Da die FPÖ und ihr Teil, die Identitären, "gute" Chancen hat auf Regierungsbeteiligung und Kanzlerschaft in Österreich, wäre es vielleicht einmal Zeit, ihre Ideologie unter die Lupe zu nehmen.

Zum Beispiel betrachten die Identitären die antiken Spartaner als Vorbild und Inspiration.

Dabei verschweigen sie aber sehr wesentliche Aspekte:

wegen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen ist es heute für Rechtsextremisten (wie die Identitären?) praktisch unmöglich, sich auf die Naziideologie und ihre rassistische Unterscheidung (zwischen "arischen", deutschen "Übermenschen" und sonstigen, z.B. slawischen "Untermenschen" ) zu berufen.

Ein den Identitären "willkommenes" Ausweichmanöver ist die Berufung auf die ganz ähnliche spartanische Unterscheidung zwischen "spartanischen-vollbürgerlichen" "Übermenschen" und "helotisch-sklavischen" "Untermenschen".

Während die Identitären die antik-spartanische Gesellschaft verfälschend als harmonisch, geschlossen und so gesehen dem "Volkskörper"-Ideal der Nazi-Ideologie entsprechend darstellten, war die wirkliche spartanische Gesellschaft von damals (Blütezeit der spartanischen Kultur 6. bis 2. vorchristliches Jahrhundert) eine äußerst grausame: die Spaltung dieser Gesellschaft in diktatorisch-herrschende spartanische Oberklasse und helotisch-sklavische Unterklasse beinhielt immer die Gefahr eines Sklavenaufstands und einer Revolte, die von Teilen der spartanischen Gesellschaft aus ihrer Sicht systematischen Mord an vielen revolutions-verdächtigen helotischen Sklaven (ganz im Sinn eder freiheitlichen "Präventivstrafe" ?) "erforderte".

Während die Identitären die Spartaner als wehrhaft darstellten, war es in vielerlei Hinsicht anders: erstens einmal war die peloponnesische Halbinsel (mit der Zentralstadt Sparta) praktisch durch das umgebende Meer verteidigt, und einzig durch eine relativ kleine Landenge erreichbar. So gesehen gab es kaum Notwendigkeiten, Sparta und Peloponnes zu verteidigen, weil meistens andere griechsiche Stadtstaaten von Norden einfallende Perserarmeen aufhielten und stoppten. So gesehen ähnelt Österreich, das gar keine Armee braucht, weil es von einem NATO-Schutzschirm geschützt wird, dem damaligen Sparta, das eigentlich auch praktisch keine Armee brauchte, weil die anderen griechischen Stadtstaaten, die viel perser-näher waren, meistens die Verteidigung gegen die Perserarmeen übernahmen, während die Spartaner sich einer gemeinsamen griechischen Solidarität verweigerten, ebenso, wie sich Österreich nach dem Verständnis der freiheitlich-überflüssigen "Festung" ebenso glauben solle, sich der gemeinsamen europäischen Solidarität verweigern zu können. Die Sicherheitsschmarotzermentalität/ Trittbrettfahrermentalität, die Österreich nach dem FPÖ-Verständnis haben sollte, wiederspiegelt sich auch im Verständnis der Spartaner. Die Spartaner - waren entgegen der Wehrfähigkeits-Propaganda der Identitären - die einzigen unter den griechischen Stadtstaaten, die sich weigerten, sich an der allgriechischen Bestrebung, die persische Bedrohung (damals Xerxes) unter der Führung des Makedonierkönigs Alexander auszuschalten, zu beteiligen. Generell galten die Spartaner - ganz entgegen der identitären Geschichtsverfälschung - (ähnlich wie die FPÖ?) als "unsolidarische Arschlöcher", die sich falls überhaupt, erst sehr spät an den früheren Perserkriegen beteiligt hatten, nachdem die Perserarmeen zahlreiche nicht-spartanische, griechische Stadtstaaten zerstört hatten.

Eben dieser starke klassentrennende Charakter der spartanischen Gesellschaft widerspiegelte sich auch in den Militäraktionen: so befahlen die spartanischen Oberschichtler ihren peloponnesischen Verbündeten/Unterworfenen oder den eigenen helotischen Sklaven, Leute zum Militärdienst aus Bündniszwängen für verbündete andere griechische Stadtstaaten zu entsenden, weigerten sich aber als privilegierte Oberschichtler, selbst derartige Militärdienste zu erfüllen, ganz im Gegensatz zur Identitären-Propaganda.

Diese Politik der Militärdienstverweigerung der privilegierten spartanischen Oberschicht war sowohl innen- als auch aussenpolitisch eine schwere Belastug der Beziehungen. So dürften auch zahlreiche Fälle des "Verrats", dass also Einzelne (egal, ob Spartaner oder Verbündete) wegen der Unzufriedenheit mit der Politik der spartanischen Oberschicht Standort und Verwundbarkeiten spartanischer Armeen an den "Feind" verrieten. Die Identitären vertuschen "natürlich", dass die spartanische Oberschicht sich durch ihren Zynismus und ihre Verlogenheit sich vermutlich zahlreiche Fälle des Verrats einhandelten. Diese hohe Menge an Verrat vermutlich wegen der Ungerechtigkeiten der spartanischen Gesellschaften ist auch ein Aspekt, der von der identitären Propaganda vertuscht wird.

Anders, als die Identitären behaupten, hatten die Spartaner praktisch kein militärisches Training, kein Waffentraining, sondern die spartanische Quasi-"Wehrpflicht" war ausschliesslich ein Fitnesstraining, das auch für viele andere Zwecke verwendbar war, zum Beispiel dafür, in Hinsicht auf Heirat attraktiver zu werden.

Dieses Fitnesstraining galt übrigens für beide Geschlechter, und Spartanerinnen waren oft erfolgreich bei den Olympischen Spielen und erreichten so oft Goldmedaillen.

Anders, als die Identitären behaupten, waren die spartanische Gesellschaft kein klares Patriarchat. Natürlich entsprachen alle griechischen Stadtstaaten von damals nicht den heutigen Standards von Frauenrechten, aber in Sparta hatten spartanische Vollbürgerinnnen mehr Rechte als in den meisten oder allen anderen altgriechischen Stadtstaaten: so dürften vollbürgerliche Spartanerinnen Vermögen besitzen, Gutshöfe besitzen und als Gutsverwalterin, also quasi als Firmenchefin, arbeiten, was sie sonst fast nirgends durften. Natürlich wurde von ihnen gesellschaftlich erwartet, dass das nur ein Übergangsstadium ist, bis zur Heirat und bis zur Übergabe des Gutes an den männlichen Ehemann, zumindest als Verwalter, aber in vielen anderen altgriechischen Stadtstaaten hatten Frauen/Vollbürgerinnen dieses Recht/Übergangsrecht nicht.

Auch diese von den Identitären vertuschten Frauenrechte im antiken Sparta widerspricht dem heutigen FPÖ-Trend zur bei den Regierungsverhandlungen von der FPÖ verlangten "Herdprämie", der die Frauen in Dschihadisten- und Islamistenmanier in die Rolle als Mutter und Kindererzieherin zwingen will.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Sparta und Athen war auch der des Herrschaftssystems: Sparta hatte (für vollbürgerliche Männer) wesentlich mehr diktatorische Aspekte, hingegen Athen mehr demokratische Aspekte und mehr Freiheitsaspekte: eben deswegen florierten in Athen Kultur, Wissenschaft, Erfindungen und Rhetorik, während Sparta auf den ersten Blick geschlossener und harmonischer aussah, wobei aber der langfristig erfindungshemmende Aspekt des diktatorischeren spartanischen Herrschaftssystems von den Identitären konsequent vertuscht wird.

Jacques-Louis David-Gemälde ca. 1810

Hier ein Gemälde von Jacques-Louis David von ca. 1800, das den Spartanerkönig Leonidas und seine Armee kurz vor der Schlacht bei den Thermopylen darstellen soll, aber vielfach verfälschend ist. Natürlich nutzten die Spartaner Lederrüstungen oder Metallrüstungen, aber in der europäischen oder US-amerikanischen Populärkultur hält sich nachhaltig die falsche Behauptung, die Spartaner hätten damals lediglich mit roten Togas bekleidet gekämpft. Diese Falschdarstellung beeinflusste auch US-Comics und über diese den Hollywood-Film "300".

Diese Darstellung ist aber auf verkehrte Art trotzdem wieder richtig: denn sie widerspiegelt die in der spartanischen Gesellschaft weit verbreitete Homosexualität, insbesondere männliche Homosexualität, die von der heutigen FPÖ bzw. den Identitären scharf abgelehnt wird - auch hier wieder ein Widerspruch. Die Homosexualitätsfrage spielte übrigens auch eine Rolle bei der Spaltung in schwulenfeindliche FPÖ und schwulenfreundliches/bisexuellenfreundliches BZÖ rund um Jörg Haider, Gerald Grosz und Stefan Petzner.

Da die Spartaner politisch mächtig waren, viel mächtiger als ihre Unterworfenen und ihre Sklaven, prägten sie das Bild, diese 300 Spartaner und ihr selbstloses Opfer hätten die Schlacht bei den Thermopylen entschieden. Dabei wird aber verschwiegen, dass peloponnesische Unterworfene und helotische Sklaven sich auch mit 700 Mann beteiligten, ebenso wie die Beteiligung anderer griechischer Stadtsaaten verschwiegen wird, mit vielen tausenden Mann.

Außerdem war diese Schlacht nur eine Schlacht in den zahlreichen Schlachten mit den Persern in den Perserkriegen, und keineswegs eine entscheidende. Bei den entscheidenden alexandrinischen Perserkriegen beteiligten sich die Spartaner nicht.

Und die Spartaner, bzw. die spartanische Oberschicht, verwendeten oft zahlreiche Ausreden und Vorwände, um nicht an all-griechischen Bündnispflichten zu erfüllen, zum Beispiel religiöse Feiertage als Gründe, Bündnispflichten brechen zu dürfen.

So ähnlich, wie die FPÖ die (vermutlich längst schon hinfällige) Neutralität als Ausrede dafür verwendet, sich nicht an Bündnispflichten im Rahmen der EU-Verträge zu beteiligen.

Dieser Bruch der europäischen Verträge war für die FPÖ wahltaktisch sehr "erfolgreich" - Populismus gewinnt, und zahlreiche Leute wählen gerne das schön-Klingende, selbst das schön-klingende Unrealistische.

Hier ein paar Videos mit dem holländisch-britischen Antik-Militärhistoriker Roel Konijnendijk, der sich als Professor an verschiedenen Unis (Leiden, Oxford, Lincoln) mit der altgriechischen Militärgeschichte und den Verfälschungen in der Populärkultur beschäftigt. Diese weit verbreiteten Verfälschung bei der weit enfernten antiken Geschichte sind vielleicht sogar bis zu einem gewissen Grad ein mildernder Umstand für die Lügen und Verfälschungen der FPÖ bzw. der Identitären in Bezug auf die Geschichte der Spartaner.

Ich kann der prinzipiellen Kritik an der Populärkultur nur zustimmen, auch zahlreiche Hollywood-Filme zur "Meuterei auf der Bounty", zum Beispiel, waren/sind krass fehlerhaft und wiederspiegeln oft eher einer der damailgen Propagandversionen, aber nicht der historischen Wahrheit.

Über längst tote historische Persönlichkeiten, die sich nicht mehr wehren können, kann man natürlich besonders leicht Lügen und Verfälschungen verbreiten.

Meistens sind es die Propagandalügen der Oberschicht, die sich in der Populärkultur wiederspiegeln, ganz einfach, weil die Oberschicht mehr Macht hatte, ihre Lügen und ihre Propagandaversion durchzusetzen.

Gerade wegen Musks/Zuckerbergs "Ermordung" der Faktenchecker ist ja wieder einmal eine Debatte losgebrochen, ob ein Schwarm an ahnungslosen Bloggern/Postern einen Fortschritt oder einen Rückschritt in Hinsicht auf mehr Lügen in sozialen/asozialen Medien darstellt.

Mein Kommentar dazu: seit meiner Mitgliedschaft in der Piratenpartei glaube ich nicht mehr an "Schwarmintelligenz", solndern eher an "Schwarmdummheit" und den Dunning-Kruger-Effekt, die Tendenz dummer Leute, ihre eigene Dummheit nicht erkennen zu können. Ich glaube viel mehr an einzelne Experten. Und bei der Auswahl dieser bin ich ziemlich anspruchsvoll und eklektisch.

Apropos Musk: ich halte es für möglich, dass Musks Hitler-Gruß oder seine hitler-gruß-ähnliche Geste folgenden Hintergrund haben könnte:

nach seinem Gespräch mit Alice Weidel ist er vielleicht draufgekommen, bzw. wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass er Alice Weidel zahlreiche Lügen und Falschdarstellungen kritiklos durchgehen liess (weil er sich eben sein ganzes Leben lang mit Wirtschaft und Technik beschäftigt hat und nicht mit Politik und Geschichte), und um diesen seinen Fehler zu korrigieren, könnte er den Hitlergruß gemacht haben, um nachträglich Alice Weidels nazinahe Tendenzen in dem Gespräch mit ihm zu kritisieren. Man kann Musks Hitlergruß auch so sehen, dass er eigentlich nichts von Schwarmintelligenz hält (auch wenn er sie aus populistischen und geschäftemacherischen Gründen zu befürworten scheint) und eben wegen des Fehlens der Schwarmintelligenz manchmal zum Kunstgriff des Hitlergrusses (bzw. der hitlergrussähnlichen Geste) greifen "muss".

Peloponnesische Halbinsel, in deren Zentrum Sparta lag/liegt.

Wiki-Artikel zur Schlacht bei den Thermopylen, um die´s im Film "300" geht

Wiki-Artikel zum Film "300"

Comic-Vorlage zu "300"

Englisch-Wiki zu Konijnendijk

(Konijnendijk ist im deutschsprachigen Raum derart unbekannt, dass er nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag hat, sondern nur einen Englischsprachigen, frei nach dem Motto "The Truth is not available in your language", "Die Wahrheit ist nicht erhältlich in Deiner Sprache". Wie soll man von einem Schwarm, der sich nur auf irreführende deutschsprachige Fake-News bezieht, aber sich weigert, die oftmals besseren englischsprachigen Infos wahrzunehmen, sowas wie Wahrheit erwarten können? )

Alfred Hitchcock (verstorbener Hollywood-Filmregisseur), sagte mal, auf fehler in seinen Filmen angesprochen: "Es ist ja bloß ein Film".

Es ist fraglich, ob man es sich so einfach machen kann: Filme und Populärkultur prägen oft das Denken der Menschen. Und die Fehler und Irrtümer des "Schwarms".

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