Christian Kerns Abschiedsrede genau seziert und bewertet

Das Echo der FakeNewspapers auf Kerns Rückzug war ziemlich vernichtend: "Der gescheiterte Hoffnungsträger", "Kern schmeisst alles hin", etc. Aber es heisst nicht umsonst "Lügen wie gedruckt", und nicht umsonst textete Fritz Grünbaum vor 90 Jahren oder so über Journalisten: "Man kann, wenn sie Bericht erstatten, genau, wer sie besticht, erraten."

Doch zum eigentlichen Thema, der Kern-Rede, die im wie immer unbrauchbar kurzen ORF-Archiv nur sieben Tage abrufbar sein wird:

https://tvthek.orf.at/profile/Pressekonferenz-Erklaerung-von-Christian-Kern/13889614/Pressekonferenz-Erklaerung-von-Christian-Kern/13991264?meta=suggestion-episode&query=Kern&pos=0

In Minute 0:30 bis widmete sich Kern, dem, was er die "Schlacht der Schlachten" nannte (eine für die Neutralitätspartei SPÖ sehr militaristische Formulierung), dem Kampf gegen den Rechtspopulismus, der laut Kern Europa zerstören wolle (dass die anti-europäische Haltung Populismus und Wählerfang sein könnte ohne ernsthafte EU-Zerstörungsabsicht, erwägt Kern nicht, zumindest nicht öffentlich)

Ab Minute 3:00 kritisiert Kern die Posten-, Personen- und "Wer mit wem ?"-Fixiertheit der Medien und damit auch der Medienkonsumenten. Durchaus zu recht.

Er äußert auch einen Rücktrittsgrund, der in den Medien unterbelichtet war, dass Kern bzw. die Situation eine Belastung für die neue Parteichefin Rendi-Wagner sein könnte.

Da Kern in einer Art Putsch gegen den Wiener Bürgermeister Häupl dessen Laufburschen Faymann gestürzt hatte, war von Anfang eine heikle Situation, die nur unwahrscheinlich zu einem guten Abschluss gebracht werden konnte, was aber kein Argument gegen Kern sein soll. Die Phase der Häupl-Laufburschen im Kanzleramt beendet zu haben, ist sicherlich ein historisches Verdienst von Kern, egal, was so manches SPÖ-Mitglied denken mag.

Kern rühmte sich eines großen Erfolgs, die SPÖ zu einem Stimmenzuwachs bei der Nationalratswahl geführt zu haben. Allerdings verschwieg er, das das teilweise auf Kosten der Grünen passierte, dass erstmals in der Zweiten Republik Rot-Grün keine Sperrminderheit / Verfassungsminderheit mehr hat.

Auch die Tatsache, dass dem geringen Stimmengewinn eine unveränderte Situation bei den Stimmenanteilen entgegenstand, wegen Anstiegs der Wahlbeteiligung um 5.1%, verschwieg Kern.

Ab Minute 9:20 spricht Kern dann davon, dass es das Ziel der SPÖ sein müsse Koalitionen zwischen "Rechtskonservativen" und "Rechtsextremen" zu verhindern. Der Hauptgrund, warum insbesodnere die Wiener SPÖ / Häupl eine schwarz-blaue Koalition auf Bundesebene ebenso wie einen z.B. steirischen SPÖ-Kanzler (z.B. Franz Voves) stets verhindern wollte, war, dass dann Wien den privilegierten Zugriff auf Bundes-Finanzausgleichsgelder verloren hätte.

Damit zitiert Kern ein Thema, bzw. eine Studie, die sein Kanzler- und Parteivorsitzenden-Vorvorgänger Alfred Gusenbauer so um 2001 geschrieben hatte, und die eigentlich sehr problematisch bis totalitär ist: wieso soll eine 30%-Partei alleine bestimmen, welche Koalition ein Land hat ? Denn genauso, wie es das Recht auf Nichteinmischung in die inneren Angelegenheit anderer Staaten gab, bzw. gibt (es hat im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren, hat aber immer noch eine gewisse), genauso gibt es auch das Recht auf Nichteinmischung in Innere Angelegenheiten anderer Parteien, und die Koalitionsentscheidung gehört zu diesen. Solange es der SPÖ gelang, die FPÖ als "rechtsextrem" und "faschistisch" zu stigmatisieren, war sie unabwählbar, was erstens im Widerspruch zu zahlreichen Demokratietheorien steht (nicht zuletzt der Karl Poppers), aber auch zu Korruption führt. Man könnte auch umgekehrt argumentieren, die Faschimusvorwürfe der SPÖ Richtung FPÖ steigerten die Korruption innerhalb der SPÖ und vertuschten diese gleichzeitig, weil die angeblich faschistisch-diktatorische Zukunft, die Österreich laut SPÖ drohe, die SPÖ-Korruption als geringeres Übel erschienen liess. Und wenn die Wahl zwischen möglichem blauen Faschismus in der Zukunft und roter Korruption in der Gegenwart bestand, dann entschieden sich eben viele für die rote Korruption.

Die Faschismushysterie erhöhte auch in weiten Kreisen der Bevölkerung die Politikverdrossenheit, führte dazu, das Themen wie "Wie faschistisch wird die FPÖ in 10 Jahren sein, wenn sie regiert ?" die politischen Zeitungen und Magazine füllte; und dies obwohl derartige Zukunftsfragen von Natur aus unbeantwortbar sind, weil sie in der Zukunft liegen. Aber diese Fragen dienten auch gar nicht dazu, beantwortet zu werden, sondern sie dienten nur dazu, Angst und Hass zu schüren, wobei es ja ein Glück ist, dass es deswegen in Österreich keine Attentate wie das auf den holländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn gegeben hatte.

Kern verwendete auch den Begriff des "demokratischen Sozialismus", der oftmals als Synonym für DDR oder Kommunismus verwendet wurde. Ein ungarischer Autor meinte einmal zu Zeiten des Ostblockkommunismus, "sozialistisch" sei ein Negator, eine Verneinung, und der Begriff "sozialistische Demokratie" bedeute eben "keine Demokratie".

Das Seltsame bei Christian Kern ist, das er während seiner Amtszeit niemals erklärte, das Ziel der SPÖ müsse sein, Koalitionen zwischen Rechtskonservativen und Rechtsextremisten zu verhindern, aber zum Abgang schon. Falls jemand über eine originelle Erklärungsmöglichkeit dafür verfügt, so bitte ich ihn, diese im Kommentarbereich zu deponieren.

Ab 11:40 dreht sich Kerns Rede um Berufspolitik. Gerade bei Kern, der immer im politischen Bereich war, aber nicht unbedingt im politischen Bereich im engeren Sinn, irgendwie kurios. Kern begann im VSStÖ, in SPÖ-nahen Medien, und wechselte dann zur ebenfalls sehr politischen ÖBB, die ein Staatsunternehmen ist.

Auch Kerns Formulierung "Einen guten Roten erkennt man im Abgang" kann man als Anspielung auf Alfred Gusenbauer verstehen, dem man den Ärger, frühzeitig abgelöst zu werden, ansah; oder auch auf den deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der beim fliegenden Wechsel 1982 von einer SPD-FDP-Koalition zu einer CDU-CSU-FDP-Koalition einen extrem würdevollen Abgang lieferte, auch deswegen, weil er selbst in mancherlei Hinsicht (z.B. der Nato- und der NATO-Nachrüstungsfrage) besser zur CDU gepasst hätte als zur SPD, deren Mitglied er eigentlich war.

Rechte Sozialdemokraten sind einfach demokratischer als linke.

Alles in Allem bleibe ich bei meiner Einschätzung: historisch gesehen ist Kern positiv zu bewerten, weil er die SPÖ demokratisierte und in die Mitte rückte, weil er die Parteiapparatschiks im engeren Sinn aus der Parteiführung verdrängte und neue Leute brachte und die Türen für neue Leute öffnete. Die "Zehn Jahre"-Bleibefrist, von der Kern sprach, war nach dem Putsch gegen Faymann eigentlich sowieso nie realistisch, allerdings kann ich mich nicht erinnern, in irgendeinem der historisch nicht besonders beschlagenen Medien Österreichs bei Kerns Machtergreifung den Spruch "Der Königsmörder kann niemals König werden" gelesen zu haben. Dazu war die SPÖ insbesondere im roten Wien dann doch zu mächtig.

Auch Kerns Position "Manchmal ist man Passagier" bricht mit dem überhöhten Machtpathos, das viele Politiker vor sich hertragen.

Alles in Allem sehe ich Kern als positiv, und - so schräg das auch erscheinen mag - er (und jeder andere auch) hätte wahrscheinlich nicht viel besser machen können. Was mich interessieren würde, ist die Frage, ob er selbst das weiss.

Wenn man eine Partei so übernimmt wie Kern, dann muss man damit rechnen, dass sie einen abwirft wie ein nie zugerittenes Pferd beim Rodeo. Was aber kein Argument gegen Rodeo oder gegen Parteikaperungen a la Kern sein soll.

Gerade als ehemaliges Mitglied der Piratenpartei habe ich Verständnis und Sympathie für piratische Kaperungen, und überlege deswegen, Kern zum Piraten ehrenhalber zu erklären, wegen der Art und Weise, wie er die SPÖ übernahm.

CC0 / zug.gem. Bergadder https://pixabay.com/de/fahrer-pferd-reiten-tradition-616709/

Beim Rodeo ist es ganz normal, abgeworfen zu werden. Gewinnen beim Rodeo tut der, der sich am längsten im Sattel hält.

Politik ist natürlich ein bisschen wie Rodeo, und das Abgeworfenwerden gehört in vielen Situationen dazu.

Rendi-Wagner kann sich glücklich schätzen, dass Kern mit seiner männlichen "No risk, no fun"-Einstellung das Risiko, die SPÖ für etwas Neues zuzureiten, übernommen hat, und damit auch das Risiko, abgeworfen zu werden.

Damit will ich - im Gegensatz zu Österreichs FakeNewspapers - sagen: Kern war sehr erfolgreich. Wenn man von Vornherein miteinberechnet, was überhaupt erreichbar war.

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