Mögliche Ziele der Ungültigwahlkampagne sind:

1.) Reihungswahlrecht statt Lieblingswahlrecht. Beim Reihungswahlrecht reihen die Wähler alle Kandidaten (am liebsten ist mir X, am zweitliebsten Y, etc.), während man beim Lieblingswahlrecht nur eine einzige Stimme hat. Das Reihungswahlrecht begünstigt die politische Mitte, weil Vertreter der politischen Mitte viele Zweit- und Dritt-Reihungen haben, während Vertreter politischer Extreme viele Erst-Reihungen, aber auch viele Letzt-Reihungen haben, weil sie vom jeweils anderen politischen Extrem am schärfsten abgelehnt werden.

Es gibt verschiedene Formen des Reihungswahlrecht: Schulze, Borda, Condorcet, ...

Beim Borda-Verfahren (das ein Punktevergabeverfahren ähnlich dem Eurovisions-Song-Contest oder Punktevergabeverfahren wie im Sport ist) erhält der Erstgereihte z.B. 4 Punkte, der Zweitgereihte 3, der Drittgereihte 2, der Viertgereihte 1, alle weiteren Null Punkte.

Ein Reihungswahlrecht wäre auch immun gegen Wahlmanipulation durch Medien und Meinungsumfragen, die das taktische Wählen mißbrauchen: wenn zahlreiche Wähler nach der Devise "Ich würde ja gerne X wählen, aber weil Medien und Meinungsumfragen sagen, dass X keine Chance hat, in die Stichwahl zu kommen, wähle ich stattdessen Y oder Z." wählen, dann verfälschen absichtlich oder methodenbedingt falsche Meinungsumfragen das Wahlergebnis. Die Wahlmanipulationen durch Medien und Meinungsumfragen erfüllen die Strafgesetzbuch-Tatbestands-Kriterien der "Täuschung bei einer Wahl" §263 StGB.

2.) Präzisierung der Rechte des Bundespräsidenten: in der Verfassung sind viele Rechte und Möglichkeiten des Bundespräidenten nur vage und unklar und zweideutig geregelt. So ist zum Beispiel B-VG Artikel 70. "(1) Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt." mehrdeutig, weil es offenläßt, ob sich der Bundespräsidenten bei dieser Ernennung die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat berücksichtigen muß oder die Mehrheits- und Konsens-Verhältnisse im Nationalrat oder keines von beiden.

Die Krise des Jahres 2000 hing sehr wesentlich damit zusammen, dass Bundespräsident Klestil glaubte, eine Regierung durch Ernennungsverweigerung erzwingen zu können, die zwar eine Mehrheit im Parlament hatte, aber keinen inneren Konsens. Die SPÖ pokerte extrem hoch und forderte eine Möglichkeit für das Ausscheren des Gewerkschaftsblocks, womit auch die Mehrheit verloren gewesen wäre, die ÖVP wollte deswegen lieber mit der FPÖ koalieren. Die unpräzise Usance sowie die wegen der damaligen politischen Turbulenzen mehr oder weniger verpfuschte B-VG-Reform des Jahres 1929 spielten dabei mit eine Rolle.

3.) Debatten über Stärkung bzw. Schwächung des Bundespräsidentenamts: ein geschwächter Bundespräsident als reine Vertretung nach Außen, als reiner Staatsnotar, vielleicht ohne Oberbefehl über das Bundesheer ist eine Möglichkeit, ebenso wie ein gestärkter Bundespräsident, der alleine Minister vorschlagen kann, was auch einer sauberen Trennung zwischen Exekutive und Legislative entsprechen würde. Beide Möglichkeiten sind möglicherweise besser als der jetzt bestehende "faule Kompromiss".

4.) Kollektivorgan Staatsoberhaupt ähnlich dem Vorbild der Schweiz: in der Schweiz bilden Vertreter der vier stimmenstärksten Parteien als Kollektivorgan im Rotationsprinzip den Bundespräsidenten. Und das ohne Volkswahl, sondern abgeleitet aus der "Zauberformel" (die vier stimmenstärksten Parteien bilden die Regierung und die Funktion des Präsidenten rotiert unter den Regierungsmitgliedern). Dadurch erspart sich die Schweiz mühsame und teure Wahlkämpfe, die allzuoft mit Anfechtungen enden. Eine leicht modifizierte Alternative dazu wäre eine Bundespräsidentenwahl in einem Wahlgang, nach dem die drei bis sechs stimmenstärksten Kandidaten bzw. Kandidatinnen das Kollektivorgan Bundespräsident bilden.

Dieser Aufruf zur Ungültigwahl richtet sich ausschließlich an diejenigen, die keinen Favoriten haben und einen der vorgeschlagenen Reformpunkte (entweder des B-VG oder des BPWG) befürworten.

Im Übrigen besteht kein Grund, Österreich trotz der schlechten Optik ein alles in allem schlechtes Zeugnis auszustellen. Das österreichische Bundespräsidentenwahlsystem (zwei Wahlgänge, viele Parteien) ähnelt denen anderer Länder (z.B. dem Frankreichs). Allerdings scheint Österreich das erste Land werden zu können, in der gerade wegen der Erkenntnis der Schwächen des bisherigen Systems die innovative Lösung eines Reihungswahlrecht für eine Präsidentenwahl versucht wird.

Links:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/zukuenftiger-osze-bericht-kritisiert-praesidentenwahlsystem-24827

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/vfgh-kritiker-noll-sperl-und-frey-irren-bzgl-bp-wahl-24070

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/hofer-und-van-der-bellen-sollen-verzichtserklaerung-abgeben-22980

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/lueckenpresse-der-standard-zur-regierungsbildung-2000-22962

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/praesidentenwahlchaos-warum-der-erste-wahlgang-nicht-wiederholt-wird-22818

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/antrag-auf-aufhebung-des-bundespraesidentenwahlgesetzes-22563

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/stigmatisierung-der-fpoe-als-ursache-der-riesigen-meinungsumfragefehler-20995

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/moegliche-hintergruende-der-mikl-leitner-sobotka-rochade-taeuschung-bei-praesidentenwahl-19021

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/debakel-der-meinungsforschung-bei-bp-wahl-15-abweichung-19619

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/unser-extremismusfoerderndes-und-manipulationsanfaelliges-praesidentenwahlsystem-18790

B-VG:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138

StGB:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296

"§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

Zum Einwand im "Politkollegium", Ungültigwählen sei sinnlos und habe keinen Effekt:

Unmittelbar und gesetzlich zwingenden Effekt hätten ein oder zwei Millionen ungülitge Stimmen mit dem Ziel der B-VG- oder BPWG-Reform natürlich nicht, aber einen psychologischen Effekt schon.

Bei einer hohen Zahl an ungültigen Stimmen (denn gezählt und ausgewiesen werden sie ja) wird es den Politikern (und -innen) schwer fallen, die Anliegen zu ignorieren.

Außerdem hat es in der Geschichte der Wahlen immer wieder Wahlboykotte und Ungültigwahlaufrufe gegeben, z.B. im Kosovo der 90er Jahre durch die LDK von Ibrahim Tugova.

Zum Einwand, selbst wenn eine oder zwei Millionen Personen ungültig wählen würden, dann hätte das keine zwingende, rechtliche Folge:

Ja, das ist richtig, aber auch Demos (wie die in Hainburg) oder Volksbegehren haben keine zwingende, rechtliche Folge. Dennoch wurde das Wasserkraftwerk Hainburg bisher nie gebaut und dem ORF-Volksbegehren folgte einen neues ORF-Gesetz.

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