2014 war die sogenannte "Annexion" der Halbinsel Krim durch Russland, die die USA und die EU mit den Russland-Sanktionen beantworteten, die Putin stürzen sollten.

Allerdings sind seit der deutschen Bundestagswahl neulich alle Sanktionisten Geschichte, neben Hollande (Frankreich), Cameron (Großbritannien), Obama (USA) nun auch Merkel (Deutschland), hingegen Putin ist noch immer da, so, als wären da nie Sanktionen gewesen, deren halbausgesprochenes Ziel es war, Putin zu stürzen.

Und diese Sanktionspolitik stand auch von Anfang an auf tönernen Füßen, denn diese Halbinsel Krim war bis in die 1950er Jahre Teil Russlands gewesen, und damals von Sowjetdiktator Chrushtschow diktatorisch und ohne Volksabstimmung, anders, als es das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Rahmen der UN-Charta vorsehen würde, an die Ukraine übertragen. Aus welchem Grund auch immer: der offizielle Grund dafür war, dass der Bau einer Eisenbahnlinie, die Ukraine und Krim verbindet, leichter wäre, wenn die Krim Teil der Ukraine wäre, was nicht sehr plausibel ist, wenn man bedenkt, dass immer die Sowjetebene die dominante Ebene war.

Viel eher ist plausibel, etwas anderes als Gründe für diese Übertragung zu vermuten, z.B. dass der Ukrainer Chruschtschow der Ukraine eine Wiedergutmachung für den Stalin-Terror und insbesondere den Holodomor, eine von Stalin angeordnete Hungersnot in der West-Ukraine, verschaffen wollte.

Oder dass der Ukrainer Chrschtschow die Dominanz der russischen SSR (Sozialistische Sowjetrepublik) innerhalb der Sowjetunion schwächen wollte.

Auf jeden Fall haben diese beiden Argumente nur oder eher Gültigkeit und Stimmigkeit, solange die Sowjetunion existiert, aber sie verlieren diese Stimmigkeit, wenn die Sowjetunion aufgelöst wird, und Ukraine und Russland voneinander unabhängige Staaten werden, womit sich die Frage der Clausula Rebus sic Stantibus aus dem Vertragsrecht stellt: diese bedeutet, dass Verträge nur solange Gültigkeit behalten, solange die Vertragsgrundlage intakt ist. Wenn man nun Chruschtschows Übertragung der Krim von Russland an die Ukraine als auf der Sowjetunion als Vertragsgrundlage aufbauend betrachtet, dann würde diese clausula (Klausel, dass sich nichts ändert) nur solange gelten, solange sich an der Existenz der Sowjetunion nicht ändert.

Dann wären aber die Sanktionisten (also USA und EU) die Rechtsbrecher, weil sie diese Änderung der Vertragsgrundlage ignorierten und Putin der Wiederhersteller des Rechts.

Dass diese "Wiederherstellung" des früheren Status der Krim als Teil Russland mit Einsatz des Militärs erfolgte, widerspricht zwar der ukrainischen Verfassung, die Putin aber nicht bindet.

Dass die Volksabstimmung, die Putin auf der Krim veranstalten liess, ohne internationale Beobachtung erfolgte, ist zwar ein Schönheitsfehler, aber es ist sehr fraglich, ob diese Abstimmung wesentlich anders ausgegangen wäre, wenn es internationale Beobachtung gegeben hätte.

Auf der anderen Seite ist der Herrschaftsstil Putins in vielerlei Hinsicht problematisch, und er betreibt auch aussenpolitisch eine Politik, die vielfach bei Kleinstaatlern (wie ich es als Österreicher bin) auf Widerwillen stösst und stossen muss.

Und letztlich hat fast der gesamte Westen, also z.B. alle EU-Staaten mit Ausnahme Spaniens, durch die Abspaltung des Kosovo von Serbien (1999 administrativ, 2006 mit diplomatischer Anerkennung) Putin - egal, ob absichtlich oder nicht, eine Vorlage und Rechtfertigung und einen Präzedenzfall für die Abspaltung der Krim geliefert. Worauf zahlreiche Völkerrechtler schon frühzeitig hinwiesen (wie Nolte 2006 in der FAZ), deren Warnungen aber ignoriert wurden. Wenn die Politik das Recht ignoriert, dann scheitert sie eben oft, oder bewirkt das Gegenteil des politisch Beabsichtigten.

Aber dennoch sind seine bzw. Russlands Argumente in Bezug auf die Krim sehr stark, und es ist sehr fraglich, ob ein Nachfolger Putins als russischer Präsident eine wesentlich andere Krim-Politik betreiben wird als Putin.

So bleibt letztlich nur die Erkenntnis, dass es wenig bis nichts bis Kontraproduktives (also das Gegenteil des Beabsichtigten) bringe, einen unangenehmen russischen Präsidenten durch einen derartigen "Trick" wegbekommen zu wollen.

Auch bleibt eine extreme Doppelmoral von USA und EU, die völkerrechtlich und menschenrechtlich viel problematischere Annexion Tibets durch China zu ignorieren, bzw. gutzuheissen, hingegen die weniger problematische "Annexion" der Krim derartig hochzuspielen. Die EU (und die USA) gefährden durch diese Doppelmoral ihren (früheren) Ruf, für Rechtsstaat zu stehen.

Allerdings gibt es auch in Russland konsensorientiertere Politiker, als Putin es ist, zum Beispiel Verteidigungsminister Schojgu, der eine Hauptstadtverlegung nach Osten vorschlug, auch, um einen Lösung des Ukraine-Konflikts wahrscheinlicher zu machen, denn aus Sicht einer zentralrussischen Stadt oder einer sibirischen Stadt wäre ein EU- oder NATO-Beitritt der (West-)Ukraine weit weniger bedrohlich als aus Sicht Moskaus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Krim

CC / NASA https://de.wikipedia.org/wiki/Krim#/media/Datei:Satellite_picture_of_Crimea,_Terra-MODIS,_05-16-2015.jpg

Satellitenfoto des Zankapfels Haibinsel Krim, mit der Ukraine im Norden und Russland im Osten. Die Krim-Sanktionen, die Putin hätten stürzen sollen, stürzten scheinbar eher die Sanktionisten Cameron, Hollande, Merkel und Obama, während Putin sich noch immer im Amt befindet, wenn auch auf problematische Art, z.B. durch Umgehung des früheren Artikels der Verfassung der russländischen Föderation, die die Amtszeit eines Präsidenten auf 2 Perioden begrenzte.

Auch die Machtzentrierung in Moskau bzw. in Putin widerspricht bis zu einem gewissen Grad dem föderalistischen Charakter der russländischen "Föderation", das alles sind Mängel, aber eher keine, die noch mangelhaftere Sanktionen rechtfertigen, weil derartige mangelhafte Sanktionen die Mängel Putins unabsichtlich verdecken können, womit wir wieder bei Johann Wolfgang von Goethe wären, der selbst politische Erfahrung in hoher Funktion hatte und einmal meinte: "Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut getan".

CC /Kremlin.ru https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Wladimirowitsch_Putin#/media/Datei:Vladimir_Putin_11-10-2020_(cropped).jpg

Russischer Präsident Vladimir Vladimirowitsch Putin: durch Krim-Sanktionen eher gestärkt als geschwächt, was die Frage aufwirft, ob die verschwundenen westlichen Sanktionisten (Hollande, Cameron, Merkel, Obama) alle von der "Torheit der Regierenden" (so Historikerin Barbara Tuchman) beherrscht waren, als sie die Krim-Sanktionen ersannen, die Putin stürzen sollten, aber eher das Gegenteil bewirkten.

Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD, 1974-1982 Kanzler) verglich die Krim-Politik insbesondere der westlichen Staaten mit dem, was im Buch "Die Schlafwandler" von Christopher Clark beschrieben wird, als die europäischen politischen Eliten aus Ignoranz und Ahnungslosigkeit in einen Weltkrieg schlitterten (den ersten), der völlig anders verlief, als sie sich das gedacht hatten.

Im Prinzip hatte der Ablauf der "Krim-Abstimmung 2014" durchaus einen Haken: bei korrekter Durchführung des Referendums (also bei geringerer oder keiner Indoktrination) auf der Krim hätte sich möglicherweise ein anderes, niedrigeres Ergebnis für den Anschluss an Russland ergeben, das möglicherweise je nach Art in eine Teilung der Krim zwischen Russland und Ukraine hätte münden müssen. Zumindest gibt es einige Präzedenzfälle diesbezüglich wie zum Beispiel die Teilung Schlesiens 1919 nach Abstimmung.

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philip.blake

philip.blake bewertete diesen Eintrag 21.12.2021 22:51:57

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