Rein theoretisch angenommen: Falls Norbert Hofer morgen die Bundespräsidentenwahl gewinnt und sie nicht aufgehoben / wiederholt wird, z.B. wegen Wahlbeisitzermangel aufgrund des hohen strafrechtlichen Verfolgungsdrucks oder der geringen Bezahlung, dann wird wahrscheinlich eine schwere Legitimitätsdebatte folgen.

Das bedeutet im nicht-politikwissenschaftlichen Klartext:

ein Streit darüber, ob er überhaupt Präsident sein darf, wo doch Van der Bellen beim ersten Mal gewonnen habe, wo doch der Verfassungsgerichtshof angeblich falsch judiziert habe, wo doch Mathematiker angeblich mit fragwürdigen Methoden nachgewiesen hätten, dass die Wahrscheinlichkeit für eine ergebnisverändernde Manipulation nur bei 0,0000003% oder so gelegen hätte. Und vor allem, wo Hofer doch die falsche Meinung habe und dem falschen Lager angehöre.

Derartige Legitimitätsdebatten sind nichts Neues, insbesondere im offensichtlich von besonderer Amoral geprägten Österreich: bereits im Jahr 2000 gab es eine Debatte darüber, ob die Regierung legitim sei. Viele angeblich Intellektuelle aus dem linken Lager behaupteten, Schwarz-Blau sei legal, aber nicht legitim. Was genau der Unterschied zwischen legal und legitim sei, und wieso Illegitimität von Regierungen und Präsidenten nicht schon vorher thematisiert wurde, blieb offen: genausogut hätte man die SPÖ-Minderheitsregierung 1970/1971 als illegitim bezeichnen können, weil sie keine absolute Mehrheit in der Regierung abbildete, oder weil der Heimlichkeitscharakter der "versteckten" Absprache mit der FPÖ nicht den Kriterien der Transparenz und damit der Demokratie entsprach. Genauso könnte man die Frage stellen, ob zahlreiche Wiener SPÖ-Allein-Landesregierungen legitim waren, die sich nicht auf eine absolute Mehrheit der Wähler (und -innen), nicht einmal auf eine absolute Mehrheit der wirksamen Stimmen (wirksame Stimmen sind Stimmen für Parteien, die die Hürde, z.B. Vier-Prozent-Hürde überschreiten) stützten.

Welchen Sinn eine derartige Legitimitätsdebatte hat, bleibt dahingestellt. Irgendwie hat das was von "Changing the rules while the game is going on". ("Die Regeln verändern mitten im Spielablauf" )

Solange die SPÖ den Kanzler stelle, sei alles in Ordnung, aber wenn die SPÖ den Kanzler verliere durch eine schwarz-blaue Mehrheit von 53.4% wie im Jahr 2000, dann sei das Ergebnis illegitim und müsse durch Zivilgesellschaft oder Donnerstagsdemonstrationen oder Linksjournalisten und -innen oder EU-Sanktionen korrigiert werden.

Fubar Obfusco https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:Copyright_tags#United_States / Wikimedia

Januskopf Legal-Legitim: man dreht sich´s, wie man´s gerade braucht, Verlässlichkeit gibt´s nicht, man kann sich von zwei völlig unterschiedlichen Interpretationen immer die aussuchen, die einem gerade ins momentane Konzept passt.

Der klassische Januskopf der Antike ist männlich, aber im Zeitalter der Gleichberechtigung verhalten sich natürlich auch Frauen janusköpfig, von Doppelmoral geprägt und wendehälsig.

Die Legitimitätsdebatte des Jahres 2000 war ein gutes Beispiel dafür.

P.S.: das Beste oder das am wenigstens Schlechte an diesem Wahlsonntag könnte vielleicht sein, dass ein allseits von beiden Seiten mitunter untergriffig und unsachlich geführter Wahlkampf endlich vorbei ist.

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pirandello

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baur peter

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