Brexit und Osterweiterungen stellten eine massive Ostverschiebung der EU dar, die aber in den Institutionen und Personalentscheidungen noch nicht angekommen ist.

Betrachtet man die vier wichtigsten Positionen, die nach der EU-Wahl zu vergeben waren/sind, so sieht es nach derzeitigem Stand so aus, als wäre es noch die EWG der sechs Grundungsmitglieder: Frankreich, Deutschland, Italien, Beneluxstaaten; eine Französin wird EZB-Chefin, eine Deutsche Kommissionspräsidentin, ein Belgier Ratspräsident und ein Italiener Parlamentspräsident. Die 21 Staaten, die nach 1960 der EWG/EG/EU beigetreten sind, bekommen von den Spitzenpositionen nach dem derzeitig favorisierten Paket genau gar nichts.

Dasselbe gibt auch für die sogenannten Spitzenkandidaten der Parteien bei der Wahl: ein Holländer, zwei Deutsche.

Somit sieht die Gleichberechtigungsthese einigermaßen fragwürdig aus.

CC / Dörrbecker / Alexrk2 https://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterung_der_Europ%C3%A4ischen_Union#/media/Datei:Karte_EU-Erweiterungen.png

Spitzenpositionen und Spitzenkandidaturen gehen fast ausschliesslich an die EU-6, also die Gründungsmitglieder, der einzige Spitzen-Posten, der bisher von einem Osteuropäer besetzt wurde, nämlich der Ratspräsident mit dem Polen Tusk, geht nun auch an einen Westeuropäer, nämlich den Belgier Michel.

So etwas kann zu Verwerfungen und Problemen führen.

Manche Osteuropäische EU-Abgeordnete sprechen bereits von einem neuen Kolonialismus der Westeuropäer mit den Osteuropäern als eine Art Sklaven.

Selbst, wenn man berücksichtigt, dass die EU-Gründungsmitglieder heute bevölkerungsreicher sind, so bleibt ein beträchtlich Unterschied: das durchschnittliche EU-Gründungsmitglied hat heute 39,7 Millionen Einwohner, während das durchschnittliche EU-Mitglied 18,5 Millionen Einwohner hat, und das durchschnittliche EU-Nicht-Gründungsmitglied 12,2 Millionen und das durchschnittliche EU-Nicht-Gründungsmitglied ohne Großbritannien 9.8 Millionen (Österreich hat also ziemlich genau die durchschnittliche Nicht-Gründsmitgliedgröße).

Betrachtet man die Zeit nach der vorletzten Erweiterungsrunde 2004 (danach kamen Rumänien, Bulgarien und Kroatien dazu), so waren die EU-Kommissionspräsidenten Prodi (Italien, 1999-Ende 2004), Barroso (Portugal, 2004-2014), Juncker(Luxemburg, 2014-2019) und designiert Von der Leyen (Deutschland, 2019-) .

Davon ist nur Portugal kein Gründungsmitglied, aber als Vertreterin des romanischen Sprachraums, dem auch Spanien, Italien, Frankreich und Rumänien angehören, Vertreter eines Gründungssprachraums.

Ein Vertreter der slawischen Gruppe war nie Kommiisionspräsident, aber wie gesagt Tusk als Pole war einmal Ratspräsident.

Betrachtet man den Posten des EU-Parlamentspräsidenten seit 1999, so ergibt sich ein ähnliche Bild und eine ähnliche Westdominanz:

1997-1999: Gil-Robles (Spanien)

1999-2002: Fontaine (Frankreich)

2002-2004: Cox (Irland)

2004-2007: Fintelles (Spanien)

2007-2009: Pöttering (Deutschland)

2009-2012: Buzek (Polen)

2012-2014: Schulz (Deutschland)

2014: Pitella (Italien)

2014-2017: Schulz (Deutschland)

2017-2019: Tajani (Italien)

2019: Sassoli (Italien)

Auch hier wieder ein klares Bild der Westdominanz und der Unterrepräsentation der neu hinzugekommenen: lediglich Polen als größtes neu hinzugekommenes Land stellte einmal den Parlamentspräsidenten.

Die mittel- und osteuropäischen Nichtgründungsmitglieder Dänemark, Schweden, Finnland, Lettland, Litauen, Estland, Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Kroatien, Malta, Zypern stellen in Summe 98,3 Millionen Einwohner und sind damit bevölkerungsreicher als das bevölkerungsreichste Mitgliedsland Deutschland mit 83 Millionen; dennoch stellte kein einziger dieser Staaten jemals einen Kommissionspräsidenten, Parlamentspräsidenten oder Ratspräsidenten. Die Dominanz der großen, der westlichen, bzw. der nicht-slawischen Staaten ist daher eklatant.

Selbst wenn man die degressive Proportionalität im EU-Parlament (kleine Staaten bekommen etwas mehr Abgeordnete pro Million Einwohner) miteinberechnet, so scheint hier ein Mißverhältnis zu bestehen, auch wegen der geringen Möglichkeiten des EU-Parlaments.

Ähnliches Gilt für die Europäische Zentralbank EZB: die eltzten drei Chefs waren Trichet (Frankreich), Draghi (Italien) und nun designiert Lagarde (Frankreich).

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Dieter Knoflach

Dieter Knoflach bewertete diesen Eintrag 06.07.2019 22:52:39

philip.blake

philip.blake bewertete diesen Eintrag 06.07.2019 21:43:38

9 Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach