ihren Artikel "Unskilled and unaware of it. How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments.", der die These enthielt, die Leute, die unfähig sein, richtig zu urteilen, seien auch unfähig, ihre eigene Urteilsunfähigkeit zu erkennen.
Dieser Artikel beginnt mit einem Beispiel eines Bankräubers, der glaubte, er würde für die Überwachungskameras unerkennbar, wenn er sein Gesicht mit Zitronensaft einschmiert.
Selbstüberschätzung in Urteilsfragen und überzeugtes Abstimmen für das, was sich später als das Falsche herausstellt, ist vielleicht eher ein männliches Phänomen, während Selbstzweifel und Stimmenthaltung vielleicht eher weibliche Phänomene sind.
Umgekehrt ist das Zugeben von Irrtümern und Zweifeln vielleicht eher ein weibliches Phänomen (siehe Pixabay-Foto oben), hingegen das Leugnen von Irrtümern und Zweifeln eher ein männliches Phänomen.
(Die empirischen Daten dazu sind nicht ganz eindeutig, auch deswegen, weil das Zugeben von Irrtümern oder das Aufdecken von Fehlern in manchen Gesellschaften bzw. Gesellschaftsgruppen geächtet ist und als Gesichtsverlust gewertet wird)
Das zeitliche Zusammenfallen dieser angeblichen oder wirklichen EU-Parlaments-Abstimmungspanne mit dem Brexitchaos frappiert allerdings schon.