Die Brexit-Frage offenbart massives politisches Versagen, von dem nicht genau gesagt werden kann, auf welcher Seite es wirklich liegt.
Heute, bzw. gestern hat die britische Premierministerin Theresa May die von EU-Medien und -Politikern und auch von EU-Funktionären wie Schmidt aufgezwungene Sprachregelung übernommen, das britische Parlament sei schuld daran, dass die Brexit-Frage nicht in der vorgesehenen Zeit gelöst werden konnte. Dadurch entstand eine schwere politische Krise in Großbritannien, weil Parlament und Regierung zu einer Art von Zusammenarbeit gezwungen sind, die durch die EU-Propaganda nun zerstört wurde.
Wichtige Faktoren dieses von Anfang an völlig entgleisten Brexit-Prozesses könnten sein, dass ...
.) erstens die EU-Verträge gerade in dieser Frage äußerst mangelhaft und rudimentär sind, weil niemand einen Austritt eines EU-Mitgliedslandes für möglich gehalten hatte,
.) zweitens mit Michel Barnier ein Franzose zum EU-Chefverhandler gemacht wurde (Frankreich hat wegen der Frage des französischen Inner-EU-UNO-Vetorechtsmonopols ein massives Interesse, Großbritannien derart aus der EU rauszuekeln, dass auch ein mittelfristiger oder langfristiger EU-Wiederbeitritt, vielleicht unter geänderten Bedingungen, unmöglich ist),
.) drittens die für Italien maßgeschneiderte EZB-Nullzinspolitik unter dem Italiener EZB-Chef Mario Draghi ein wesentlicher, aber in der EUrozone vertuschter Grund ist, warum Großbritannien wegen BritPfund-Anstieg durch Zinsdifferenz und verschlechternder Handelsbilanz gleichsam aus der EU austreten musste (dass der frühere italienische EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in italienischer Solidarität in einem Euronews-Interview diese Vertuschung fortsetzt, passt ins Bild des EU-Chaos; das Prodi-Interview läßt weiters darauf schliessen, dass es ihm nicht nur um den Brexit geht, sondern darum, durch möglichst brutale "Bestrafung" Großbritanniens dafür, dass es nicht so abstimmte, wie die EU-Eliten wollten, weitere Austritte von Nettozahlern und Italien-Gläubigern zu verhindern, möglicherweise in der Hoffnung, dass Italien dadurch bessere Handhabe hat, seine Schulden losuzwerden und seine Gläubiger zu enteignen, wenn Beide EU-Mitglieder sind).
.) viertens der zwischen GB und EU ausverhandelte Brexit gar kein richtiger Brexit ist, sondern Großbritannien wegen der Irland/Nordirland-Frage nach wie vor Mitglied des europäischen Markts bleibt, obwohl auch andere Möglichkeiten existiert hätten, die Nordirlandfrage zu regeln,
.) fünftens erst heute, acht Tage vor dem offiziellen Brexit-Termin nach einer dreijährigen Brexit-Phase die EU-Seite zur Kenntnis genommen zu haben scheint, dass ihre bisherige intergouvernmentale Politik gescheitert ist (nämlich nur mit der britischen Regierung zu reden, nicht aber mit der Opposition, die einen massiven Einfluss sowohl auf Volksabstimmungen wie auch auf Parlamentsabstimmungen hat),
.) sechstens die EU-27 von Anfang an an die Chancenlosigkeit des Brexit-Referendums glaubten und daher glaubten, auf Meinungsbildung in Großbritannien und Beteiligung an der Debatte verzichten zu können, was möglicherweise ein Riesenfehler war.
.) siebtens die jetzig sich in den EU-27 abzeichnende Position ist "Brexit-Verschiebung nur, wenn Hard-Brexit verhindert wird"; diese Position hat allerdings den Beigeschmack einer Erpressung und ist daher rechtlich fragwürdig, auch wegen des Wiener Abkommens über das Vertragsrecht aus dem Jahr 1967, IIRC.
Alles in Allem spricht sehr viel dafür, sowohl das problematische Brexit-Referendum als auch die EU-Verträge für ungültig zu erklären, und die clausula-rebus-sic-stantibus-Regelung des Vertragsrechts böte eine gute Grundlage dafür (Verträge und Vereinbarungen sind ungültig, wenn die Grundlangen sich beträchtlich ändern und diese Änderungen von den Vertragspartien nicht vorhergesehen wurden).
OGL / Controller of Her Majesty’s Stationery Office https://de.wikipedia.org/wiki/Theresa_May#/media/File:Theresa_May.png
Britische Premierministerin Theresa May, Erbin des Brexit-Chaos sowohl auf britischer als auch auf EU-Ebene.
(Wikipedia funktioniert übrigens trotz des angeblichen Upload-Filter-Protests sehr wohl, wenn auch schwieriger, man muss mitunter Texte markieren, copypasten oder Farbe ändern).
Das Ganze ist ein riesengroßes Blame Game, ein Beschuldigungsspiel, bei dem Alle nach dem Muster "Die Anderen sind schuld" agieren. Alles angeblich christliche Staaten, die nach der christlichen Devise "Suche den Balken vor dem eigenen Kopf statt den Splitter im Auge der Anderen" handeln sollten. Die Beschuldigungen haben einzig und alleine das Ziel, von den eigenen Fehlern abzulenken.
Siehe auch:
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/brexit-uebergangsregelung-britenfeindlich-43484
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/eu-krise-nach-brexit-maechtebalance-zerstoert-24577
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/immer-mehr-politiker-fuer-brexit-verschiebung-54426
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/geheime-eu-tagung-zu-seo-zgok-brexit-wahl-50564
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/luegt-bob-geldof-bzgl-brexit-50568
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/fuehren-schrott-eu-vertraege-zu-chaos-brexit-53711
