Bundesheer - nur für Show zu gebrauchen, nicht für den Ernstfall ?

Die Kleine Zeitung Graz erinnert in einem doppelseitigen Artikel ("Unsere stärkste Waffe war das Glück" ) von Christian Wehrschütz heute anläßlich des 30. Jahrestags an den Slowenienkrieg (deset-dni-vojna) bzw. dessen Implikationen für Österreich.

Auch wenn die Einräumung von soviel Platz für ein solches Thema lobenswert ist (insbesondere, wegen der Nachbarschaft der Steiermark zum heutigen Slowenien und der oft verflochtenen Geschichte), so sind dennoch einige Widersprüche und Fehler im Artikel zu kritisieren:

hauptsächlich in Zusammenhang mit der Frage, wie groß die Bedrohung für Österreich in der Tat war.

Einerseits lieferte der Artikel ja einen Wahrheitsaspekt, insofern, als er erwähnte, dass das Heeresnachrichtenamt zur Einschätzung kam, dass die Jugoslawische Volksarmee gar keinen Angriff auf Österreich plante.

In diesem Zusammenhang hätte man auch erwähnen können, dass die Jugoslawische Volksarmee Zerfallserscheinungen zeigte, z.B. Massendesertionen z.B. von Kosovo-Albanern, die in den einfachen und niedrigen Rängen stark vertreten waren, oder auch von anderen, nicht-serbischen ethnischen Gruppen des ehemaligen Jugoslawien, z.B. Kroaten und Slowenen. Und dass die JVA wegen dieser Desertionen und wegen des jugoslawischen Zerfalls gar nicht nach Aussen kriegsfähig war und die wesentlichen militärischen Entscheidungsträger auf Seiten Jugoslawiens das höchstwahrscheinlich auch wussten.

Generell war schon lange vor den jugoslawischen Kriegen der 1990er Jahre thematisiert worden, inwieweit der jugoslawische Staat durch den Föderalismus, der sich auch in Territorialverteidigungstruppen der einzelnen Teilrepubliken (also Slowenien, Kroatien, etc.) äußerte, quasi zum Bürgerkrieg und zum Zerfall vorherbestimmt war, und inwieweit ein solcher Zerfall nur mehr eine Frage der Zeit war.

Ebenfalls erwähnen hätte man können, dass diese Einschätzung des HNA kein geheimdienstliches Kunststück war, sondern sich aus öffentlichen Pressekonferenzen von Oberbefehlshabern der jugoslawischen Volksarmee speiste, in denen diese betont hatten, dass es nur um die verfassungsmäßige Aufrechterhaltung der Einheit Jugoslwiens gehe, un dum nichts darüber hinausgehendes.

Jeder Journalist, der die Nachrichtenagenturmeldungen aufmerksam las, hätte diesbezüglich zur selben Einschätzung kommen können wie das österreichische HNA, weshalb das HNA so gesehen keine besonders lobende Erwähnung isoliert betrachtet verdient.

Auch ergeben sich Widersprüche und Unklarheiten in Hinblick auf die Effizienz und Doppelmoral der Politik, die den Einsatz an der Grenze anordnete, ohne ausreichende Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.

Dafür, dass der damalige österreichische Verteidigungsminister Fasslabend (ÖVP) zwei widersprüchliche Entscheidungen traf, nämlich einerseits die vollausgebildeten Grundwehrdiener abrüsten zu lassen, und andererseits eine extreme Bedrohungslage zu suggerieren und den sogenannten "Sicherungseinsatz" anzuordnen, gibt es eine ganz andere Erklärung als die im Artikel erwähnte: nämlich das das Ganze reine Showpolitik war, dass man den besorgten Bürgern an der Grenze gegenüber einen großen Militäreinsatz ankündigte, aber den Dienst der vollausgebildeten Sechsmonate-Grundwehrdiener nicht verlängerte, sondern sie aus dem Heer entliess, was in einer wirklichen Krisensituation eigentlich völlig untragbar gewesen wäre.

"Die Österreicher sind ein zutiefst hysterisches Volk", sagte der österreichische Philosoph und früherer Rektor der Akademie der bildenden Künste, Rudolf Burger, einmal.

Und auch diese Posse unter gleichzeitigen Verweigerung der adäquaten Mittel, die der bei Pressekonferenzen behaupteten Bedrohungslage entsprochen hätten, kann als Bestätigung dieser These betrachtet werden. Verwunderlich ist aber, dass niemand in Österreich, weder in Politik noch in Medien, weder damals noch heute, auf diesen Widerspruch zwischen Ankündigungspolitik und Mitteln zu sprechen gekommen ist, oder zu sprechen kommt.

So, als wäre das Militärwesen österreichischen Journalisten und Journalistinnen völlig fremd, so wie spanische Dörfer im Sprichwort oder Krater auf der Rückseite des Mondes.

Dabei wäre eine damalige Thematisierung des Widerspruchs zwischen auf Pressekonferenzen angekündigten Zielen und mangelhaften zur Verfügung gestellten Mittel wichtig gewesen für den politischen Diskurs gerade in Zusammenhang mit dem jugoslawischen Zerfallsprozess.

Denn ein viel dramatischerer Ziel-Mittel-Konflikt, bzw Ziel-Mittel-Widerspruch war die rhetorisch auch unter Beteiligung der österreichischen Aussenpolitik (damaliger Aussenminister: der schwer durch Parkinson-Krankheit beeinträchtigte Alois Mock, ÖVP) lautstark propagierte Schutzzonenpolitik bzgl. der damaligen Schutzzonen bei gleichzeitiger Nicht-Zur-Verfügung-Stellung der geeigneten Mittel.

So hatten zum Beispiel UNO-Soldaten, die diese Schutzzonenpolitik für den Bosnienkrieg hätten durchführen sollen, aufgrund der UNO-Resolutionen erstens nur leichte Bewaffnung und zweitens Schiesserlaubnis nur im Falle der Selbstverteidigung, nicht zum Schutz von Zivilisten.

Während die österreichische Ziel-Mittel-Posse also praktisch ohne Geschädigte ablief, wenn man davon absieht, dass dadurch die ÖVP populistisch abstaubte, und mit reiner Showpolitik den anderen Parteien Wähler abnahm, forderte die von Anfang an widersprüchliche Bosnienschutzzonenpolitik, die sehr wesentlich unter österreichischer Unterstützung ablief, eine große Zahl an Todesopfern, auch dadurch, dass diese Schutzzonen resolutionswidrig für muslimische Offensiven mißbraucht wurden, was zu den Massakern durch bosnisch-serbische Truppen an Muslimen am Ende des Bosnienkrieges in Srebrenica und Zepa im Sommer 1995 beitrug.

Die realpolitische Frage, inwieweit man als Politiker sein eigenes Volk belügen soll oder muss, wenn es sich in einem hysterischen Zustand befindet, ist übrigens eine alte Frage der Politik.

Zu der es auch zwei sehr widersprüchliche Zitate zweier sozialdemokratischer Klassiker gibt: einerseits "Es ist besser, mit den Massen zu irren, als gegen sie Recht zu haben" des Österreichers Viktor Adler, IIRC, und "Gute Politik beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist" des Deutschen Ferdinand Lassalle.

Dieser Unterschied zwischen einem tendenziell lügenorientierten und katholisch geprägten Österreich und einem tendenziell wahrheitsorientieren und eher protestantisch geprägten Deutschland kann auch heute noch als gültig betrachtet werden.

Zahlreiche Messungen und Umfragen weisen wie der Korruptionswahrnehmungsindex der Organisation Transparency International weisen Österreich als korrupter oder korrupter wahrgenommen aus als Deutschland oder das ebenfalls protestantisch geprägte Skandinavien.

Der in Österreich stark vertretenen quasi-katholischen Gesinnungsethik steht auch die protestische Verantwortungsethik entgegen.

Für einen katholischen Moralprediger reicht es, das hochmoralische Ziel zu predigen. Für alles weitere ist er nicht zuständig.

Hingegen für den Protestantismus, der eher gegen einen abgekoppelten Berufsklerus ist, hat die Frage der Verantwortungsethik einen viel höheren Stellenwert: für den Verantwortunsethiker geht es nicht nur um die Frage, was das hochmoralische Ziel sei, sondern auch um die Frage, ob die dafür zur Verfügung stehenden Mittel ausreichend seien. Die Unterscheidung in "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik" geht übrigens auf den deutschen Soziologen Max Weber zurück.

Die Misere der österreichischen Politik ist daher vielfach die Verhaftetheit in hochmoralischem Moralpredigen ohne Nachdenken über Mittel und mögliche schädliche Nebenwirkungen.

Der Bluff und das Täuschungsmanöver kann übrigens durchaus in seltenen Fällen erfolgreich sein: die Bewohner von Reutte in Tirol rüsteten einmal im Mittelalter, als ein Überfall eines feindlichen Heeres drohte, die hölzernen Heuständer (Stanger) mit Kleidung und Waffenattrappen aus, um den Eindruck zu erwecken, weit zahlreicher zu sein, als sie wirklich waren.

Laut dortiger Folklore war dieser Bluff erfolgreich und das feindliche Heer zog deswegen wieder ab. "Si non e vero, e bene trovato" ("Wenns nicht wahr ist, so ist es gut erfunden" ). Aber solche Fälle der erfolgreichen Bluffs sind in Zeiten der Geheimdienste und der Satellitenüberwachung selten und unwahrscheinlicher denn je.

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