Waris Dirie war gemeinsam mit Iman und Naomi Campbell eines der drei bekanntesten farbigen Models der 1990er Jahre. Sie wurde – selbst ein Opfer der sogenannten pharaonischen Beschneidung – UN-Sonderbeauftragte gegen weibliche Genitalverstümmelung. Sie stammt aus Somalia.
Das Buch „Wüstenblume“ (Schneekluth-Verlag bzw. Weltbild, ISBN 3-7951-1626-0, 1998) ist eine Art erste Autobiographie von ihr, und eine Übersetzung von „Desert Flower“, erschienen bei William Morrow, New York.
Waris Dirie hat auch einen Wien-Bezug, insofern, als sie länger in Wien lebte, vielleicht auch in Zusammenhang mit ihrer UN-Tätigkeit (Wien ist ja eine der drei Städte mit UN-Sitz).
Ich weiß, dass es relativ spät ist, ein Buch aus dem Jahr 1998 zu rezensieren, aber als Politikwissenschafter schleppt man ständig eine hunderte Bücher lange Liste mit sich herum, die man eigentlich gelesen haben müsste, aber nicht dazu kam, aus welchen Gründen auch immer.
Durch einen Unfall war ich gezwungen, sinnlose Wartezeit in Spital (AKH) totzuschlagen, und wie es der Zufall oder die göttliche Fügung oder was auch immer wollte, war „Wüstenblume“ von Waris Dirie das einzige Buch der Warteraums-Bibliothek, das sich auf meiner Warteliste gelesen werden müssender Bücher befand.
Generell hat das Buch einige große Vorteile und einige Nachteile:
Zu den Vorteilen gehört, dass es ein wichtiges Thema behandelt (nämlich die weibliche Genitalbeschneidung), und dass Dirie, selbst ein Model, die genau richtige Person war, um dieses Thema in die Frauenmedien, auch in die Modemagazine zu bringen.
Und zu den Vorteilen gehört auch, dass es bei aller Tragik auch eine Leichtigkeit hat, die speziell im angelsächsischen Raum gebräuchlich ist und im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum steht, in dem eine gewisse Neigung dazu besteht, alle trüben Wasser automatisch für tief zu halten, wie schon Literaturkritiker Marcel Reich-Ranitzki bemerkte.
Doch nun zu den aus meiner Meinung nach bestehenden Nachteilen bzw. Unklarheiten dieses Buchs, die sich zu wenig oder gar nicht in den seither erschienen Kritiken wiederfinden, so als wäre ihr Opferstatus automatisch eine Art Unkritisierbarkeit.
1.) Dirie erwähnt den somalischen Bürgerkrieg nur mit einem einzigen Halbsatz, obwohl dieser auch bis zu einige hunderte Seiten verdient hätte.
2.) Dirie, der – hauptsächlich von Somalis - der Vorwurf gemacht wurde, sie würde ihre Kultur zu sehr kritisieren, würde ich eher den genau umgekehrten Vorwurf machen, nämlich den, dass sie ihre Kultur zu wenig kritisiert: untergliedern möchte ich dieses Thema in a) den islamischen Hintergrund ihrer Kultur und b) den Nomadismus. Dirie schreibt zwar richtigerweise, dass die weibliche Genitalbeschneidung nicht explizit im Koran vorkommt bzw. vorgeschrieben ist, aber sie erwähnt nicht, dass die weibliche Genitalverstümmelung sehr gut zur impliziten Männerdominanz des Koran passt. Im Koran ist den Männern erlaubt bzw. vorgeschrieben, ihre Frauen bei Ungehorsam zu schlagen, was man auch im weiteren Sinne als Erlaubnis bzw. Vorschrift betrachten kann, junge Mädchen, also zukünftige Ehefrauen zu verletzen. Dirie erwähnt mehrere Male ihren Glauben an Allah, also den islamischen Gott, allerdings ohne den Koran oder Mohammed in ihrem Buch auch nur zu erwähnen, was man als Seltsamkeit betrachten kann. Allerdings erwähnt sie auch, dass manche Männer aus dem Islam eine Frauenbevormundung abzuleiten zu können bzw. zu müssen glauben. Dass die islamische Polygynie bei gleichzeitigem Polyandrieverbot (Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen bei gleichzeitigem Verbot der Ehe einer Frau mit mehreren Männern) dem Mann eine Vormachtstellung gibt, die es ihm ermöglicht, Frauen gegeneinander auszuspielen, die gehorsamste zu belohnen und zur Lieblingsfrau zu machen, hingegen die ungehorsamste durch Marginalisierung und Missachtung zu bestrafen, erwähnt Dirie nicht explizit, aber man kann es mit Grundverständnis und Vorwissen als im Buch angedeutet erkennen. Das Buch von Waris Dirie stammt aus dem Jahr 1998, also vier Jahre nach der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994, an der Waris Dirie – allerdings ohne Stimmrecht irgendeines Staates – teilnahm. Man kann ihre Argumentationstechnik als Versuch deuten, den Islam gleichsam von innen zu kritisieren und zu verändern, was man allerdings als gescheitert betrachten kann, auch deswegen, weil sich in den 24 Jahren seither praktisch nichts oder nur wenig zum Guten verändert hat. Ich persönlich stehe dieser Konferenz sehr kritisch gegenüber, weil sie nur mit unverbindlichen Appellen an die Freiwilligkeit, die durch religiöse Gebote ausser Kraft gesetzt wurden, endete. Allerdings darf man wohl keinen anderen Ausgang als völlige Ergebnislosigkeit erwarten, wenn man eine Konferenz in Kairo ansetzt, also einem islamischen Land, das noch dazu namensgebend für die von der New Yorker Menschenrechtserklärung (von 1948) abweichende Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam 1991 war. Ich persönlich vertrete auch die These, dass die Ergebnislosigkeit der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo von 1994 einer der möglichen Mitgründe für die Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina 1995 (Srebrenica, Zepa) war, gerade wo der Islam durch die damalige islamische Bevölkerungsminderheit in Bosnien, die heute eine Bevölkerungsmehrheit ist, eine besondere Rolle spielt. Was uns auch zu Thema 3 führt, der Bevölkerungsexplosion in fast allen islamischen Ländern.
Doch vorerst zu 2b), dem Nomadismus: Dirie gehört einem nomadisierenden Stamm Somalias an, was gut zum Nomadismus in der Modelbranche passt. Zum Ausdruck kommt das in ihrer Kritik, die Entwaldung Somalias sei eine Folge der sesshaften Viehzüchter, die das Holz für Gatter und Zäune für ihre Herden brauchen würden. Allerdings brauchen auch Nomaden Holz, zum Beispiel Brennholz, um warme Speisen zuzubereiten. Generell kritisiert Dirie Viehzucht nicht, obwohl gerade in Anbetracht der knappen landwirtschaftlichen Möglichkeiten Somalias ein völliger Umstieg auf reine Pflanzenwirtschaft und ein völliger Verzicht auf Viehwirtschaft eine viel bessere Basis wäre, die ziemlich große und schnell wachsende Bevölkerung Somalias zu ernähren. Da man Acker nicht mitnehmen kann, sondern nur Tierherden (Kamele, Ziegen, etc.), sind Nomaden praktisch auf Gedeih und Verderb auf Viehwirtschaft angewiesen, wenn sie ihre Kultur (die auch im Koran beschrieben bzw. als vorbildlich nahegelegt wird) beibehalten wollen, auch wenn Viehwirtschaft eine viel ineffizientere Nutzung der Bodengrundlagen darstellt als reine Pflanzenwirtschaft. Manchen Theorien zufolge haben sesshafte Bauern, die zumindest teilweise Ackerwirtschaft betreiben, ein Interesse daran, den eigenen Boden langfristig fruchtbar zu halten, zum Beispiel auch durch die Aufrechterhaltung von Schutzwäldern. Im Gegensatz zu Nomaden, die manchmal eine gewisse Neigung haben, den Boden rücksichtslos zu plündern und dann weiterzuziehen. So gesehen sind Nomaden, denen auch Dirie zuzurechnen ist, eine gleichsam biblische Heuschreckenplage.
3.) Die Bevölkerungsexplosion, der Kinderreichtum, der Mutterkult in Somalia, bzw. zahlreichen islamischen Ländern. Polemisch gesagt verharmlost Dirie die Kultur Somalias bzw. zahlreicher islamischer Länder: sie legt nahe, dass alles in Ordnung sei mit Ausnahme eines einzigen Problems, der weiblichen Genitalbeschneidung. Und Dirie unterschlägt, das gerade ihr Heimatland Somalia seit langem eine Mehrfachkrise durchlebt, von der die weibliche Genitalbeschneidung nur ein klitzekleiner Aspekt, der vielleicht sogar als positiver Lösungsansatz für die anderen Problemfaktoren (z.B. die Bevölkerungsexplosion) betrachtet werden kann. Gerade Dirie als Opfer einer besonders grausamen Form der weiblichen Genitalverstümmelung, nämlich der sogenannten pharaonischen Beschneidung, bei der nicht nur die Schamlippen beschnitten werden, sondern auch vernäht, was zu schmerzvollem Stauungen von Menstruationsblut führen kann, kann man vielleicht gar keinen Vorwurf machen, dass sie nur dieses eine Thema behandelt, aber es nicht im Gesamtkontext sieht. Aber der Gesamtkontext wäre, dass die weibliche Genitalbeschneidung auch eine wie auch immer grausame Möglichkeit sein bzw. als solche betrachtet werden kann, die Bevölkerungsexplosion einzudämmen. Gerade Dirie als im innerkulturellen Vergleich Spätverheiratete und Spät- bzw. Weniggebärende (2 Kinder laut Internet-Recherchen) und Genitalbeschnittene wäre kurioserweise gerade ein Beweis bzw. Indiz dafür, dass die weibliche Genitalbeschneidung die Bevölkerungsexplosion senkt. Die vielen Mädchen, die durch die weibliche Genitalbeschneidung sterben, wären ein weiteres Indiz, und gerade die Nahrungsmittelknappheit in Somalia spricht eigentlich, wenn man die Gesamtkultur mit aller Gewalt aufrechterhalten will, unter Umständen dafür, die Genitalbeschneidung mit relativ hoher Todesrate möglichst früh durchzuführen, weil die Verluste durch vergeudete Lebensmittel bei Frühsterbenden geringer sind als bei Spätsterbenden. Und Dirie verwendet alleine für die Beschneiderinnen (die Genitalbeschneidung wird hauptsächlich von Frauen gemacht) den Begriff der „Mörderinnen“ und sie vernachlässigt dabei bis zu einem gewissen Grad die Mitschuld der Männer unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kultur Somalias auch bedingt durch den Islam männerdominiert ist. Sehr weit hinten in ihrem Buch (ca. auf Seite 300) kommt dann die sehr radikale Kritik an den Männern, vielleicht müsste man allen Männern die Eier abschneiden, um die Probleme Somalias zu lösen, wobei sich für mich als nicht-somalischen und nicht-islamischen Mann schon die Frage stellt, ob sie damit alle Männer der Welt oder alle somalischen Männer oder alle männlichen Moslems meint. Generell hätte ich mich mehr und besser ausgearbeitete radikale Kritik dieser Form von ihr gewünscht, und nicht bloß dieses bisschen sehr emotionale, sehr unpräzisierte und sehr weit hinten im Buch platzierte Einsprengsel, aber vielleicht ist sie dazu einfach zu unintellektuell oder zu sehr in ihrer Kultur gefangen. Dazu gehört auch ihr Festhalten am Mütterlichkeitskult in Somalia, der ein Bestandteil der Bevölkerungsexplosion und damit des Problemkatalogs ist, der Somalia gemeinsam mit dem Südsudan zu den zwei gescheitertsten (Falls man „gescheitert“ überhaupt steigern kann, in Sinne von „am schlimmsten gescheitert“) Ländern der Welt macht. Diries Mutter war selbst sehr kinderreich und so gesehen ein Bestandteil der Problemvielfalt des Landes und man kann wohl von einem Kind nicht erwarten, die eigene Mutter zu kritisieren. Allerdings war Diries Mutter auch sozusagen die missratene Tochter einer somalischen Diplomatenfamilie, insofern, als sie (Diries Mutter) nicht gleichsam standesgemäß heiratete, sondern mit einem „einfachenBauern“ „durchbrannte“. Der Diplomaten-Hintergrund der Dirie-Familie kann als zweischneidig betrachtet werden: einerseits mag es dazu beigetragen haben, dass Waris Dirie UNO-Sonderbeauftragte gegen Genitalbeschneidung wurde, andererseits neigen Diplomaten eben dazu, zu diplomatisch zu sein, und ihr Land und ihre Kultur zu verteidigen, statt sie zu kritisieren, auch und insbesondere in den Fällen, wo dies angebracht erscheint. Dirie hätte auch an vor-islamische Traditionen Somalias anknüpfen können, wie zum Beispiel der Königin von Saba, also weiblichen Herrscherinnen auf dem Gebiet des heutigen Somalia vor 3000 Jahren (wenn auch die Frage der wirklichen Existenz der Königin von Saba wie bei vielen Personen vor Jahrtausenden, umstritten ist), aber dazu ist Waris Dirie möglicherweise zu sehr ein „Mädchen vom Lande“ und zuwenig gebildet, insbesondere historisch gebildet. Von der Königin von Saba ist nichts bekannt, dass sie weibliche Genitalbeschneidung zugelassen hätte, egal, ob pharaonisch oder nicht, was Dirie in ihrem gesamten Buch kein einziges Mal erwähnt, was man auch als Verharmlosung des Islam betrachten kann. So gesehen kann man Dirie – polemisch gesagt – als Bestätigung der These sehen, wer seine bzw. ihre ganze Zeit dafür verwendet, seine bzw. ihre physische Attraktivität zu kultivieren, der ist eben oft intellektuell unterentwickelt.
Generell bietet das Buch „Wüstenblume“ von Waris Dirie einen guten sozusagen populärwissenschaftlichen und Edutainments-orientierten Anknüpfungspunkt und eine Einleitung in viele Probleme Somalias, allerdings auch eine mangelhafte.
Alleine diese Episode, wie sie als eigentlich nicht zugelassene bzw. nicht gern gesehene Frau Zweite mit ihrem Hintergrund aus einem Kamelherden besitzenden Nomadenstamm bei einem Kamelrennen in Marokko IIRC wird, wo sie wegen Dreharbeiten zu einem James Bond-Film weilte, ist ein nettes Häppchen.
Apropos göttliche Fügung: Waris Dirie bescheibt in ihrem Buch, es sei zumindest möglicherweise göttliche Fügung gewesen, dass ein Löwe sie verschont habe, und eine wichtige Aufgabe in ihrem Leben zu erfüllen. Ähnlich könnte ich sagen, es sei möglicherweise eine Art göttliche Fügung gewesen, einen Unfall zu haben, und in dieser einen AKH-Warteraumsbibliothek über ihr Buch zu stolpern und genau diese Kritik zu schreiben.
P.S.: zu einem Kulturbruch, wie es die Einführung der chinesischen Ein-Kind-Politik darstellt, war übrigens kein einziges islamisches Land in der Lage, auch wenn der Iran, aus welchen Gründen auch immer. Für ein islamisches Land relativ niedrige Geburtenraten hat der Iran, was aber vielleicht auf die westlich-kinderarme Ehe, die der durch Khomeini gestürzte Schah Reza Pahlevi mit stark westlich beeinflusste Farah Diba führte (auch Dirie berichtet über italienische Einflüsse auf Somalia in der Folge des „Abessinien-Krieges“).
Das persische Scheidungsrecht der 1960er Jahre war sehr westlich und ermöglichte Frauen, gegen den Willen des Mannes die Scheidung anzustreben und zu erreichen. Was völlig koranwidrig ist, und konsequenterweise auf massiven Widerstand des späteren iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini stiess. So gesehen wurde Schah Pahlevi von Islamisten gestürzt, weil er islamwidrig frauenfreundlich war.
Islamunabhängige Königshäuser scheinen in vielerlei Hinsicht der einzige relevante Gegenpol zum Islamismus in vielen der betreffenden Staaten zu sein. Die Entscheidung von Carter, Callaghan, Giscard und Helmut Schmidt, die Rückkehr von Khomeini zu ermöglichen, war möglicherweise ein Riesenfehler.
P.S.2: der Vorname „Waris“ leitet sich von einer somalischen Wüstenblume ab (daher auch der Buchtitel), die trotz geringen Wasserangebots und trotz seltenem Regen blühen kann. Zum Glück für sich und die Welt blieb Waris Dirie nicht so bescheiden und ortsgebunden wie die Wüstenblume, die ihr den Namen gab. Zum Glück riss sie aus, als sie mit einem älteren Mann verheiratet werden sollte, den sie nicht heiraten wollte. Dies entsprach sozusagen auch einer Art Familientradition weiblichen Ungehorsams, der sich bei ihrer Mutter allerdings anders geäußert hatte. Auf jeden Fall war es ein Londoner Arzt (vielleicht habe ich das Buch deswegen in einer AKH-Warteraum-Bibliothek vorgefunden), der sie von den schlimmsten Aspekten der euphemistisch „pharaonischen Beschneidung“ befreite, nämlich dem Zunähen mit Ausnahme eines kleinen Lochs. Dirie hat recht, dass man gar nicht weiß, wie schlecht es einem bzw. einer geht, bzw. wie schlecht einen bzw. eine die eigene Kultur behandelt, solange einem bzw. einer die Vergleichswerte fehlen, zum Beispiel zu anderen Kulturen. Andererseits hat das Vierteljahrhundert an von Waris Dirie´s Kritik an der FGM (female genital mutilation, weibliche Genitalverstümmelung) so gut wie nichts gebracht. Noch immer werden Unterschriften gesammelt und Reden gehalten, die von den Mächtigen ignoriert werden. Vielleicht war der Fehler von Dirie, nur einen kleinen Aspekt einer Kultur zu kritisieren, der im Gesamtkontext der Gesamtkultur doch relativ gesehen werden kann. Vielleicht sollte Dirie ihre Kritik radikalisieren, und zur Unterstützerin eines radikalen Kulturwechsels werden, zum Beispiel auch durch eine Militärintervention. Allerdings ist die Unterstützung einer Militärintervention sehr unweiblich, und gerade die italienische Abessinien-Intervention von Mussolini mit Unterstützung von Hitler hinterliess gerade in Somalia wohl eine Ablehnung von Interventionen westlicher „Kuffar“ (Ungläubiger aus islamischer Sicht), an der auch die unentschlossene Somalia-Intervention der Bill-Clinton-Ära scheiterte. Aber vielleicht gilt für eine schmerzvolle, riskante, blutige Intervention genau das, was Frauen gelegentlich über ihre Politik sagen. Maggie Thatcher sprach von „There is no alternative“; Angela Merkel bezeichnete hin und wieder ihre Politik als „alternativlos“. Vielleicht ist ein gewaltsamer Kulturwechsel durch eine massive Militärmacht von Aussen, auf vielleicht möglichst breiter Basis (ein UNO-Sicherheitsratsmandat unter Einbeziehung Russlands wäre wünschenswert, zu dem die Gesprächsbasis wegen der Krim-Sanktionen zerstört ist, die der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt als „dummes Zeug“ bezeichnete).
Vielleicht hat der westliche Einfluss, der sich trotz der Mussolini-Problematik in der Familientradition der Dirie-Frauen äußert, ja auch positive Aspekte.
P.S.3: Die ZDF-Journalistin Maria von Welser schrieb in einer Rezension von „Wüstenblume“: „Waris Dirie erreicht mit ihren Worten unsere Herzen. Jeden, der muß die kalte Wut packen, der liest, was Frauen ihren kleinen Töchtern antun.“
Diese Kritik ist in vielerlei Hinsicht falsch, erstens, weil sie suggeriert, dass es ein reines Frauenthema sei, das Frauen unter sich regeln können. Zweitens, weil Waris Dirie´s Mutter dasjenige Familienmitglied war, das der Beschneidung am kritischsten gegenüberstand, die aber auch aufgrund der somalischen (Un-)Kultur zu machtlos war, um sich durchzusetzen. Dass vielfach die Väter die treibende Kraft sind, weil die Beschneidung den Verkaufswert der Tochter erhöht, blendet von Welser total aus. Außerdem ist „Wut“ wie so oft problematisch, weil sie häufig zu Scheinlösungen führt. Waris Dirie´s „Arbeit“ ist vielleicht erst dann getan, wenn sie nicht nur die Herzen, sondern die Hirne erreicht. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob von Welser das Buch von Dirie überhaupt (zur Gänze?) gelesen hat, oder nur z.B. die ersten drei Seiten. So gesehen kann man die oberflächliche Buchbesprechung der Fernsehjournalistin Welser als Bestätigung der Neill-Postman-These sehen, dass Fernsehen ein verdummendes Medium sei und wir uns dadurch zu Tode amüsieren. Und es spricht vielleicht auch gegen den Schneekluth-Verlag, eine derart oberflächliche Besprechung wie die von von Welser auf den Buchumschlag zu nehmen, obwohl vielleicht bei einem derartigen Außenseitermedium wie dem Schneekluth-Verlag die Überlegung mitgespielt haben mag, eben durch die Übernahme einer falschen, aber etablierten Besprechung sich entweder Liebkind bei den Etablierten zu machen oder diese zu diskreditieren.
Damit verbunden glaube ich auch, dass eines der Ziele einer etwaigen westlichen Militärintervention in Somalia oder Südsudan sein sollte, zumindest für einen Übergangszeitraum einen einheitlichen Verkaufswert für Töchter festzulegen, der unabhängig davon sein sollte, ob die Frauen beschnitten sind oder nicht. (Die aus europäischer Sicht naheliegende Ideallösung, Töchterverkauf völlig zu verbieten, könnte als übertrieben harter Eingriff in die Rechtssicherheit bzw. Kultur des Landes verstanden werden und könnte massiven Widerstand gegen das Besatzungsregime verursachen, das eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns des Kulturänderungsversuchs mit sich bringt.) Sowie eine Mindestheiratsalter von zum Beispiel 18 Jahren.
Dirie und Welser schrecken vielleicht vor dem zurück, wozu andere Frauen durchaus bereit sind, nämlich radikaler Islamkritik: Ayaan Hirsi Ali oder Oriana Fallaci seien hier genannt. Bei Fallaci kann man die westliche Prägung dafür verantwortlich machen, während Hirsi Ali aus dem selben Kulturkreis kommt wie Dirie, sogar aus dem selben Land, nämlich Somalia. Ayaan Hirsi Ali hat eine ähnliche Lebensgeschichte wie Waris Dirie, zum Beispiel die weibliche Genitalbeschneidung, die bei ihr von ihrer Großmutter entgegen dem Willen beider Eltern durchgeführt wurde. Der islamische Religionslehrer hat Ayaan Hirsi Ali eine Kopfverletzung zugefügt, weil sie zuwenig Bereitschaft zeigte, Koran zu lernen. So gesehen ähnelt ihr Schicksal dem meinen.
Ayaan Hirsi Ali wurde wahrscheinlich deswegen trotz genau demselben Opfer-von-FGM-Status wie Dirie nicht UN-Beauftragte gegen weibliche Genitalbeschneidung, weil sie zu islamkritisch war, was die vielen islamischen UNO-Mitglieder niemals akzeptiert hätten.
Alleine die OIC, die Organisation islamischer Kooperation, deren Gründungsmitglied auch Somalia ist, umfasst ca. 60 Staaten. Gegen diesen Riesenblock innerhalb der UNO könnte mittlerweile gar nichts mehr möglich sein, auch und insbesondere nicht die Durchsetzung der New Yorker Erklärung der Menschenrechte, wie absurd das auch immer erscheinen mag..
Bosnien-Herzegowina, ein inzwischen auch islamisch-dominiertes Land, ist kein Mitglied der OIC, sondern hat „nur“ Beobachterstatus.
Hirsi Ali sieht zwar auch nicht die bevölkerungsexplosionsbegrenzende Rolle der weiblichen Genitalverstümmelung, aber sie ist wenigstens die viel konsequentere Islamkritikerin als Dirie und so gesehen aus meiner Sicht unbedingt vorzuziehen.
? CC BY-SA 2.0 : PhiLiP (talk) ? https://de.wikipedia.org/wiki/Waris_Dirie#/media/File:Desert_Flower_66%C3%A8me_Festival_de_Venise_(Mostra)_cropped.jpg
Waris Dirie 2010 (Film Festival Venedig)
https://de.wikipedia.org/wiki/Waris_Dirie
Gemeinfrei Miihkali and Vardion https://de.wikipedia.org/wiki/Organisation_f%C3%BCr_Islamische_Zusammenarbeit#/media/File:OIC_map.png
Die Staaten der Organisation für islamische Kooperation (grün) und die Beobachterstaaten (rot).
https://de.wikipedia.org/wiki/Organisation_f%C3%BCr_Islamische_Zusammenarbeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Kairoer_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte_im_Islam
Artikel 6 der kairoer Erklärung der Menschenrechte im islam enthält eine Geschlechterasymmetrie: die Frau ist nur was ihre Würde betrifft, gleichgestellt, aber sonst nicht. Der Mann ist verantwortlich und zuständig für Wohlergehen und Unterhalt der Familie. (Man kann das auch als Berufsverbot für Frauen sehen, bzw. als Fixierung der Frau auf Mutterschaft)
? CC BY-SA 3.0 : Gage Skidmore ? https://de.wikipedia.org/wiki/Ayaan_Hirsi_Ali#/media/File:Ayaan_Hirsi_Ali_by_Gage_Skidmore.jpg
Ayaan Hirsi Ali