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Die politische Debatte in Deutschland (und Österreich) wird von zwei Extremen dominiert: sozusagen den "Gutmenschen" und den "Bösmenschen". Während die sogenannten "Gutmenschen" für Flüchtlingsaufnahme sind, aus humanitären, ethischen und menschenrechtlichen Gründen, sind die sogenannten "Bösmenschen" gegen Flüchtlingsaufnahme, aus Kriminalitätsgründen, Überfremdungsbefürchtungen.
Irgendwelche dritte Überlegungen kommen in der Debatte nicht vor, egal, ob nun quasi-totalitär unterdrückt oder aus einem anderen Grund.
Ein pragmatisches Argument für Zuwanderung und Flüchtlingsaufnahme wäre, dass Deutschland (ebenso wie Italien) stark überalterte Länder sind, die beiden Länder mit der am stärksten überalterten Bevölkerung in Europa, und dass junge Zuwanderung hier ausgleichend und verjüngend wirken kann. Auch die rechts-rechte Regierung Italiens mit Meloni und Salvini, mit Fratelli d´Italia und Lega entschied sich entgegen den Wahlversprechen übrigens für Zuwanderung, aus genau diesem Grund. Die italienische rechts-rechte Regierung kombinierte die Flüchtlingsaufnahme mit Kürzungen im Sozialbereich.
Ein weiteres pragmatisches Argument für Flüchtlingsaufnahme ist der Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Rohstoffen/Vorprodukten.
Deutschland ist relativ gesehen ein kleines und dicht bevölkertes Land, mit viel Bevölkerung und wenig eigenen Rohstoffen, aber einer großen Industrieorientierung, und diese Industrie ist angewiesen auf Rohstoffe, nicht nur auf Energie, auch wenn die Debatte wegen der Russland-Sanktionen fälschlicherweise so läuft, als wäre russisches Gas das einzige Importgut, das Deutschland aus dem Rest der Welt brauchen würde. Die beiden Weltkriege endeten jeweils mit deutschen Niederlagen, wodurch Deutschland territorial stärker schrumpfte als bevölkerungsmäßig und wodurch sich also die Bevölkerungsdichte erhöhte und damit auch die Rohstoff- und Vorprodukteabhängigkeit.
Aber in Wirklichkeit sind da noch haufenweise andere Importgüter, die Deutschland benötigt, um seine Industrie betreiben zu können. Oder um seine Industrie-beschäftigte Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, die wegen der vergleichsweise geringen Landwirtschaft fehlen.
Zu diesen Importgüter, die oftmals in Deutschland weiterverarbeitet werden, gehören Computer und Software, Chemie- und Pharmaerzeugnisse, Auto und Autoteile (Österreich ist beispielsweise vielfach Zulieferer für deutsche Autoindustrie), Elektroteile, Metalle und Metallerzeugnisse, Kleidung und Stoffe, Gummi- und Kunststoffwaren, Landwirtschaftliche Produkte, Kokerei- und Mineralölerzeugnisse.
Aus verschiedenen geopolitischen Gründen sind Flüchtlingsaufnahme und Importe miteinander verknüpft: ein Land, das aus internationaler Ebene zuviel Rassismus zeigt und zuwenig kooperativ ist, beispielsweise auch bei der Flüchtlingsaufnahme, riskiert, irgendwann einmal Opfer von Rohstoff-Embargos oder Vorprodukte-Embargos zu werden, so ähnlich wie das Ölembargo, das die OPEC in den 1970er-Jahren wegen des Nahostkonflikts über Europa (auch Deutschland) verhängte.
Die Rechtspopulisten oder Rechtsextremisten können diesen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsaufnahme und Rohstoffimporten/Vorproduktimporten natürlich leugnen, solange sie in der Opposition sind, und können alles Schöne versprechen, ohne auf die schädlichen Konsequenzen hinweisen zu müssen oder hingewiesen zu werden.
Auch ein weiterer Aspekt kommt in der politischen Debatte nicht vor: das schlechte Image des Westens, bzw. der NATO, in großen Teilen der Welt: Dinge wie der Kosovo-Krieg 1999 oder der Irakkrieg 2003 trugen dazu bei, dass Europa in weiten Teilen der Welt unbeliebt ist, und auch daher Gefahr läuft, Opfer von Embargos aus der islamischen Welt oder aus Afrika zu werden.
Manche ultrakonservative oder rassistische Denker wollen diese Problematik mit Kolonialkriegen lösen: ähnlich wie von 150 oder 120 Jahren solle Deutschland irgendwo im Rest der Welt militärisch einfallen und die dortige Bevölkerung massakrieren, um an die Rohstoffe des dortigen Landes heranzukommen und mit diesen Rohstoffen die deutsche Industrie auslasten zu können - damals war es Deutsch-Südwestafrika und Namibia und es waren insbesondere die Herero und Nama, die damals von deutschen Truppen massakriert wurden.
Aber die Chancen, einen derartigen völkermörderischen Kolonialismus heute zu wiederholen, stehen sehr schlecht, wegen der Vernetzung der Welt und des schlechten Images, das man sich heute damit einhandeln würde - man würde so sanktioniert wie Putin mit seinem Ukrainekrieg, den man als genau denselben Kolonialkrieg betrachten kann, den Deutschland vor 120 Jahren in Südwestafrika oder Frankreich vor 73 Jahren in Algerien führte, diese beiden ohne Erfolg, und Putin vermutlich auch ohne Erfolg.
Die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten stellen das immer so dar, als wäre die deutsche Kanzlerin Merkel völlig verblödet gewesen, in der Syrienflüchtlingswelle Aufnahme zu erlauben.
Aber das ist natürlich die übliche Verfälschung, die nur dadurch plausibel erscheint, dass wichtige pragmatische, patriotische Argumente zugunsten der Flüchtlingsaufnahme, nämlich der Zusammenhang zwischen Flüchtlingsimporten und Rohstoffimporten/Vorproduktimporten bestehen.
"Festung Deutschland" oder "Festung Österreich" bedeutet nicht nur, dass keine Flüchtlinge reinkommen, sondern auch, dass keine Rohstoffe und Vorprodukte reinkommen. Das Zeitalter des Kolonialismus, wo einzig und alleine Europa bestimmte, wer oder was nach Europa kommt, ist vorbei, auch wenn die Rechtspopulisten das leugnen oder nicht glauben können.
Heute müssen wir mit einer Welt leben, die Junktimierungen der Form "Ohne Flüchtlingsaufnahme keine Rohstofflieferungen und keine Vorproduktlieferungen" herstellt.
Und ein kooperatives Verhalten verringert auch die Tendenzen im Rest der Welt, mehr auf Autarkie zu setzen, und selbst Industrien aufzubauen, um unabhängig von europäischen Exporten zu werden.
Falls Rechtspopulisten bzw. Rechtsextremisten jemals an die Macht kommen und nicht einen so radikalen Kurswechsel vollziehen, wie die Regierung Meloni in Italien, werden sie vermutlich dann aufdoppeln und über die "Erpressung des Rests der Welt" lamentieren, dass diese "Ex-Kolonien" und diese in Nazi-Terminologie sogenannten "Untermenschen" sich erfrechen, so eine angebliche "Erpressung" zu machen, aber das wird an den Fakten wenig ändern.
Was ein normales "Geschäft" ist und was "Erpressung", liegt oft im Auge des Betrachters. Aber Rechtspopulisten bzw. Rechtsextremisten werden es vielleicht vorziehen, die Wirtschaft und die Industrie an die Wand zu fahren, statt Flüchtlinge aufzunehmen.
P.S.: dieser Blog hat vielfach die Funktion eines Gegengewichts zu einer problematischen FUF-Tendenz und entspricht nicht genau meiner persönlichen Meinung.