Über die Schwierigkeiten, eine handlungsfähige EU mit dem Einstimmigkeitsprinzip zu vereinbaren, wurde ja schon ausgiebig publiziert; dabei wurden drei Möglichkeiten erwogen: Einstimmigkeit, Mehrheitsprinzip, doppelte Mehrheit.

Beim Einstimmigkeitsprinzip hat jeder Staat ein Vetorecht, allerdings kmmen einstimmige Beschlüsse sehr selten zustande, wesbahl eine nach dem Einstimmigkeitsprinzip organisierte Union sher handlungsunfähig ist; andererseits hat das Einstimmigkeitsprinzip den Vorteil, dass sich kein Staat, insbesondere kein kleiner Staat überfahren fühlt, weil die großen Staaten wie z.B. Deutschland aufgrund ihrer Größe eher die Möglichkeit haben, für ihre Anliegen Mehrheiten zu finden.

Das Mehrheitsprinzip ist wiederum umgekehrt: Mehrheiten sind leichter zu erzielen als Einstimmigkeit, allerdings besteht beim Mehrheitsprinzip die Möglichkeit, dass kleinere Staaten sich entmündigt fühlen, wenn sie mehrfach in für sie wichtigen Fragen überstimmt werden; dies kann auch zum Ausscheiden aus der EU, also zu Brexit-ähnlichen Phänomenen führen.

Die doppelte Mehrheit bedeutet, dass nicht nur eine Mehrheit der EU-Abgeordneten, sondern auch eine Mehrheit der Staaten etwas befürworten muss. Dieses Prinzip liegt zwischen den beiden vorgenannten, aber eher beim Mehrheitsprinzip.

Gerade für die EU-Armee könnte man als neuen Vorschlag ein Individuen-Prinzip vorsehen; Entscheidungen über den Einsatz dieser Armee außerhalb der EU würden durch Mehrheitsbeschluss im EU-Parlament gefällt, aber an diesen nehmen nur diejenigen Soldaten und -innen teil, die daran teilnehmen wollen.

Mit anderen Worten: die Staaten verlieren das Recht, ihre Bürger davon abzuhalten, an einer EU-Militärintervention außerhalb der EU zu hindern, aber sie behalten das Recht, meinungsbildungsmäßig auf ihre Soldaten einzuwirken.

https://www.bundeswehr.de/de/ausruestung-technik-bundeswehr/landsysteme-bundeswehr/leopard-2

Deutscher Kampfpanzer Leopard

Eine Armee braucht eine gemeinsame Kommandosprache und in der EU gibt es vielfach die Konstellation, dass eine Sprache in mehreren Staaten gesprochen wird: französisch wird auch im belgischen Wallonien, holländisch von belgischen Flamen, Deutsch auch in Österreich und Südtirol gesprochen, BHS (Bosnisch-Kroatisch-Serbisch) in Südosteuropa.

Oft werden Individuen in Staaten mit interventionsablehnender Regierung daher die Möglichkeit haben, in ein gleichsprachiges Land mit interventionsbefürwortender Regierung zu wechseln.

Was würde das bedeuten für die österreichische Neutralität, falls sie noch existiert ? Die Regierung würde sich ja nach wie vor neutral verhalten dürfen, aber sie hat dennoch nicht das Recht, ihre Bürger zu hindern, sich an einer Intervention zu beteiligen.

Die Bezahlung von Soldaten bzw. -innen aus neutralen Ländern könnte, bzw. müsste über das EU-Budget erfolgen. Ähnliches könnte auch für andere interventionsablehnende Staaten erfolgen.

Zur Frage, ob die Neutralität existiert: erstens ist die Neutralität im österreichischen Neutralitätgesetz eine zweckgebundene; wenn der Zweck, die Souveränität zu garantieren, durch die Neutralität nicht mehr gewährleistet ist, hört die Neutralität auf zu existieren.

zweitens wurde die Verfassung geändert in Hinblick auf die Neutralität und wurde zur Neutralität im Geiste der UNO-Charta, was auch immer das heissen mag; man kann das so interpretieren, dass die Neutralität nicht mehr gilt, in Fällen, in denen die UNO-Charta eine unneutrale Handlung erfodern würde.

drittens stellt sich die Frage, ob nicht das EU-Beitrittsgesetz von 1995 als das neuere Gesetz das Neutralitätgesetz von 1955 derogiert und ungültig macht.

viertens war die österreichische 1955er-Neutralität eine Neutralität zwischen Westblock NATO und Ostblock Warschauer Pakt, aber mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der Sowjetunion und dem herumwachsen der NATO um Österreich herum ist der zweite Block weggefallen; ne-utral bedeutet "keines von beiden", aber wenn gar nicht mehr zwei Blöcke existieren, zwischen denen man ne-utral, als keines-von-beiden sein könnte, dann verliert auch die Neutralität ihren Sinn und ihren Inhalt.

fünftens war die österreichische Neutralität eine Neutralität zwischen Staaten in den 1950er Jahren, in denen die Säkularismusthese dominiert, also die These, dass die Religionen an Einfluss verlieren und die Staaten an Einfluss gewinnen. Aber durch die Rückkehr des Islam, der politisch ist bzw. sein muss, dessen Beginn man mit der Khomeini-"Revolution" im Iran 1979 ansetzen kann, scheint der umgekehrte Prozess einzusetzen: die Staaten verlieren an Bedeutung, die Kulturen bzw. Religionen gewinnen an Bedeutung, ganz im Sinne von Huntingtons "Clash of Civilisations", das im deutschen Sprachraum falsch, vielleicht absichtlich und denunziatorisch falsch übersetzt wurde zu "Krieg der Kulturen". Der Unterschied zwischen einem Krieg und einem Zusammenprall ist, dass der (altmodische) Krieg per Kriegserklärung eröffnet wird, während der Zusammenprall mehr oder weniger unvermeidlich passiert, ohne dass eine Kriegserklärung erfolgt.

Der Zusammenprall der Kulturen findet bereits statt, und es gibt auch keine Neutralität in diesem Zusammenprall. Der Koran besagt mit Sure 9,5 nicht, dass man die Ungläubigen töten soll, falls sie sich nicht für neutral erklären, sondern er sagt, dass man sie töten soll. Un damit eine Neutralität wirken kann, muss sie von allen Seiten anerkannt werden. Eine Neutralität, die nicht anerkannt wird, ist daher nur wenig wert und bietet keinen Schutz.

Die angebliche Neutralität Österreichs hat auch mich als damals in Östereich befindlichen österreichischen Staatsbürger nicht davor geschützt, ein Opfer dieses Zusammenpralls der Kulturen zu werden. Was man so interpretieren kann, dass die Neutralität seine Bedeutung verloren hat gemäß erstens.

Das Neutralitätsgesetz lautet wie folgt:

"Artikel I.

(1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

(2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.

Artikel II.

Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut."

P.S.: das Einstimmigkeitsprinzip kann auch zu inner-europäischen Shitstorms und Nazikeulen führen. Nach der Österreichwahl im Jahr 1999 und der sich anbahnenden schwarz-blauen Koalition Schüssel-Haider war die Situation so, dass 14 Links- oder Mitteregierungen einer einzigen rechten Regierung (nämlich der österreichischen) gegenübergestanden wäre.

Und in so einer Situation entstünde natürlich wieder durch das Einstimmigkeitsprinzip eine Blockade-Situation, die dann erst recht wieder die Entwicklung der EU blockiert. Und in so einer Situation ist fast verständlich, dass zahlreiche Linksregierungen micht Sanktionen und Nazi-Vorwürfen versuchten, die schwarz-blaue Regierung zu stürzen.

Man kann annehmen, dass die Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung nicht erfolgt wären, wenn es kein Einstimmigkeitsprinzip, sondern irgendetwas anderes gegeben hätte.

Das Einstimmigkeitsprinzip ermöglicht einem einzigen Kleinstaat, die ganze EU zu blockieren, aber die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass eben dieser einzige Kleinstaat, wenn er sich anschickt, die ganze EU zu blockieren, mit einem Shitstorm rechnen muss. Und die Anführer der Sanktionen war die sogenannte deutsch-französische Achse, die Regierungen Schröder-JoschkaFischer und Jospin.

P.S.: ich habe hier Ulrike Guerots "Republik Europa"-Prinzip, dem ich eigentlich relativ kritisch gegenüberstehe, auf einen der wenigen Bereiche übertragen, in dem ich es für sinnvoll halte, nämlich die Militäraussenpolitik.

Radikal voneinander abweichende Meinungen dürften auch weiterhin die EU dominieren und beim Einstimmigkeitsprinzip lahmlegen und handlungs- und entscheidungsunfähig machen. Im Irakkrieg war die Spaltung Europas die Folge, ca. die Hälfte der EU-Staaten nahm am Irakkrieg teil, die andere Hälfte nicht.

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