Es ist nur eine Vermutung: es erscheint unter normalen Bedingungen nur schwer vorstellbar, dass in den Vorbereitungsgesprächen zum jüngsten EU-Gipfel in Ventotene (mit Merkel, Renzi, Hollande) Merkel bzw. die deutsche Seite nicht auf eine Teilnahme der britischen Premierministerin Theresa May gedrängt haben sollte.
Merkel und May haben zahlreiche Gemeinsamkeiten: beide sind Frauen, beide sind Mitte-Rechts, beide sind protestantisch bzw. protestantisch beeinflußt, beide vertreten Nettozahlerstaaten bzw. "Nordstaaten".
Auch wenn das Brexit-Votum so ausging, wie es eben ausging, nämlich mit einem 52%-Votum für den Brexit, so ändert das nichts daran, dass britische Referenden unverbindlich sind, der Brexit noch nicht eingeleitet bzw. abgeschlossen ist, und Referenden in der Geschichte der EU schon oft wiederholt wurden.
Ob bzgl. May´s Nichtteilnahme ein Merkel-Hitler-Vergleich oder eine etwaige Merkel-Hitler-Vergleichsdrohung eine Rolle spielte, die sich insbesondere in Griechenland und der Türkei als eine Art Politikstandard entwickelt zu haben scheint, kann nicht ausgeschlossen werden. Shitstorms mit Hitlervergleichen können eine starke Wirkung erzeugen, vielleicht insbesondere auf Frauen. Dass Merkel die Hintergründe der May-Nicht-Teilnahme verschweigt, z.B. aus der Befürchtung heraus, ansonsten Hitler-Vergleiche zu provozieren und dadurch noch mehr von den eigentlichen Themen abzulenken, kann nicht ausgeschlossen werden.
(Wir Österreicher kennen Ähnliches zur Genüge: Waldheim sei Hitler gewesen bzw. wolle eine Nazidiktatur errichten, Haider sei Hitler gewesen bzw. wolle eine Nazidiktatur erreichten, etc.)
Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wären die britischen Sonderbedingungen in vielen Fragen des EU-Rechts. Aber die neue britische Premierministerin trägt dafür nur geringe Verantwortung, falls überhaupt. In der Vergangenheit waren die britischen Sonderbedingungen nie Grund für den Ausschluss (männlicher) britischer Premierminister. Was bliebe, ist etwaige aus Sicht der anderen Gipfelteilnehmer mangelhafte Distanzierung bzw. Nichtdistanzierung Mays von den britischen Sonderbedingungen. Da nach dem Brexit-Votum das britische "Cherry Picking" ausgiebig Thema war und von zahlreichen EU-Regierungschefs behandelt wurde, erscheint die Sache kein ausreichender Grund für einen Ausschluss Mays zu sein, selbst im Falle von Nichtdistanzierung bzw. mangelhafter Distanzierung.
Aber zurück zu den wie so oft intransparenten und hoffnungslos unteranalysierten Vorbereitungsgesprächen: die Wahrheit über derartige Vorbereitungsgespräche, in denen oft wichtige Fragen entschieden werden, erfahren oft selbst Historiker (und -innen) erst nach einer 30- bis 50-jährigen Sperrfrist, die Aktenzugang verwehrt.
Wie sollen Wähler und Wählerinnen sinnvoll mitentscheiden können, wenn ihnen derartig wichtige Fragen verschwiegen werden ? Welchen Sinn macht denn dann Demokratie überhaupt noch ? Und wie seien die angeblichen oder wirklichen "Despoten" dieser Welt (z.B. Putin) vor dem Hintergrund EU-interner Intransparenzen mit seltsamen bzw. problematischen Entscheidungsprozessen zu bewerten ?
"Und so sehen wir betroffen: der Blog war lang und alle Fragen blieben offen" (Frei nach Marcel Reich-Ranicki)
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