Die sogenannte Bürgerbefragung zum Parkpickerl in Döbling endete mit einer (knappen) Mehrheit gegen das Parkpickerl. Allerdings waren die Umstände dieser sogenannten Bürgerbefragung derart fragwürdig, dass sich die Frage stellt, ob man sie überhaupt gelten lassen soll.
Aus mehreren Gründen:
1.) Die Wahlbeteiligung war mit 55% relativ gering. Ca. 31.000 Bürger beteiligten sich an der Befragung, bei ca. 56.000 Wahlberechtigten und 71.600 Bürgern.
2.) Das Timing der Bürgerbefragung war unsinnig und das aus mehreren Gründen: sowohl aus finanziellen (Bürokratie und Abwicklung) als auch aus Gründen der Befragungsbeteiligung und der zeitlichen Nähe zu den Präsidentschaftswahlen hätte die Bürgerbefragung mit der Bundespräsidentenwahl am Sonntag zusammengelegt werden sollen. Diese hypothetische Zusammenlegung hätte die Kosten gesenkt und die Befragungsbeteiligung erhöht (und damit möglicherweise auch das Ergebnis verändert).
3.) Das Ergebnis war knapp, mit 51.6% gegen 48.4% (15.943 gegen 14.938 Stimmen). Bei derartig knappen Ergebnissen ist eine konsensdemokratische Kompromißlösung manchmal besser.
4.) Ich weiß nicht, ob es Motivforschungsstudien zu dieser Befragung geben wird, aber wegen der Kleinheit schätze ich, eher nicht. Gerade das würde in einer Zeit, wo Ablehnungen bei direktdemokratischen Instrumenten aus anderen als den zur Debatte stehenden Gründen häufig sind, unter Umständen wichtig sein. So wie die damalige Zwentendorf-Abstimmung (die übrigens auch mit 50.x ausging) durch Kreiskys Rücktrittsankündigung überlagert wurde, genauso wie die Holländische Abstimmung zur Ukraine-Assoziierung durch Mogherinis "Der politische Islam gehört zu Europa" überlagert wurden, genauso wie die Brexit-Abstimmung durch die Zerstrittenheit zwischen britischem Premier und britischem Finanzminister überlagert wurde, genauso könnte die Parkpickerl-Döbling-Befragung überlagert worden sein durch den derzeitigen innerparteilichen Streit in der Wiener SPÖ, durch die Probleme der rot-grünen Stadtregierung in Bezug auf Gesundheitssystem, Finanzausgleich, etc. Auch könnte es eigentlich um die Frage gegangen sein, dass zahlreichen Bürgern die überlange Regierungszeit Häupls bzw. der Wiener SPÖ schon zum Hals raushängt, und weil die Wiener SPÖ und Häupl unabwählbar erscheinen und voller demokratischer Wechsel nicht stattfindet, ist eine Denkzettelabstimmung bei einer derartigen Bürgerbefragung möglicherweise für viele der einzige Weg, seinen Unmut zu äußern.
5.) Ein weiterer potenziell heikler Punkt ist immer die Fragestellung: in diesem Fall "Sind Sie für die Parkraumbewirtschaftung ?" Ein relativ technischer Begriff, der Populismusvorwurf, den manche Politiker erhoben, scheint in diesem Zusammenhang nicht gerechtfertigt. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Frage allgemein verstanden wurde. Und es stellt sich die Frage, ob es nicht korrekterweise hätte heissen müssen: "Sind Sie für die derzeit geltende Form der Parkraumbewirtschaftung ?"
6.) Gerade der Verkehr ist ein bezirksübergreifendes Thema. Ich konnte als Mariahilferstrassenbenutzer nicht an der Mariahilferstrassenbefragung teilnehmen, genauso konnten zahlreiche Währinger, für die Döbling als naheliegende Zone verkehrsmässig relevant ist, nicht an der Döbling-Befragung teilnehmen. Es stellt sich die Frage, ob man bei bezirksübergreifenden Themen überhaupt Abstimmungen und Befragungen machen können sollen darf, die nur einen Bezirk umfassen. Und es stellt sich dann auch die Frage der Konsensdemokratie. Wenn "verfeindete" Bezirksvorsteher, die gerade im seltsamen Wien ohne absolute Mehrheiten und ohne Koalitionsbildung entstehen können, die direkte Demokratie für ganz andere Zwecke instrumentalisieren (können), dann scheint die Sache irgendwie falsch zu laufen, aber der Slogan "Wien ist anders" trägt eben immer auch den Beigeschmack "Anders als demokratisch". Ich hatte diesbezüglich (Bezirke zu Gemeinden machen) eine VfGH-Klage am Laufen, die aber (rechtsanwaltlich?) verunglückt ist.
Was auch seltsam erscheint, ist, dass Bezirksvorsteher Tiller (VP) die Befragung schon im Vorfeld für bindend erklärte, und dass andere Parteien die Befragung und ihre Umstände im Vorfeld den Medienberichten nach (ich bin nicht Bezirks- oder Landesvertretungsmitglied, nachdem meine Parteibündnisbemühungen bei der letzten Wahl u.A. auf juristisch problematische Art und Weise gescheitert sind, daher kann ich keine Aussage aus eigener Beobachtung machen) nicht auf diese Weise kritisierten.
http://derstandard.at/2000048388887/Doeblinger-stimmen-gegen-Parkpickerl
http://diepresse.com/home/panorama/wien/5125993/Doblinger-stimmen-knapp-gegen-Parkpickerl
http://wien.orf.at/news/stories/2811382/
Alles in allem: das Ergebnis wundert mich nicht besonders. Bei derartig dubiosen Randbedingungen kann durchaus ein seltsames Ergebnis herauskommen.
Es fällt auf, dass öfter Frauen als Bildlichmachung von Verwirrung und Überraschung abgebildet werden. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass Frauen ehrlicher sind bzw. ehrlicher sein können als Männer, was das Zugeben der eigenen Überraschung betrifft.
Erst kürzlich sah ich ein Video zur US-Präsidentschaftswahl, in dem eine Frau die Wahl Trumps mit den Worten kommentierte "What the fuck is going on in the world?" Von einem Mann habe ich ähnliches nicht gesehen, vielleicht aufgrund von gesellschaftlichen Zwängen.
Allerdings hat zahlreichen Statistiken zufolge Trump bei den weissen Frauen, die man (sogar Trump) seit der letzten Wahl aus Gründen der politischen Korrektheit offensichtlich nicht mehr "weisse Frauen" nennen darf, sondern nur mehr "bestimmte Frauen" (was eine hohe Verwechslungsgefahr mit sich bringt), eine Mehrheit erzielt (52%), während Hillary Clinton mit 43% schwach abschnitt.
Übrigens war auch die Befragung zur Mariahilferstrasse problematisch. In der Verfassung gibt es Regelungen, dass z.B. Bezirks- oder Landesgrenzen nicht zerschnitten werden dürfen, dass also Bezirke oder Länder zur Gänze oder gar nicht enthalten sein müssen/dürfen in Wahlkreisen oder Abstimmungskreisen oder ähnlichem.
Wenn jemand unter Berufung auf dieses Argument eine Anfechtung der Befragung zur Mariahilferstrasse bei VfGH versucht hätte, wäre diese Befragung vielleicht für verfassungswidrig erklärt worden, ähnlich wie die Befragung zum Parkpickerl in Döbling.
Auf jeden Fall ist diese Befragung zum Parkpickerl in Döbling offensichtlich eine Bestätigung der These, dass praktisch niemals das Volk entscheidet, sondern es immer die politischen und medialen Eliten sind, die durch die Rahmenbedingunen, durch klitzekleine Details am Rande, durch Einflussnahmen, durch Ablenkungsmanöver und durch vieles andere mehr Volksabstimmungen und Volksbefragungen entscheiden.
Die Postdemokratie lässt grüßen !
§263 Strafgesetzbuch bietet interessanterweise nur die Möglichkeit, Wahltäuscher zu bestrafen, aber nicht die Möglichkeit, durch Wahltäuschung entstandene Ergebnisse aufzuheben. Allerdings stellt sich in der Praxis die Frage, ob Wahlen oder Volksabstimmungen ohne Wahltäuschung überhaupt möglich sind. Jedenfalls könnte z.B. der Verfassungsgerichtshof oder ein Demokratieüberwachungsorgan ein Urteil darüber fällen, ob symmetrisch viel gelogen und getäuscht wurde, oder unsymmetrisch viel. Symmetrisch viel Täuschung bei einer derartigen Ja/Nein-Abstimmung hiesse, dass eine Abstimmung als gültig betrachtet werden kann, wenn das Ja-Lager genausoviel (oder genausowenig) lügt und täuscht wie das Nein-Lager. Und §263 StGB gilt nur für Wahlen und Volksabstimmungen, aber offensichtlich nicht für Volksbefragungen. man kann das als Argument dafür sehen, dass Befragungen unverbindlich sein müssen. D.h. man könnte das Ergebnis möglicherweise dadurch anfechten, indem man geltend macht, dass Befragungen nicht für verbindlich erklärt werden dürfen, ohne dass der §263 StGB auf Befragungen erweitert wird. Eine derartige Anfechtung würde im Erfolgsfalle allerdings auch bedeuten, dass zahlreiche Für-Verbindlich-Erklärungen, die Politiker in der Vergangenheit verfassungswidrig waren, auch wenn diese Verfassungswidrigkeit erst im Nachhinein erkannt wurde.
Natürlich wäre der Machtzuwachs für ein derartiges Gremium problematisch, aber die Macht entsteht ja nicht neu; sie ist nur im Moment bei den Medien und Parteien, die im Falle des Verlustes dieser Macht an ein Demokratieüberwachungsgremium natürlich kräftig aufschreien würden. Und einen Riesenstreit über die Bestellungsmodalitäten eines derartigen Gremiums gäbe es natürlich.
Die Problematik der "erzeugten Mehrheiten" läuft in der Politikwissenschaft vielfach unter der Bezeichnung "manufactured majorities" im Gegensatz zu sozusagen "real majorities".